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OGH vom 29.05.1990, 10ObS121/90

OGH vom 29.05.1990, 10ObS121/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Dr. Josef Fellner (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria Theresia H***, Pensionistin, 6811 Göfis, Etze 69, vertreten durch Dr. Wilhelm Winkler, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei S*** DER

B***, 1031 Wien, Ghegastraße 1, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Rs 123/89-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 34 Cgs 47/89-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin bezieht von der beklagten Partei eine Witwenpension nach ihrem am verstorbenen Ehemann. Im Verlassenschaftsverfahren gab sie am neben den fünf ehelichen Kindern des Erblassers auf Grund des Gesetzes zu einem Drittel des Nachlasses die bedingte Erbserklärung ab. Am selben Tag schlossen sie und andere Erben ein Übereinkommen, in dem unter anderem die Klägerin ihren Erbteil einem ihrer Söhne übertrug. Als Gegenleistung hiefür wurde ihr ein Wohn- und Ausgedingsrecht eingeräumt. Am wurde der Nachlaß den Erben unter Hinweis auf das Erbenübereinkommen eingeantwortet. Zum Nachlaß gehörte ein landwirtschaftlicher Betrieb.

Mit Bescheid vom entschied die beklagte Partei über die der Klägerin in der Zeit vom bis zustehende Ausgleichszulage, die sie für mehrere Zeiträume in verschiedener Höhe festsetzte. Dabei wurden die der Klägerin auf Grund des Erbübereinkommens gebührenden Sachbezüge gemäß § 140 Abs 3 BSVG berücksichtigt. Über die ab zustehende Ausgleichszulage wurde eine gesonderte "Mitteilung" angekündigt. Der Bescheid wurde von der Klägerin nicht bekämpft.

Mit Bescheid vom setzte die beklagte Partei die der Klägerin ab gebührende Ausgleichszulage mit 809,60 S monatlich fest, wobei die Sachbezüge wieder auf die angeführte Art als Einkommen berücksichtigt wurden.

In ihrer gegen diesen Bescheid eingebrachten Klage begehrte die Klägerin, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr die Ausgleichszulage unter Anwendung des § 140 Abs 7 BSVG in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Die beklagte Partei bestritt, daß die Voraussetzungen für eine Pauschalanrechnung nach § 140 Abs 7 BSVG gegeben seien; die Klägerin sei nie Eigentümerin des landwirtschaftlichen Betriebes ihres Ehemannes gewesen. Die beklagte Partei beantragte ferner die Zurückweisung der Klage wegen "Unzulässigkeit des Rechtsweges infolge res judicata" und brachte hiezu vor, daß über die Grundlage zur Berechnung der Ausgleichszulage schon mit dem Bescheid vom rechtskräftig entschieden worden sei. In diesem Punkt habe sich gegenüber dem mit der Klage bekämpften Bescheid keine Änderung ergeben; dieser habe nur die gemäß Art. III Abs 5 der

11. BSVG-Nov aufgeschobene Anpassung der Pensionen zum Gegenstand gehabt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, erkannte die beklagte Partei aber zur Bezahlung der Ausgleichszulage in der im bekämpften Bescheid festgesetzten Höhe schuldig. Es war, ohne über die Unzulässigkeit des Rechtsweges oder die Rechtskraft ausdrücklich abzusprechen, hiezu der Meinung, daß der Bescheid vom über den Juni 1988 hinaus keine Wirkung gehabt habe. Überdies rechtfertige die infolge der Pensionsanpassung eingetretene Änderung eine Neufeststellung der Ausgleichszulage ohne Bindung an die Grundlagen früherer Entscheidungen. Die Voraussetzungen für eine Pauschalanrechnung nach § 140 Abs 7 BSVG seien nicht gegeben, weil die Klägerin nicht Eigentümerin des landwirtschaftlichen Betriebes geworden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es prüfte zunächst unter Berufung auf § 42 Abs 1 JN, ob die im Verfahren erster Instanz eingewendete "Unzulässigkeit des Rechtsweges infolge res judicata" vorliegt, und kam hier zu dem Ergebnis, daß der Rechtsweg nicht unzulässig sei, weil die beklagte Partei über den eingeklagten Anspruch bereits mit Bescheid entschieden habe und die Klage rechtzeitig erhoben worden sei. Auch res judicata sei nicht gegeben, weil bei der Neufeststellung der Ausgleichszulage nach § 144 Abs 3 BSVG keine Bindung an die Grundlagen früherer Entscheidungen bestehe. In der Sache habe das Erstgericht zutreffend die Anwendung der Pauschalierungsbestimmung des § 140 Abs 7 BSVG abgelehnt, weil die Klägerin nie Eigentümerin eines Anteils am landwirtschaftlichen Betrieb gewesen sei. Da das Erbübereinkommen zugleich mit der Einantwortung wirksam geworden sei, habe sie sich im selben Moment, in dem sie das Eigentum hätte erwerben können, dessen durch die Erbteilung begeben. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn eines Aufhebungsantrages, der in dem auf Abänderung lautenden Revisionsantrag eingeschlossen ist (SZ 48/1, SZ 48/19 ua), berechtigt.

