VfGH vom 15.06.2011, B1339/10

VfGH vom 15.06.2011, B1339/10

19407

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines minderjährigen Russen; keine verfassungskonforme Interessenabwägung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, wurde am in Wien geboren. Seine Eltern, die zuvor am die Ehe geschlossen hatten, waren im Zeitpunkt der Eheschließung beide Staatsangehörige der Russischen Föderation, wobei dem Kindesvater jedoch bereits mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert worden war; der Nachweis über die Entlassung aus dem russischen Staatsverband wurde vom Kindesvater mit erbracht. Am wurde dem Vater die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Am verstarb dieser nach schwerer Erkrankung.

2. Am beantragte der Beschwerdeführer die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom abgewiesen, was - zusammengefasst - damit begründet wurde, dass ein Erwerb der Staatsbürgerschaft auf Grund des Ablebens des Vaters nicht mehr möglich sei.

3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde die Mutter des Beschwerdeführers gemäß § 53 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I 100, (in Folge: FPG) ausgewiesen; der die dagegen erhobene Berufung abweisende Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B696/08, wegen einer Verletzung der Mutter in Art 8 EMRK aufgehoben. Gegen den von der Sicherheitsdirektion Wien in Folge erlassenen Ersatzbescheid vom wurde an den Verfassungsgerichtshof die zu B652/10 protokollierte Beschwerde - der mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde - erhoben.

4. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 FPG ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom keine Folge gegeben. Begründend führte die Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges Folgendes aus:

"Der Berufungswerber, der zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel oder eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügte, verblieb auch nach Ablauf seines Visum[s] in Österreich und hält sich somit seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs 1 FPG vorliegen. In einem solchen Fall können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 66 Abs 1 FPG entgegensteht.

Unzweifelhaft ist der Berufungswerber Fremder iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG, da er nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft ist. Ein allfälliges - wie das vom Berufungswerber ins Treffen geführte - beim Verfassungsgerichtshof anhängiges Verfahren betreffend die Erteilung bzw. Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vermag an diesem Faktum nichts zu ändern.

Es war von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers auszugehen.

Den von ihm ins Treffen geführten und oben ausführlichst dargestellten Bindungen zu Österreich stehen die - unbestrittenen - massiven Bindungen des Berufungswerbers zum Heimatstaat Russland gegenüber. Nicht nur, dass seine Großmutter nach wie vor in Russland lebt, lebt auch der Bruder, I. K., [...] 1990 geboren, in Russland.

Außerdem verfügt auch die Mutter des Berufungswerbers, gegen die eine rechtskräftige Ausweisung erlassen wurde, über massive Bindungen - (zumindest) ihr leiblicher Sohn und ihre Mutter leben in Russland - zu ihrem Heimatstaat. Vor diesem Hintergrund ist eine Rückkehr des Berufungswerbers gemeinsam mit seiner Mutter durchaus zumutbar, zumal er sich in einem Alter befindet, in welchem er an die zum Heimatstaat bestehenden massiven Bindungen (Bruder, Großmutter) anknüpfen kann.

Wenn die Mutter des Berufungswerbers vorbringt, dass ihr Aufenthalt in Österreich finanziell abgesichert ist, so ist in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, dass berufliche[] Bindungen ihrerseits zum Bundesgebiet praktisch nicht vorhanden sind. Wenn sie ferner darauf hinweist, dass sie vom Bruder unterstützt werde, so ist aufgrund des bisherigen Vorbringens nicht ersichtlich, dass eine finanzielle Unterstützung durch den Bruder nicht auch im Ausland möglich wäre (vgl. VwGH Erkenntnis vom , Zlen 2009/18/0328 - 0332-4).

Wenn weiters der Berufungswerber vorbringt, dass er von seinem Onkel in Österreich finanziell unterstützt wird, so ist dem entgegen zu halten, dass der Onkel des Berufungswerbers ihn im Ausland finanziell unterstützen könnte. Der Berufungswerber selbst räumt ein, dass sein Onkel die in Russland lebende Großmutter finanziell unterstützt. Es ist kein Grund hervorgekommen, warum der Onkel den Berufungsweber nicht ebenso in Russland unterstützen könnte.

Berufliche Bindungen des Berufungswerbers sind - allein schon aufgrund seines Alters - keine gegeben.

Nach der Übergangsbestimmung des § 81 Abs 1 des nunmehr geltenden Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) ist ein Verfahren auf Erteilung einer Aufenthalts- oder Niederlassungsberechtigung, das bei In-KraftTreten des NAG am anhängig ist, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Gemäß § 21 Abs 1 NAG sind jedoch Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Eine Entscheidung ist auch im Ausland abzuwarten. Vor diesem Hintergrund zielt die getätigte ausführliche Darstellung der Verfahren hinsichtlich der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ins Leere.

