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OGH vom 20.02.2002, 9Ob303/01a

OGH vom 20.02.2002, 9Ob303/01a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ.Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinz B*****, Koch, ***** vertreten durch Zamponi, Weixelbaum & Partner Rechtsanwälte OEG in Linz, gegen die beklagte Partei Renate Margit B*****, Aushilfskraft, ***** vertreten durch Dr. Klaus Messiner und Dr. Ute Messiner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Aufhebung der Ehe, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 37 R 223/01x-46, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Haag vom , GZ 2 C 964/95m-70, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile schlossen am die Ehe. Am wurde der gemeinsame Sohn geboren, den die Beklagte am im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit tötete.

Der Kläger begehrt die Aufhebung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Diese habe bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung an der letztlich zur Tötung des gemeinsamen Kindes führenden geistigen Erkrankung gelitten. Da der Kläger dies nicht gewusst habe, sei von einem Irrtum über Umstände, die die Person der Beklagten betreffen, iS des § 37 Abs 1 EheG auszugehen. Hätte er von der geistigen Erkrankung der Beklagten gewusst, hätte er sie nie geheiratet. Da die Beklagte dem Kläger ihre psychiatrischen Vorbehandlungen verschwiegen habe, werde das Aufhebungsbegehren auch auf arglistige Täuschung (§ 38 Abs 1 EheG) gestützt.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe 1991 an keiner geistigen Erkrankung gelitten; auch sei ihr die Möglichkeit des Ausbruchs einer solchen nicht bekannt gewesen. Sie habe dem Kläger nichts verschwiegen. Dieser sei über das Krankheitsbild, das zu den Ereignissen vom geführt habe, voll informiert gewesen, weshalb der Aufhebungsanspruch überdies verjährt sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Streitteile lernten einander im Winter 1989/90 kennen. Im Frühjahr 1989 erlitt die Beklagte einen Nervenzusammenbruch, worauf sie vom 13. 5. bis stationär auf der neurologischen Abteilung eines Krankenhauses behandelt wurde. Wegen einer zunehmenden Schlafstörung im Sinne eines Etappenschlafs wurde sie mit niedrig dosierten Antidepressiva behandelt. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus empfahl man ihr eine Weiterbehandlung mit relativ niedrig dosierter Medikation. Derartige depressive Episoden setzen eine angeborene Veranlagung voraus, die in der Bevölkerung weit verbreitet ist. Hievon sind sicherlich weit über 10 % der Bevölkerung betroffen, Frauen häufiger als Männer. Beim überwiegenden Teil der betroffenen Personen manifestiert sich die Erkrankung nur in kurzfristigen Episoden. Der überwiegende Teil der Betroffenen kann daher ein normales Leben führen und erkrankt nur einige wenige Male im Leben für meist nur einige wenige Wochen. Derartige depressive Episoden teilt man in leichte, mittelgradige, schwere und schwere mit psychotischen Symptomen ein. Nur die beiden letzteren Formen sind so schwergradig, dass man von einer "Geisteskrankheit oder schweren seelischen Erkrankung" ausgehen kann. Die vom 13. 5. bis behandelte Erkrankung der Beklagten stellte nur eine leichte depressive Episode dar, die das Ausmaß einer Geisteskrankheit nicht erreichte. Vor der Eheschließung bzw. zum Zeitpunkt der Eheschließung waren für niemanden - auch nicht für einen psychiatrischen Sachverständigen - Gründe für die Annahme zu erkennen, dass bei der Beklagten eine schwere chronifizierte depressive Geisteskrankheit ausbrechen könnte. In leichter Form sind Depressionen nicht als Geisteskrankheit einzustufen. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lag bei der Beklagten schon vor dem die Veranlagung zu einer depressiven Geisteskrankheit vor.

Die Beklagte hatte dem Kläger schon vor der Eheschließung bei einem allgemeinen Gespräch über Krankheiten von der Erkrankung im Mai 1989 Mitteilung gemacht. Sie erzählte dem Kläger - ihrem Wissensstand entsprechend - von ihrem Krankenhausaufenthalt wegen der Schlafstörungen und erklärte ihm, es habe sich dabei um eine Gesundenuntersuchung gehandelt, sie habe Vitaminmangel gehabt und sei überarbeitet gewesen. Es habe sich um nichts Ernstes gehandelt. Der Kläger interessierte sich nicht näher dafür und bestätigte, dass so etwas bei der harten Arbeit im Gastgewerbe schon vorkommen könne. Er erachtete die Beklagte als gesund und brachte ihren Krankenhausaufenthalt nicht in Verbindung mit einer psychischen Erkrankung.

