VfGH vom 22.06.2005, B1349/04

VfGH vom 22.06.2005, B1349/04

Sammlungsnummer

17592

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch denkunmögliche Gesetzesauslegung bei Versagung der Gewährung einer Befreiung von der Erbschaftssteuer für endbesteuertes Kapitalvermögen gemäß dem Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz durch ausschließliches Abstellen auf die zivilrechtliche Verfügungsmöglichkeit über den einbezahlten und am Todestag der Erblasserin auf einem Treuhandkonto erliegenden Kaufpreis für eine noch von der Erblasserin verkaufte Liegenschaft

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des UFS, Außenstelle Feldkirch (belangte Behörde), wurde dem Beschwerdeführer Erbschaftssteuer vorgeschrieben. Für den am Todestag auf einem offenen Treuhandkonto (Anderkonto) erliegenden Kaufpreis (resultierend aus einer noch von der Erblasserin durchgeführten Liegenschaftsveräußerung) wurde dabei die vom Beschwerdeführer begehrte Steuerbefreiung nach § 15 Abs 1 Z 17 Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz 1955 (künftig ErbStG) (für "endbesteuertes" Kapitalvermögen) nicht gewährt. Die belangte Behörde begründet dies im angefochtenen Bescheid damit, dass im Todeszeitpunkt allein der Kontoinhaber (Treuhänder) verfügungsberechtigt gewesen sei, mit den Treugebern sei die Bank hingegen in keinerlei Rechtsbeziehung gestanden. Da im konkreten Fall die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes keine Verfügungsmöglichkeit über das Treuhandkonto gehabt habe, gehöre der Betrag im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Todes nicht zu ihrem Vermögen; die Erblasserin (sowie der nunmehrige Beschwerdeführer) hätten lediglich einen Anspruch auf Auszahlung des Betrages nach Durchführung des Kaufvertrages gegen den Treuhänder, weshalb der Befreiungstatbestand des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG nicht zur Anwendung gelangen könne.

2. Dagegen wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt werden.

Zur Begründung führt der Beschwerdeführer aus, dass das Treuhandkonto endbesteuert gewesen sei; die vom Treuhanderlag abreifenden Zinsen seien mit 25 vH endbesteuert worden, sodass die belangte Behörde den Befreiungstatbestand des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG anzuwenden gehabt hätte, was auch dem Endbesteuerungsgesetz entspreche. Der Kaufpreis sei am auf das anwaltliche Anderkonto überwiesen worden und sei "zu diesem Zeitpunkt auch bereits eingelangt". Am sei die Erblasserin verstorben. Zu diesem Zeitpunkt sei das Guthaben auf dem Treuhandkonto der Erblasserin zuzurechnen gewesen und sei sie darüber auch verfügungsberechtigt gewesen. Im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin sei die Treugeberschaft der Erblasserin und des Käufers der Liegenschaft offen gelegt gewesen; die offene Treuhandschaft bewirke einen direkten Rechtsanspruch der Treugeber gegen das kontoführende Kreditinstitut, was sich auch aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ergebe. Im Übrigen habe - bei offener Treuhandschaft - der Treugeber zeitgleich mit dem Erwerb durch den Treuhänder erworben. Der steuerliche Tatbestand sei mit dem Erwerb durch den Treuhänder beim Treugeber vollendet worden.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift.

4. Zur Rechtslage:

Gemäß § 1 Abs 1 Z 1 ErbStG unterliegt der Erwerb von Todes wegen der Erbschaftssteuer. Die Steuerschuld entsteht dabei grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers (§12 Abs 1 Z 1 leg.cit.).

Das Bundesverfassungsgesetz über eine Steuerabgeltung bei Einkünften aus Kapitalvermögen, bei sonstigem Vermögen und bei Übergang dieses Vermögens von Todes wegen durch den Abzug einer Kapitalertragsteuer, über eine Steueramnestie, über eine Sonderregelung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagung für das Kalenderjahr 1992 und über eine Amnestie im Bereich des Devisenrechts (Endbesteuerungsgesetz), BGBl. 11/1993, ordnet in § 1 u. a. an, dass bundesgesetzlich vorzusehen ist, dass bei der Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen von Geldeinlagen bei Kreditinstituten, aus denen Kapitalerträge fließen, die nach der für das Kalenderjahr 1993 geltenden Rechtslage einem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen, die Erbschaftssteuer mit dem Kapitalertragsteuerabzug abgegolten ist.