Der Berufungswerber hat unzweifelhaft gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen und dadurch seine Missachtung fremdenrechtlich bedeutsamer Normen klar und eindeutig zu erkennen gegeben.

Die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration ist in ihrem Gewicht jedoch dadurch entscheidend gemindert, dass sein Aufenthalt seit unrechtmäßig war. Der Berufungswerber bzw. seine[] Mutter hätten sich ihres unsicheren aufenthaltsrechtlichen Status bewusst sein müssen (vgl. VwGH Erkenntnis vom , Zlen. 2009/18/0328 - 0332-4, mwN).

Den im Hinblick darauf stark relativierten persönlichen Interessen des Berufungswerbers und seiner Mutter an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt bewirkte erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. dazu etwa das VwGH Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0048, mwN), gegenüber.

Nach der Judikatur des VwGH (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0721, mwN) wäre der Berufungswerber nur dann vor einer Ausweisung geschützt, wenn eine rasche bzw. sofortige Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffes in ein durch Art 8 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben erforderlich wäre. Die angeführten persönlichen Bindungen in Österreich stellen jedoch - auch nach den in der Judikatur des EGMR dargestellten Kriterien (vgl. dazu etwa das VwGH Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0138, mwN) - keine besonderen Umstände im Sinn des Art 8 EMRK dar, die es ihr unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels von Österreich auszureisen.

Wenn von der Mutter des Berufungswerbers auf das offene Verfahren bei der Magistratsabteilung 35 nach den §§43 und 44 NAG hingewiesen wird, so ist damit für ihren Standpunkt nichts gewonnen, zumal gemäß § 44b Abs 3 NAG Anträge nach § 43 Abs 2 und § 44 Abs 3 und 4 leg. cit. kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach dem NAG begründen (vgl. dazu etwa das VwGH Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0217).

Soweit die Mutter des Berufungswerbers vorbringt, dass beim Magistrat der Stadt Wien ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt worden sei und das Verfahren darüber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, ist diesem Vorbringen zu erwidern, dass nach ständiger Judikatur des VwGH selbst die Anhängigkeit eines Niederlassungsverfahrens zu keiner Einschränkung der behördlichen Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung führt (vgl. dazu etwa das VwGH Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0651, mwN; ferner das vorzitierte Erkenntnis, Zl. 2009/18/0217).

Der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers erweist sich zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens - als dringend geboten.

Dem im Hinblick auf das Gebot der Achtung des Privat- und Familienlebens im § 66 Abs 1 FPG verankerten Ausweisungshindernis kann nicht die Bedeutung unterstellt werden, es wäre für Fremde zulässig, sich durch die Missachtung der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden geltenden Vorschriften und die derart bewirkten privaten und familiären Beziehungen im Bundesgebiet ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen (vgl. ).

Es stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben dar, vom Berufungswerber den gesetzlich vorgeschriebenen Weg für eine Familienzusammenführung unter Einhaltung der Bestimmungen über die Antragstellung im Ausland zu verlangen (vgl. ).

Im Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0721[,] wies der VwGH auf die Entscheidung des EGMR vom , Nr. 61292/00 (Useinov gegen die Niederlande), hin, der ein Beschwerdefall zu Grunde lag, in dem ein Fremder, der mit einer Inländerin zwei gemeinsame minderjährige Kinder hatte und bereits mehrere Jahre in den Niederlanden lebte, aber nicht damit rechnen durfte, sich auf Dauer in diesem Staat niederlassen zu dürfen, ausgewiesen wurde. In dieser Entscheidung erachtete der EGMR die Bestimmung des Art 8 EMRK als durch die Ausweisung des Fremden nicht verletzt. Hiebei stellte dieser Gerichtshof (u.a.) darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet wurde, in dem auf ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertraut werden durfte. Weiters erachtete der Gerichtshof in dieser Entscheidung eine Übersiedlung in den Heimatstaat des Fremden nicht als übermäßige Härte für die Familienangehörigen, zumal der Kontakt des Fremden zu seinen Familienangehörigen auch von seinem Heimatland aufrechterhalten werden könne.

Unter den gegebenen Umständen ist der Berufungswerber nicht in der Lage, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vom Inland aus zu legalisieren. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens ist daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten sind, als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Berufungswerbers aus dem Bundesgebiet.

Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und sohin zulässig im Sinne des § 66 FPG 2005 ist (vgl. dazu VwGH-Erk. v. , Zl. 2009/18/0216-8, 2007/18/0657, 2009/18/0328 und 2008/18/0720).

Mangels sonstiger, besonderer zugunsten des Berufungswerbers sprechender Umstände sah die erkennende Behörde keine Veranlassung, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Der Berufung war sohin keine Folge zu geben."

5. In der dagegen an den Verfassungsgerichthof erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten - insbesondere in Art 8 EMRK - geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Gerügt wird darin im Wesentlichen, dass keine Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall stattgefunden habe und die Bescheidbegründung mangelhaft sei.

6. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde ausdrücklich Abstand genommen.

II. Rechtslage

1. Die §§53 Abs 1 und 66 FPG idF BGBl. 122/2009 lauten wie folgt:

"Ausweisung

Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel

§53. (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Gemeinsame Verfahrensbestimmungen

Schutz des Privat- und Familienlebens

§66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

(3) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 18.223/2007 dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

2. Wie die belangte Behörde zunächst zutreffend festhält, hält sich der Beschwerdeführer rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung zu Recht auf § 53 FPG gestützt wurde.

3. Im Lichte der unter Punkt III.1. wiedergegebenen Erwägungen erweist sich die von der Behörde vorgenommene Bescheidbegründung jedoch iSd Art 8 EMRK als unzutreffend:

3.1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist Sohn eines österreichischen Staatsbürgers, der am nach schwerer Erkrankung verstarb. Die Behörde misst dem Faktum, dass der Beschwerdeführer das leibliche Kind eines österreichischen Staatsbürgers ist, jedoch keine Bedeutung bei, obwohl sich daraus sogar "exceptional circumstances" iSd Rechtsprechung des EGMR ergeben könnten, die letztlich im Falle des Vollzuges der Ausweisung zu einer Verletzung des Art 8 EMRK führen könnten (vgl. dazu etwa EGMR , Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, Z 39, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

Denn wie unter Punkt I.2. dargelegt, wurde dem Beschwerdeführer der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft im diesbezüglichen Verwaltungsverfahren lediglich deswegen verwehrt, weil der Kindesvater zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht mehr am Leben war - ein Umstand der weder vom Beschwerdeführer zu vertreten ist noch im Lichte der durch Art 8 EMRK geschützten Interessen gegen ihn gewendet werden kann.

Vor diesem Hintergrund konnte der Beschwerdeführer die künftige Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vertretbar erwarten, weshalb zudem der Vorwurf "des Bewusstseins eines unsicheren aufenthaltsrechtlichen Status" jedenfalls nicht in dem von der belangten Behörde gewichteten Maße trägt.

3.1.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag ferner auch den Vorwurf der belangten Behörde nicht zu teilen, der Beschwerdeführer hätte "seine Missachtung fremdenrechtlich bedeutsamer Normen klar und eindeutig zu erkennen gegeben", zumal die Behörde dabei einerseits die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt (vgl. zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen , unter Hinweis auf ) und andererseits mit ihren Ausführungen zur Auslandsantragstellung offenbar übersieht, dass der Beschwerdeführer nicht in das Bundesgebiet eingereist ist, sondern hier geboren wurde.

3.1.3. Wenn die belangte Behörde zudem von "massiven Bindungen" des (in Österreich geborenen und hier seitdem ununterbrochen lebenden) Beschwerdeführers zur Russischen Föderation auf Grund eines dort lebenden volljährigen Halbbruders und einer Großmutter ausgeht, wäre von ihr zugleich die tatsächliche Intensität der Beziehung des Beschwerdeführers zu diesen Verwandten darzulegen gewesen, da diese Bindungen gegenüber den in Österreich bestehenden (auch familiären) Bindungen zu gewichten und abzuwägen wären.

3.1.4. Bemerkenswert ist schließlich, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich berufliche Bindungen des minderjährigen Beschwerdeführers anspricht (und verneint), aber mit keinem Wort den vorgebrachten Besuch des Kindergartens oder die akzentfreien Deutschkenntnisse in ihre Abwägung einbezieht; auch dass die Familie über Liegenschaftsvermögen in Österreich verfügt und sich das Grab des Vaters hier befindet wäre in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt zu lassen (vgl. zu letzterem Frowein/Peukert, EMRK³, 2009, Art 8, Rz 40).

3.2. Aus den dargestellten Gründen ist die Entscheidung der belangten Behörde, dass bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers, die öffentlichen Interessen überwiegen, verfassungsrechtlich nicht vertretbar.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer wurde somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- und Eingabegebühr in der Höhe von € 220,- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.