Erst nach der Geburt des Kindes brach bei der Beklagten eine Krankheit in Form einer Stillpsychose so hervor, dass man von einer Geisteskrankheit oder einer schweren seelischen Erkrankung sprechen kann. Auf Grund dieser erst nach der Geburt aufgetretenen Geisteskrankheit hat sie am das Kind getötet. Durch diese Tat und die daraus resultierenden Schuldgefühle wurde die Erkrankung weitgehendst unheilbar und chronisch.

Nach Ausbruch der Stillpsychose war der Kläger gemeinsam mit der Beklagten beim Hausarzt und beim Facharzt. Es wurde ihm gesagt, dass die Beklagte an einer Stillpsychose leide. Auch nach der Tat hat der Kläger mit den Ärzten im Krankenhaus gesprochen. Dem Klagevertreter wurde am eine Kopie des Aktes über das gegen die Mutter wegen der Kindestötung geführten Strafverfahrens übermittelt. Auf dieser Tatsachengrundlage vertrat das Erstgericht folgende Rechtsauffassung:

Bei der Beklagten sei zum Zeitpunkt der Eheschließung keine unheilbare Geisteskrankheit sondern nur "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Veranlagung dazu" vorgelegen, die von niemandem habe erkannt werden können. Das Erscheinungsbild dieser Veranlagung sei dem Kläger schon vor der Eheschließung mitgeteilt worden und habe ihn nicht von der Heirat abgehalten. Damals habe kein Grund bestanden, die Ehe nicht zu schließen. Das spätere Hervorbrechen einer schweren Krankheit sei nicht vorhersehbar gewesen, sodass die vor der Eheschließung bei der Beklagten aufgetretene Krankheit den Kläger "auch bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe nicht von der Eingehung der Ehe abhalten hätte können". Weder damals noch heute seien Gründe vorhanden (gewesen), die nach dem Ehebild den Verlust des Heiratswillens objektiv rechtfertigen würden.

Darüber hinaus sei die Klage verfristet, weil sich der Kläger anlässlich seiner Vernehmung im wegen der Kindestötung geführten Strafverfahren am an das Gespräch über die Erkrankung im Mai 1989 erinnert habe. Abgesehen vom nunmehr eingeholten psychiatrischen Gutachten sei sein Wissenstand nicht anders, als zur Zeit des Strafverfahrens. Er hätte daher innerhalb eines Jahres - also bis - die Aufhebungsklage einbringen müssen. Dass er erst durch eine entsprechende Formulierung in einer erst am eingebrachten Unterhaltsklage von der geistigen Erkrankung seiner Frau erfahren habe, sei nicht richtig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es vertrat folgende Rechtsauffassung:

Für den Erfolg der Aufhebungsklage sei erforderlich, dass der Irrtum des Heiratswilligen nicht nur subjektiv in dem Sinn kausal gewesen sein, dass er den Irrenden bei Kenntnis der Sachlage von der Heirat abgehalten hätte; vielmehr müsse der Irrtum auch Gründe betreffen, die bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe den Verlust des Heiratswillens objektiv rechtfertigen.

Hier habe das Erstgericht das Vorhandensein einer Veranlagung zu einer Geisteskrankheit oder schweren seelischen Erkrankung für den Zeitpunkt der Eheschließung nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen. Ferner stehe fest, dass sich die Erkrankung beim überwiegenden Teil der betroffenen Personen nur kurzfristig manifestiere.

