OGH vom 17.04.2018, 10Ob31/18h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. S*****, geboren am *****, 2. D*****, geboren am *****, 3. Y*****, geboren am ***** und 4. S*****, geboren am *****, alle vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie Rechtsvertretung Bezirke 2, 20), 1200 Wien, Dresdnerstraße 43, wegen Unterhaltsvorschuss, infolge des Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 413/17v, 45 R 414/17s, 45 R 415/17p, 45 R 416/17k, 45 R 545/17f-48, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 3 Pu 123/16g-22, -23, -24, -25 (ON 25 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 3 Pu 123/16g-26), bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt,
1. den Träger der Kinder- und Jugendhilfe binnen einer Frist von 14 Tagen zur Klarstellung aufzufordern, ob die Erklärung der Zurückziehung der Unterhaltsvorschussanträge der Kinder vom unter Verzicht auf den Vorschussausspruch erfolgte,
und, für den Fall der Verneinung:
2. den Bund und den Vater der Kinder binnen einer (weiteren) Frist von 14 Tagen zur Stellungnahme aufzufordern, ob diese der Zurücknahme des Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen für die Kinder durch den Träger der Kinder- und Jugendhilfe zustimmen.
Die Akten sind dem Obersten Gerichtshof nach Einlangen der Stellungnahmen oder fruchtlosem Verstreichen der Fristen – allenfalls nach in Rechtskraft erwachsener Zurückweisung der Antragsrücknahme – wieder vorzulegen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht gab den Anträgen der Kinder vom auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von jeweils bis in der jeweils beantragten Höhe statt.
Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidungen gerichteten Rekurs des Bundes nicht Folge und sprach zunächst aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Entscheidung des Rekursgerichts wurde dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, der Mutter, dem Vater und auch dem Bund, diesem am , zugestellt.
Der Bund erhob am (Postaufgabe) fristgerecht gegen diese Entscheidung einen mit einer Zulassungsvorstellung verbundenen Revisionsrekurs. Das Rekursgericht gab der Zulassungsvorstellung mit Beschluss vom Folge und sprach nachträglich aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei.
Am langte beim Erstgericht ein Antrag des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe auf Enthebung von der Funktion als Vertreter der Kinder gemäß § 9 UVG ein. Nach Bewilligung der beantragten Unterhaltsvorschüsse habe aufgrund des Rechtsmittels des Bundes keine Auszahlung stattgefunden. Aufgrund der Angaben der Eltern sei ein weiteres Einschreiten des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr nötig. Ausdrücklich erklärte der Träger der Kinder- und Jugendhilfe: „Alle offenen Anträge werden hiermit auch zurückgezogen!“
Dieser Eingabe lag eine Niederschrift des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe vom mit der Mutter der Kinder bei. In dieser erklärte die Mutter, sich mit dem Vater darauf geeinigt zu haben, dass er den aktuellen Unterhalt für die Kinder – dies seien derzeit 155 EUR je Kind (festgesetzt mit Beschluss des Erstgerichts vom , ON 35) – an die Mutter direkt zahlen werde. Die Mutter erklärte in dieser Niederschrift: „Daher ist ein weiteres Einschreiten des Amtes für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 2 und 20, nicht mehr nötig und ich ziehe hiermit alle bei Gericht anhängigen offenen Verfahren zurück.“
Diese Eingabe leitete das Erstgericht am an das Rekursgericht weiter, mit dessen Akt sie dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die Aktenvorlage ist verfrüht.
1. Unterhaltsvorschüsse sind gemäß § 11 Abs 1 UVG nur auf Antrag zu gewähren.
2. Gemäß § 11 Abs 1 AußStrG sind Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden können, mit Zurücknahme des Antrags beendet. Wurde wie hier ein zulässiges Rechtsmittel erhoben, so kann der Antrag, so weit er Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist, gemäß § 11 Abs 1 Satz 3 erster Teilsatz AußStrG noch bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichts, allerdings nur unter Verzicht auf den Anspruch oder mit der Zustimmung des Antragsgegners zurückgenommen werden.
3.1 Prozesshandlungen sind stets nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen (RIS-Justiz RS0017881; RS0037416). Ob eine Zurücknahme unter Anspruchsverzicht erklärt wurde, ist daher nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Weil dazu die Auslegungsregeln für Rechtsgeschäfte nicht heranzuziehen sind, muss ein Verzicht auf einen Anspruch eindeutig erklärt werden (RIS-Justiz RS0039744 [T3]). Im Zweifel wird auch im Außerstreitverfahren eine Zurücknahme ohne Anspruchsverzicht anzunehmen sein (5 Ob 201/15t).
3.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob der zum Zeitpunkt der Erklärung der Zurücknahme des Antrags noch als Vertreter der Kinder bestellte Träger der Kinder- und Jugendhilfe einen Verzicht auf die hier geltend gemachten Ansprüche auf Unterhaltsvorschüsse für die Kinder erklärt hat, weil seine Erklärung zwar auf der von der Mutter mitgeteilten Einigung mit dem Vater beruht, aber nicht eindeutig ist. Zur Vermeidung eines allenfalls unnötigen Verfahrensaufwands wird dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe daher die Möglichkeit der Klarstellung seiner Erklärung vom zu geben sein.
4.1 Für den Fall, dass diese Klarstellung ergibt, dass der Träger der Kinder- und Jugendhilfe die Rückziehung der Anträge der Kinder ohne Anspruchsverzicht erklärt hat, ist zu beachten, dass die Rückziehung des Antrags auch mit Zustimmung des Gegners wirksam wird. Fehlt die Zustimmungserklärung, so hat das Gericht bei einer Zurücknahme nach Ergehen der Entscheidung erster Instanz den Antragsgegner zur Stellungnahme aufzufordern. Wird die Zustimmung nicht erteilt, so ist die Antragsrücknahme zurückzuweisen (Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 11 Rz 7 und 8 mH auf § 10 Abs 4 AußStrG).
4.2 Gegner sind hier unter Beachtung der Erstreckung der Wirkung der angefochtenen Entscheidung auf mehrere Parteien (§ 43 Abs 2 AußStrG,§§ 12, 14, 15 Abs 1 UVG) jedenfalls der Bund und der Vater als Unterhaltsschuldner, nicht hingegen die Mutter als bloße Zahlungsempfängerin.
5.1 Das Erstgericht (§§ 71 Abs 4, 51 Abs 2 AußStrG) wird daher zunächst eine – fristgebundene – Stellungnahme des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe einzuholen haben. Stellt der Träger der Kinder- und Jugendhilfe klar, dass die Antragsrücknahme unter Anspruchsverzicht erklärt wurde, wird der Akt neuerlich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.
5.2 Bei fruchtlosem Verstreichen der Frist oder im Fall der Klarstellung durch den Träger der Kinder- und Jugendhilfe, dass die Rücknahme der Anträge der Kinder ohne Anspruchsverzicht erklärt wurde, wird das Erstgericht – ebenfalls fristgebundene – Stellungnahmen des Bundes und des Vaters zur Antragsrücknahme einzuholen haben.
Erteilen der Bund und der Vater die Zustimmung zur Antragsrücknahme, wird der Akt neuerlich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.
Erteilt hingegen der Bund oder der Vater nicht die Zustimmung zur Antragsrücknahme, so wird das Erstgericht den Akt nach – rechtskräftiger – Zurückweisung der Antragsrücknahme neuerlich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen haben.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00031.18H.0417.000 |
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