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VfGH vom 19.09.2011, B1351/10

VfGH vom 19.09.2011, B1351/10

19458

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Versagung der Anrechnung der Tätigkeit bei der ÖBB Immobilienmanagement GmbH als Ersatzzeiten der praktischen Verwendung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin war in der Zeit von September 2006 bis Mai 2009 bei der ÖBB Immobilienmanagement GmbH tätig. Am beantragte sie die Anrechnung dieser Tätigkeit auf Zeiten der praktischen Verwendung gemäß § 2 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) als Ersatzzeiten. Die Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (im Folgenden: RAK Wien) wies diesen Antrag ab. Auch die dagegen erhobene Vorstellung an das Plenum des Ausschusses wurde mit Beschluss des Plenums des Ausschusses vom abgewiesen.

2. Gegen den Beschluss des Plenums des Ausschusses erhob die Beschwerdeführerin Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK). Mit als Bescheid zu wertendem Beschluss vom wurde der Berufung nicht Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Tätigkeitsbereich der ÖBB Immobilienmanagement GmbH ergebe sich aus dem Eisenbahngesetz (im Folgenden: EisenbahnG) und dem von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Immobilienmanagementvertrag. Danach sei die ÖBB Immobilienmanagement GmbH aber keine Verwaltungsbehörde im weitesten Sinn. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin bei dieser Gesellschaft könne daher nicht auf die Ersatzzeiten der praktischen Verwendung nach § 2 RAO angerechnet werden. Ob die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, sei nicht mehr zu prüfen, wenn bereits feststehe, dass die Tätigkeit nicht bei einer Verwaltungsbehörde (im weitesten Sinn) ausgeübt worden sei.

3. Dagegen richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung von Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht werden.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.

5. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag erstattete eine Stellungnahme, in der er dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.

II. Rechtslage

1. § 2 RAO, RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 111/2007, lautet:

"§. 2.

(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird; anrechenbar sind insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§14a und 14b AVRAG oder nach dem Behinderteneinstellungsgesetz für begünstigte Behinderte sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz ist die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten einer an ein Studium des österreichischen Rechts (§3) anschließenden universitären Ausbildung bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn damit im Zusammenhang ein weiterer rechtswissenschaftlicher akademischer Grad erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist.

(4) Die praktische Verwendung kann frühestens vom erfolgreichen Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts (§3) an gerechnet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten nach Abs 1 bis 3 ist ausgeschlossen."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. In der Beschwerde wird vorgebracht, § 2 RAO sei verfassungswidrig, weil bei der Aufzählung der für die Ausbildungszeit anrechenbaren Tätigkeiten "beliehene Unternehmen" nicht genannt werden.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass gegen § 2 RAO keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. VfSlg. 12.337/1990, 12.670/1991, 13.575/1993, 17.980/2006, , ). Im Hinblick auf die Auslegung des Begriffes "Verwaltungsbehörde" in § 2 RAO ist diese Bestimmung einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich (vgl. VfSlg. 13.560/1993). Auch aus Anlass dieses Beschwerdefalls besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

1.3. Die Beschwerdeführerin ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt.

2. Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Die belangte Behörde habe § 2 RAO einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH sei mit öffentlichen Aufgaben betraut und erlasse eisenbahnrechtliche Bescheide, übe also Hoheitsgewalt aus und sei daher als "Verwaltungsbehörde im weitesten Sinn" anzusehen.

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde aber nicht vorzuwerfen: Sie hat sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt und ist anhand des EisenbahnG sowie des Immobilienmanagementvertrages zwischen der ÖBB-Infrastruktur Bau Aktiengesellschaft und der ÖBB Immobilienmanagement GmbH zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die ÖBB Immobilienmanagement GmbH keine Verwaltungsbehörde iSd § 2 Abs 1 RAO ist und die Tätigkeit der Beschwerdeführerin daher nicht auf die Praxiszeiten für die Ausbildung zum Rechtsanwalt anrechenbar ist (vgl. VfSlg. 14.205/1995, 15.598/1999).

2.3. Da die belangte Behörde § 2 RAO denkmöglich angewendet hat, ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

3. Das zur Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz Gesagte gilt auch für das Vorbringen, der angefochtene Bescheid verletze die Beschwerdeführerin in den durch Art 6 und Art 18 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid daher auch nicht in diesen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.