Die Ehe sei von Treue- und Beistandspflichten gekennzeichnet und basiere auf Liebe und Zuneigung zwischen den Eheleuten. Diese gegenseitige Liebe und Zuneigung könne nur Umständen weichen, die derart gravierend sind, dass sie dem Partner das Zusammenleben unerträglich machen würden. Gehe man davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung gewusst hätte, dass die Beklagte zwar eine angeborene Veranlagung zu depressiven Episoden habe, dass aber diese weit verbreitete Veranlagung beim überwiegenden Teil der betroffenen Personen nur wenige Male im Leben zu meist nur kurzfristigen Erkrankungen führe, so habe kein Grund zur Befürchtung bestanden, dass eine mit hoher Wahrscheinlichkeit unheilbare Geisteskrankheit oder schwere seelische Erkrankung ausbrechen werde. Diese Situation sei nicht so gravierend, dass sie den auf Liebe und Zuneigung beruhenden Heiratswillen des Klägers zerstören dürfte. Es könne nicht angehen, dass eine derart weit verbreitete Veranlagung, die nur vereinzelt zu gravierenden Erkrankungen führe, den Kläger zur Aufhebung der Ehe berechtige. Vielmehr liege es in der Natur der Ehe, dass die Ehepartner gewisse Risiken der Liebe wegen eingehen und sich nicht durch eine solche Veranlagung, bei der die Wahrscheinlichkeit des Ausbrechens einer Krankheit minimal sei, abschrecken lassen. Bei dieser Beurteilung müsse die Tötung des Kindes unberücksichtigt bleiben, weil lediglich das Vorliegen der Irrtumsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Eheschließung zu prüfen sei. Danach könne der Irrtum des Klägers zwar für den subjektiven Ehewillen des Klägers ausschlaggebend gewesen sein; objektiv könne die damals vorhandene Veranlagung der Beklagten den Verlust des Heiratswillens jedoch nicht rechtfertigen.

Auf die Frage der Verfristung der Klage sei daher nicht mehr einzugehen.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil die Frage, ob ein Irrtum über eine in der Bevölkerung überaus weit verbreitete Veranlagung, die nur in Einzelfällen zum Ausbruch einer Geisteskrankheit führe, nach dem gesetzlichen Ehebild den Verlust des Heiratswillens objektiv rechtfertigt, von der Rechtsprechung bislang nicht entschieden worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsprechung, dass es zur Verwirklichung eines Aufhebungsgrund iSd § 37 Abs 1 EheG ausreicht, dass eine beim betroffenen Ehepartner während der Ehe ausgebrochene Geisteskrankheit schon zum Zeitpunkt der Eheschließung in ihrer Anlage vorhanden war, der Präzisierung bedarf. Zudem hat das Berufungsgericht das Verfahren zu Unrecht als spruchreif erachtet. Die Revision ist im Sinne des darin gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Gemäß § 37 Abs 1 EheG kann ein Ehegatte die Aufhebung der Ehe begehren, wenn er sich bei der Eheschließung über solche die Person des anderen Ehegatten betreffende Umstände geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten. Wie der Oberste Gerichtshof schon in seiner in diesem Verfahren ergangenen Vorentscheidung 9 Ob 271/99i ausgeführt hat, muss der Irrtum demnach nicht nur subjektiv für den Heiratswillen des klagenden Ehegatten kausal gewesen sein, indem er den Irrenden "bei Kenntnis der Sachlage" von der Heirat "abgehalten hätte", sondern auch Gründe betreffen, die nach dem gesetzlichen Ehebild ("bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe") den Verlust des Heiratswillens objektiv rechtfertigen würden (Schwimann in Schwimann, ABGB I² Rz 2 zu § 37 EheG; Pichler in Rummel, ABGB², Rz 4 zu § 37 EheG mwN). Geisteskrankheiten und schwere seelische Erkrankungen kommen dann als Aufhebungsgrund in Betracht, wenn sie unheilbar sind oder ihre Heilung hochgradig unwahrscheinlich ist; dabei reicht es aus, dass die Krankheit zwar erst während der Ehe ausbricht, aber schon zum Zeitpunkt der Eheschließung in ihrer Anlage vorhanden war (SZ 48/1; EFSlg 15.740; EvBl 1955/413; Pichler, aaO, Rz 5 zu § 37 EheG; Schwind in Klang², I/1 680). Der objektive Sachverhalt und die subjektive Einstellung des Irrenden dazu sind nach den Umständen zum Zeitpunkt der Eheschließung zu beurteilen. Zur Klärung dieser damals vorgelegenen Umstände sind allerdings alle Erkenntnisquellen heranzuziehen, die im Zeitpunkt des Aufhebungsstreits zur Verfügung stehen. Wenn sich also im Zeitpunkt des Streites feststellen lässt, dass der die Aufhebung bedingende Umstand im Zeitpunkt der Eheschließung schon vorhanden war, genügt dies zur Rechtfertigung des Aufhebungsbegehrens auch dann, wenn dieser Umstand damals objektiv noch nicht erkannt war bzw. noch nicht erkannt werden konnte (Schwind, aaO, 676).