In Umsetzung dieser Anordnung sieht § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG eine Steuerbefreiung vor für Erwerbe von Todes wegen u.a. von Kapitalvermögen, soweit dessen Erträge im Zeitpunkt des Todes des Erblassers der Steuerabgeltung gemäß § 97 Abs 1 erster Satz sowie § 97 Abs 2 erster bis dritter Satz des Einkommensteuergesetzes 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 12/1993 unterliegen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein.

Dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht wird unter anderem dann durch den Eingriff einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn diese ein an sich verfassungsmäßiges Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hat. Einer denkunmöglichen Anwendung eines Gesetzes ist es gleichzuhalten, wenn die Anwendung auf einer verfassungswidrigen Auslegung des Gesetzes beruht (vgl. z.B. VfSlg. 13.587/1993 mwN, 14.489/1996).

2. Ein Fehler dieser Art ist im vorliegenden Fall der belangten Behörde anzulasten:

Aus einem im Verwaltungsakt erliegenden Kontoauszug ergibt sich, dass der Kaufpreis für das von der Erblasserin im Januar 2002 veräußerte Grundstück am auf dem Treuhandkonto des Vertragserrichters eingebucht wurde, somit im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin () auf einem Konto lag, dessen Erträge unbestritten der sog. Endbesteuerung unterlagen.

Dem Verfassungsauftrag des § 1 Endbesteuerungsgesetz entsprechend bleiben gemäß § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG Erwerbe von Todes wegen u.a. von Kapitalvermögen, soweit dessen Erträge im Zeitpunkt des Todes des Erblassers der Steuerabgeltung gemäß § 97 Abs 1 erster Satz sowie § 97 Abs 2 erster bis dritter Satz EStG 1988 idF des Bundesgesetzes BGBl. 12/1993 unterliegen, steuerfrei. Für die Anwendung dieser Befreiungsbestimmung ist somit allein maßgeblich, dass im Zeitpunkt des Todes zum Nachlass Kapitalvermögen zählt, dessen Erträge der sog. Endbesteuerung unterliegen. Eine Regelung dieses Inhaltes ist in ihrer Wirkung von Zufälligkeiten abhängig. Wird ein Barbetrag vor dem Todestag auf ein dem KESt-Abzug unterliegendes Konto eingezahlt, dann ist, obwohl Kapitalertragsteuer möglicherweise noch gar nicht einbehalten und abgeführt wurde, die Steuerbefreiung anzuwenden, ist eine Kaufpreisforderung im Zeitpunkt des Todes noch offen und noch nicht auf ein der Endbesteuerung unterliegendes Konto eingezahlt, dann kann die Befreiung nicht angewendet werden. Derartige Effekte nimmt die Regelung in Kauf. Sie verlangt nicht, dass die tatsächlich (in der Vergangenheit) entrichtete Kapitalertragsteuer in einer angemessenen Relation zu der zu erwartenden Erbschaftssteuerbelastung steht. Soweit es durch eine solche Regelung zu unsachlichen Differenzierungen oder zur unsachlichen Gleichbehandlung ungleicher Fälle kommt, ist es dem Gerichtshof in Folge des Verfassungsranges des Endbesteuerungsgesetzes verwehrt, sie im Rahmen eines Verfahrens nach Art 140 B-VG aufzugreifen.

