OGH vom 20.11.2018, 10ObS122/18s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günter Hintersteiner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Pichler Rechtsanwalt GmbH in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Vorarlberger Gebietskrankenkasse, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom , GZ 23 Rs 29/18p-23, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Rückforderung von 5.303,45 EUR an pauschalem Kinderbetreuungsgeld, das die Klägerin aus Anlass der am erfolgten Geburt ihres Sohnes von der beklagten Partei für den Zeitraum vom bis bezogen hat. Strittig ist, ob die Klägerin die Zuverdienstgrenze von 16.200 EUR für das Jahr 2013 (§ 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 3 KBGG BGBl I 2009/116) überschritten hat.
Die Klägerin verdiente im Zeitraum vom bis als selbständige Zeitungszustellerin 1.446,48 EUR. Aufgrund des Todes ihres Ehegatten hatte sie ab dem 12 x jährlich Anspruch auf eine ordentliche Witwenrente der Eidgenössischen Alters und Hinterlassenenversicherung AHV (ausgezahlt von der Schweizer Ausgleichskasse SAK) in Höhe von 1.448 CHF sowie einen Rentenanspruch aus einer Todesfallsrisikoversicherung des verstorbenen Ehegatten gegenüber der (Schweizer) HIAG Pensionskasse. Beide Leistungen gelangten an die Klägerin real zur Auszahlung. Die Leistungen der AHV werden aufgrund einer Pflichtversicherung erbracht, die sämtliche in der Schweiz wohnhaften und erwerbstätigen Personen umfasst („erste Säule“). Die Leistungen der HIAG Pensionskasse stellen hingegen gesetzlich nicht vorgeschriebene Zahlungen dar, die aus einem zwischen dem Arbeitgeber des verstorbenen Ehegatten der Klägerin und der Pensionskasse HIAG freiwillig abgeschlossenen Vertrag (einer Todesfallrisikoversicherung) resultieren. Dieser Rentenanspruch ist im schweizer Vorsorgesystem der so genannten „dritten Säule“ zugeordnet.
Im (rechtskräftigen) Einkommensteuerbescheid der Klägerin für das Jahr 2013 wurde der Berechnung der Einkommensteuer neben den von der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit erzielten Einkünften der Betrag von 22.236,30 EUR als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (ordentliche Witwenrente und Ehegattenrente der HIAG Pensionskasse) zugrunde gelegt.
Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom bis und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von 5.303,45 EUR.
Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen begehrt die Klägerin die Feststellung, dass diese Rückersatzverpflichtung nicht zu Recht bestehe.
Soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich bringt die zusammengefasst vor, die Zahlung der Eidgenössischen Alters und Hinterlassenenversicherung und auch der Rentenanspruch aus der Todfallsrisikoversicherung gegenüber der Pensionskasse stehe nur im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis ihres verstorbenen Ehegatten. Für sie selbst stellten diese Leistungen keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG 1988) dar, weil der Zusammenhang mit einem eigenen Dienstverhältnis fehle. Zudem seien die Leistungen an die Stelle des vormaligen Unterhaltsanspruchs gegenüber ihrem verstorbenen Ehegatten getreten und gleichermaßen zu behandeln wie Unterhaltszahlungen, die nicht von § 25 EStG erfasst würden.
Die wendet dagegen ein, dass sie an den Einkommensteuerbescheid des Finanzamts gebunden sei. Aus diesem ergebe sich, dass die Klägerin im Jahr 2013 neben ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit auch ein Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt habe. Der maßgebende Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 8 Abs 1 KBGG im Jahr 2013 betrage 30.353,67 EUR (inklusive 30%igem Zuschlag). Dieser Betrag übersteige den Grenzbetrag in Höhe von 16.200 EUR um den Unterschiedsbetrag von 14.153,67 EUR, sodass die Klägerin das pauschale Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe zurückzuerstatten habe.
Das wies das Begehren auf Abstandnahme vom Rückersatz ab und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Kinderbetreuungsgeldleistungen in Höhe von 5.303,45 EUR.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1.1 Nach § 2 Abs 1 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2009/116 hat ein Elternteil für sein Kind Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern ua der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte (§ 8 Abs 1) des Elternteils im Kalenderjahr den absoluten Grenzbetrag von 16.200 EUR oder den höheren individuellen Grenzbetrag nach § 8b KBGG nicht übersteigt.
1.2 Nach § 8 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2009/116
sind maßgebliche Einkünfte die Einkünfte gemäß § 2 Abs 3 Z 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988) somit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG) sowie die betrieblichen Einkünfte nach den § 21–23 EStG (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb).
1.3 Für die Ermittlung des „Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte“ (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG) sieht § 8 Abs 1 KBGG in Z 1 und Z 2 besondere Regelungen vor.
1.4 Soweit im Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte solche aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG) enthalten sind, ist für die Beurteilung des Gesamtbetrags der Einkünfte von jenen Einkünften auszugehen, die während der Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (Anspruchszeitraum) erzielt werden und gemäß § 19 EStG 1988 diesem Anspruchszeitraum zuzuordnen sind (§ 8 Abs 1 Z 1 KBGG in der anzuwendenden Fassung BGBl I 2009/116). Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist demnach „grundsätzlich“ auf die während des Kinderbetreuungsgeldbezugs nach steuerrechtlichen Grundsätzen erzielten Einkünfte (Lohnsteuerbemessungsgrundlage) abzustellen (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 62; 10 ObS 51/12s).