Unter Bezugnahme auf diese Rechtslage macht der Revisionswerber vor allem geltend, dass nach dem festgestellten Sachverhalt bei der Beklagten schon zum Zeitpunkt der Eheschließung - wenn auch damals noch nicht erkennbar - die Anlage zu einer schweren Geisteskrankheit vorhanden gewesen sei.

Daran ist richtig, dass in den erstgerichtlichen Feststellungen von der im Zeitpunkt der Eheschließung bei der Beklagten vorhandenen "Veranlagung zu einer depressiven Geisteskrankheit" die Rede ist. Andererseits stellt das Erstgericht aber auch fest, dass die Veranlagung zu depressiven Episoden bei weit über 10 % der Bevölkerung vorliegt und sich beim überwiegenden Teil der betroffenen Personen nur in Form von wenigen, meist nur kurz dauernden depressiven Episoden verwirklicht, die nicht so schwer sind, dass man sie als Geisteskrankheit oder schwere seelische Erkrankung werten kann. Damit stellt sich aber die Frage, was unter der in den Feststellungen genannten "Veranlagung zu einer depressiven Geisteskrankheit" zu verstehen ist. Das Berufungsgericht interpretiert die Feststellungen so, dass bei der Beklagten im Zeitpunkt der Eheschließung (lediglich) jene Veranlagung vorhanden war, von der ein erheblicher Teil der Bevölkerung betroffen ist und die beim weitaus größten Teil der Bevölkerung lediglich zu einigen kurzzeitigen Depressionen führt. Dies ist aber den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die Formulierung "Veranlagung zu einer depressiven Geisteskrankheit" kann nämlich auch dahin verstanden werden, dass bei der Beklagten - über die weit verbreitete Disposition zu (zwar nicht immer, aber überwiegend harmlosen) depressiven Episoden hinaus - schon zum Zeitpunkt der Eheschließung die Veranlagung zu depressiven Erkrankungen so stark ausgeprägt war, dass von einer Veranlagung zu einer (wahrscheinlich unheilbaren) Geisteskrankheit oder schweren seelischen Krankheit gesprochen werden muss.

Diese Unklarheit findet ihre Ursachen in den Gutachten des dem Verfahren beigezogenen Sachverständigen: Im ersten Gutachten ist - ohne nähere Erläuterung - davon die Rede, dass "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit .. bei der Beklagten schon vor dem die Veranlagung zu einer depressiven Geisteskrankheit" vorgelegen ist (ON 33). Im Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom wird dann ausführlicher zu Ursachen, Art und Häufigkeit depressiver Erkrankungen Stellung genommen und ausgeführt, dass - wie oben im Detail wiedergegeben - die Veranlagung zu depressiven Episoden bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung vorhanden ist, beim überwiegenden Teil der Betroffenen aber zu keinen Krankheiten vom Grade einer Geisteskrankheit führt. Im Ergänzungsgutachten fehlt aber jeglicher Hinweis, in welchem Verhältnis diese Äußerung des Sachverständigen zu seiner früheren Aussage über eine Veranlagung der Beklagten zu einer depressiven Geisteskrankheit steht; ob also bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Eheschließung (nur) jene Veranlagung vorhanden war, die bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung vorhanden war und die sich beim überwiegenden Teil der Betroffenen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in einer Geisteskrankheit wie der hier aufgetretenen manifestiert, oder aber, ob der Sachverständige durch die Bezugnahme auf die Veranlagung zu einer Geisteskrankheit zum Ausdruck bringen wollte, dass bei der Beklagten eine Veranlagung vorlag, die - aus heutiger Sicht - mit größerer Wahrscheinlichkeit den Ausbruch einer Geisteskrankheit erwarten ließ.