Im vorliegenden Fall verneint die belangte Behörde die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG allein mit dem Argument, die Erblasserin habe, da es sich um ein Anderkonto gehandelt habe, bloß Anspruch auf Auszahlung des vereinbarten Kaufpreises gehabt, sei aber über das Konto nicht verfügungsberechtigt gewesen. Der Gerichtshof muss sich nicht mit der Frage befassen, ob diese Auffassung zivilrechtlich zutrifft; für die Lösung der erbschaftssteuerlichen Frage ist daraus nämlich nichts zu gewinnen: Wenn § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG - in verfassungskonformer Umsetzung des Endbesteuerungsgesetzes (vgl. auch VfSlg. 15.299/1998) - vorsieht, dass Erwerbe von Todes wegen u.a. von Kapitalvermögen, soweit dessen Erträge im Zeitpunkt des Todes des Erblassers der Steuerabgeltung gemäß § 97 Abs 1 erster Satz sowie § 97 Abs 2 erster bis dritter Satz EStG 1988 unterliegen, steuerfrei bleiben sollen, so liegt dem offensichtlich der Gedanke zugrunde, dass mit der laufenden Entrichtung der Kapitalertragsteuer (somit einer Erhebungsform der Einkommensteuer) nicht nur die Einkommensteuer, sondern auch die letztlich beim Übergang von Todes wegen zu entrichtende Erbschaftssteuer abgegolten sein soll. Daraus folgt aber, dass für die Anwendung der zitierten Befreiungsvorschrift nicht auf die im Zeitpunkt des Todes gegebenen zivilrechtlichen Umstände, sondern darauf abzustellen ist, wem im Zeitpunkt des Todes einkommensteuerlich die Kapitalerträge zuzurechnen sind, wer daher Schuldner einer von diesen Kapitalerträgen abzuführenden Kapitalertragsteuer wäre.

Nach den Bestimmungen des im Verwaltungsakt erliegenden Kaufvertrages ist der Kaufpreis für die fragliche Liegenschaft mit Vertragsunterzeichnung (das war der ) fällig geworden; er ist anschließend auf das Anderkonto überwiesen worden. Der Umstand, dass dieser Kaufpreis - samt den auf dem Treuhandkonto aufgelaufenen Zinsen (abzüglich Spesen, Gebühren und Steuern, also auch der KESt) - nach den zwischen den Vertragsparteien getroffenen Vereinbarungen erst nach bücherlicher Durchführung des Rechtsgeschäftes ausbezahlt werden sollte, ändert nun nichts daran, dass die Zinsen aus der Anlage des Kaufpreises auf dem Anderkonto einkommensteuerlich im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin (d.h. im Zeitpunkt der Entstehung der Erbschaftssteuerschuld) ihr - und nicht dem Erwerber oder dem Treuhänder - zuzurechnen waren.

Aus dem Gesagten folgt, dass im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin in Form des auf dem Anderkonto erliegenden Kaufpreises Kapitalvermögen vorhanden war, dessen - der Endbesteuerung unterliegenden - Erträge einkommensteuerrechtlich der Erblasserin zuzurechnen waren, so dass sie die Schuldnerin einer allenfalls abzuführenden Kapitalertragsteuer gewesen wäre. Dass im Hinblick auf die kurze Zeitspanne zwischen Überweisung auf das Konto und Todeszeitpunkt die Kapitalertragsteuerpflicht praktisch ohne Bedeutung war, ändert daran nichts.

3. Indem die belangte Behörde ausschließlich auf die (zivilrechtliche) Verfügungsmöglichkeit über den einbezahlten und am Todestag der Erblasserin auf dem Konto erliegenden Kaufpreis abgestellt hat, hat sie nicht nur zu Unrecht die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung nach § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG verneint, sondern dieser Vorschrift einen Inhalt beigemessen, der sie im Hinblick auf § 1 Endbesteuerungsgesetz verfassungswidrig erscheinen ließe; hätte § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG nämlich den Inhalt, den ihm die belangte Behörde unterstellt hat, würde diese Bestimmung wegen Widerspruchs zum Verfassungsauftrag des § 1 Endbesteuerungsgesetz verfassungswidrig sein. Die belangte Behörde hat dadurch den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie Eingabengebühr in der Höhe von € 180,-- enthalten. Da der als Kostenersatz vorgesehen Pauschalsatz € 1.800,-- beträgt und die Umsatzsteuer davon zu berechnen ist, was das Mehrbegehren abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.