2. Gemäß § 25 Abs 1 EStG 1988 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn) Bezüge und Vorteile aus einem bestehenden oder früheren Dienstverhältnis. Erfasst sind ua Pensionen aus einer ausländischen gesetzlichen Sozialversicherung, die einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entspricht (§ 25 Abs 1 Z 3 lit c), sowie Bezüge und Vorteile aus ausländischen Pensionskassen (§ 25 Abs 1 Z 2 lit b EStG 1988).
3. Von diesen Grundsätzen weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ab. Dass Hinterbliebenenpensionen lohnsteuerpflichtige Einkünfte aus unselbständiger Arbeit sind, entspricht der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts (RV/4100594/2013).
4.1 Aufgrund der unterschiedlichen Ziele der Sozial-(versicherungs-)gesetze und der Steuergesetze können jedoch zwischen dem Einkommen im Sinn des EStG 1988 und dem Erwerbseinkommen im Sinn der Sozialversicherungsgesetze erhebliche Unterschiede bestehen, sodass die Versicherungsträger (sowie aufgrund der sukzessiven Kompetenz) die Gerichte bei der Ermittlung des relevanten Einkommens zu durchaus anderen Ergebnissen als die Steuerbehörden im Abgabenverfahren kommen können (RIS-Justiz RS0085210; RS0085302).
4.2 Nach ständiger Rechtsprechung besteht eine Bindungswirkung des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids im Hinblick auf die Zuverdienstgrenze nur hinsichtlich der Höhe der ermittelten Einkünfte, nicht aber hinsichtlich der Beachtlichkeit der Einkünfte (10 ObS 1/16v, SSV-NF 30/42; RIS-Justiz RS0084294 [T2]; 10 ObS 34/13t, SSV-NF 27/50; Konecny in Sonntag/Schober/Konecny, KBGG2 § 8 Rz 26). Für die Beachtlichkeit der Einkünfte im Einzelnen oder im Gesamten ist somit nicht das steuerliche Ergebnis von Bedeutung, sondern die Anordnungen in § 8 KBGG. Letztlich ist es Aufgabe der Gerichte zu klären, welche Einkünfte bzw Abzüge bei der Ermittlung der Höhe der Erwerbseinkommen im Sinn der Sozialversicherungsgesetze zu berücksichtigen sind (10 ObS 27/13p, SSV-NF 27/43). Für den Bereich des KBGG wurde etwa entschieden, dass im Anspruchszeitraum erzielte Veräußerungsgewinne (10 ObS 51/12s, SSV-NF 27/50) und auch ein steuerlicher Sanierungsgewinn aufgrund eines Schuldennachlasses (10 ObS 1/16v, SSV-NF 30/42) keine maßgeblichen Einkünfte im Sinn des § 8 Abs 1 Z 1 KBGG sind.
5. Dass auch im vorliegenden Fall vergleichbare Unterschiede bestehen, die ein Abgehen von den Ergebnissen im Abgabenverfahren erfordern, ist nicht zu sehen:
Die Klägerin erhält – unabhängig davon, ob sie selbst in einem Dienstverhältnis steht oder jemals stand – nach dem Tod ihres zuletzt unselbständig beschäftigten Ehemanns Hinterbliebenenleistungen (Rentenzahlungen), die für sie Einkommen nach dem EStG 1988 darstellen und die der Einkommensteuerpflicht unterliegen. Auch der Umstand, dass die vom Ehegatten erbrachten Unterhaltsleistungen für die Klägerin nicht einkommensteuerpflichtig waren und an deren Stelle nunmehr Hinterbliebenenleistungen getreten sind, kann nichts daran ändern, dass diese der Einkommensteuerpflicht unterliegen und (im Zweifel) als ein im Sinn des § 8 Abs 1 Z 1 KBGG relevantes Einkommen anzusehen sind. Für dieses Ergebnis spricht insbesondere der letzte Satz des § 8 Abs 1 Z 1 KBGG, nach dem die (nicht steuerpflichtigen) Bezüge, die den Hinterbliebenen eines Abgeordneten zum Europäischen Parlament (nach Art 9 Abs 4 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments) gebühren, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte wie steuerpflichtige Einkünfte zu behandeln sind, also bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte mitzuberücksichtigen sind. Im Übrigen werden für unselbständig Erwerbstätige im Sinn einer Gleichbehandlung von erzielten Erwerbseinkommen mit an deren Stelle tretenden Einkommensersätzen auch die Einkommensersätze (wie etwa das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe) in den Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte miteinbezogen (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 61 f).
6. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die von der Klägerin bezogenen Hinterbliebenenleistungen als steuerpflichtige „Einkünfte aus unselbständiger Arbeit“ für die Überschreitung der Zuverdienstgrenze maßgeblich sind, ist daher jedenfalls vertretbar.
Da es der Revisionswerberin mit ihren Ausführungen nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, ist die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00122.18S.1120.000 |
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