Vor dem Hintergrund dieser Unklarheit bedarf der Rechtssatz, dass es für die Aufhebung der Ehe ausreicht, dass die Krankheit zwar erst während der Ehe ausbricht, aber schon zum Zeitpunkt der Eheschließung in ihrer Anlage vorhanden war, einer Präzisierung. Gerade in einer Zeit, in der es der medizinische Fortschritt immer mehr möglich macht, genetisch bedingte Dispositionen für eine Vielzahl von Krankheiten nachzuweisen, muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine solche Disposition oder Veranlagung oft zwar ein (manchmal nur gering) erhöhtes Risiko, nicht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Krankheitsausbruch mit sich bringt. Relevant kann aber eine solche schon im Zeitpunkt der Eheschließung vorhandene Disposition oder Veranlagung nur sein, wenn sie auch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Gefahr des Ausbruchs der Krankheit mit sich bringt. Wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, ist es mit dem richtig verstandenen Wesen der Ehe nicht vereinbar, eine in der Bevölkerung überaus weit verbreitete Veranlagung zu depressiven Episoden, die sich in der überwiegenden Zahl der Fälle niemals in Form einer Geisteskrankheit oder einer schweren seelischen Erkrankung manifestiert, immer dann, wenn irgendwann im Lauf der Ehe der (keineswegs wahrscheinliche) Fall einer als schwer zu qualifizierenden Krankheit auftritt, als Eheaufhebungsgrund zu werten. Andererseits ist aber daran festzuhalten, dass dann, wenn beim betroffenen Ehepartner eine Veranlagung vorliegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ausbruch einer (mit hoher Wahrscheinlichkeit unheilbaren) Geisteskrankheit oder schweren seelischen Erkrankung mit sich bringt, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Ehe nach § 37 EheG verwirklicht sind.

Damit erweisen sich die Feststellungen und auch das ihnen vorangegangene Verfahren als ergänzungsbedürftig. Der Sachverständige, der auch in seinem Ergänzungsgutachten nach wie vor (in rechtlich verfehlter Weise) in erster Linie darauf abstellt, ob zum Zeitpunkt der Eheschließung ein psychiatrischer Sachverständiger die Gefahr des Ausbruchs einer Geisteskrankheit hätte erkennen können, wird sein Gutachten zu ergänzen und dazu Stellung zu nehmen haben, ob aus heutiger Sicht bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Eheschließung (nur) eine allgemeine Veranlagung zu depressiven Episoden bestand, die den Ausbruch einer Geisteskrankheit zwar nicht ausgeschlossen erscheinen ließ, aber auch nicht wahrscheinlich machte, oder ob die Veranlagung der Beklagten zu depressiven Störungen derart stark ausgeprägt war, dass von einer Veranlagung (iS einer hohen Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs der Krankheit) zu einer mit hoher Wahrscheinlichkeit unheilbaren Geisteskrankheit oder schweren seelischen Erkrankung gesprochen werden muss. Erst auf dieser Grundlage kann das Vorliegen des Aufhebungsgrundes abschließend beurteilt werden.

Auch zur - vom Berufungsgericht offen gelassenen - Frage der Verfristung der Klage ist das Verfahren noch nicht spruchreif:

Die Frist des § 40 EheG beginnt erst mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ehegatte den Irrtum oder die Täuschung erkannte. Dazu bedarf es nicht der Kenntnis des Aufhebungsgrundes selbst, sondern der Kenntnis aller Umstände, die bei vernünftiger Überlegung für die Geltendmachung der Aufhebungsklage als hinreichend angesehen werden können (RIS-Justiz RS0056339; zuletzt 9 Ob 240/00k). Wann dem Beklagten diese Umstände bekannt waren, kann nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht beantwortet werden. Die Tatsache, dass die Beklagte im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit ihr Kind getötet hat, musste zwar für den Kläger die Annahme einer in diesem Zeitpunkt bestandenen Geisteskrankheit nahelegen, sagte aber - umso mehr, als gegenüber dem Kläger der Zusammenhang mit einer Stillpsychose hergestellt wurde - nichts darüber aus, ob bei der Beklagten schon zum Zeitpunkt der Eheschließung die Veranlagung zu einer (wahrscheinlich) unheilbaren Geisteskrankheit vorhanden war. Daran ändert auch das Wissen um die Erkrankung der Beklagten im Jahr 1989 nichts, zumal die dem Kläger damals gemachten Mitteilungen nicht auf das Vorliegen einer solchen Anlage schließen ließen. Fest steht aber auch, dass der Beklagte nach der Tötung des Kindes mit den behandelnden Ärzten des Krankenhauses gesprochen hat. Was ihm damals gesagt wurde, wurde jedoch nicht festgestellt. Damit kann aber über den damaligen Wissensstand des Beklagten - auch im Zusammenhalt mit der allfälligen Kenntnis des Strafakts - keine verlässliche Aussage getroffen werden.

Da sich somit das Verfahren in mehrfacher Hinsicht als ergänzungsbedürftig erweist, war in Stattgebung der Revision wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.