Aus dem Vorbringen, das der von der beklagten Partei erhobenen Einrede der "Unzulässigkeit des Rechtsweges wegen res judicata" zugrundeliegt, ergibt sich, daß es sich dabei nicht um die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges oder der Rechtskraft im Sinn des § 240 Abs 3 ZPO handelt, zumal die zuletzt genannte Einrede die Behauptung voraussetzen würde, daß über den eingeklagten Anspruch schon durch ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes entschieden wurde. Die beklagte Partei macht mit ihrer Einrede vielmehr geltend, daß die Gerichte an den Vorbescheid gebunden seien. Sie bestreitet also nicht das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen, weshalb die Rechtsprechung nicht zum Tragen kommt, daß der Oberste Gerichtshof an eine hierüber ergangene, wenn auch nur in den Gründen zum Ausdruck kommende Entscheidung der Vorinstanzen gebunden ist (MGA ZPO14 § 42 JN/27). Der Oberste Gerichtshof hat vielmehr die Frage der Bindung an den Vorbescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Sache (und nicht, wie das Berufungsgericht dies tat, auf Grund des § 42 Abs 1 JN) unabhängig von der Entscheidung der Vorinstanzen zu prüfen, wobei den Vorinstanzen im Ergebnis allerdings beizupflichten ist.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes geht es nicht um die Bedeutung des § 144 Abs 3 BSVG (oder des damit übereinstimmenden § 296 Abs 3 ASVG und § 153 Abs 3 GSVG), weil im ersten Bescheid die Ausgleichszulage nur bis festgesetzt wurde. Da der § 144 Abs 2 BSVG (ebenso wie § 296 Abs 2 ASVG und § 153 Abs 2 GSVG) es erfordert festzustellen, ob am Tag der Entscheidung ein Anspruch auf Ausgleichszulage besteht, mußte schon auf Grund dieser Bestimmung darüber entschieden werden, in welcher Höhe die Klägerin ab Juli 1988 einen solchen Anspruch hat, ohne daß eine Änderung der Sach- und Rechtslage notwendig war. Auf den demnach hier nicht anzuwendenden § 144 Abs 3 BSVG muß deshalb nicht weiter eingegangen werden. Die von der beklagten Partei geltend gemachte Bindungswirkung ist schon deshalb zu verneinen, weil die beiden Bescheide verschiedene Zeiträume betreffen und daher die Ansprüche, über die entschieden wurde, nicht identisch sind. Die Identität des Anspruchs (der Sache) ist aber Voraussetzung für die Bindungswirkung einer Entscheidung (vgl. hiezu für das gerichtliche Verfahren Fasching, ZPR2 Rz 1497 ff und 1514 f; für das Verwaltungsverfahren Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht2 532 und 539 f sowie Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht4 Rz 465 ff bei allerdings etwas anderer Terminologie).

In der Sache ist richtig, daß im § 140 Abs 7 BSVG (ebenso wie im vergleichbaren § 292 Abs 8 ASVG und § 149 Abs 7 GSVG) vom bisherigen Eigentümer (des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes) die Rede ist. Ferner ist richtig, daß ein Erbe, der sein Erbrecht in einem Übereinkommen vor der Einantwortung auf einen anderen Erben überträgt, das Eigentum an den zum Nachlaß gehörenden Sachen nicht erwirbt (vgl. Kralik in Ehrenzweig, System3 IV 339). Die Klägerin war daher nicht Eigentümerin des zum Nachlaß gehörenden landwirtschaftlichen Betriebes oder eines Anteils daran. Die Vorinstanzen und die beklagte Partei haben jedoch den Begriff des Eigentümers im § 140 Abs 7 BSVG zu eng gesehen. Es ist darunter (wie auch im § 292 Abs 8 ASVG und § 149 Abs 7 GSVG) nicht bloß der sachenrechtliche Eigentümer, sondern auch jemand zu verstehen, der wirtschaftlich dem sachrechtlichen Eigentümer gleichgestellt ist, also auch jemand, der ein Recht auf Übertragung des Eigentums an einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb oder einem Teil daran hat. Zu denken ist etwa an den Fall, in dem das Eigentumsrecht nacheinander auf mehrere Personen außerbücherlich übertragen und nur der letzte Übernehmer gemäß § 22 GBG im Grundbuch eingetragen wird und damit die Zwischenberechtigten nicht Eigentum erwerben. Es ließe sich wohl nicht begründen, daß für die Zwischenberechtigten § 140 Abs 7 BSVG (§ 292 Abs 8 ASVG,§ 149 Abs 7 GSVG) nur deshalb nicht anzuwenden ist, weil sie nicht im Grundbuch eingetragen und aus diesem Grund nicht Eigentümer des landwirtschaftlichen Betriebes wurden. Für die angeführte Ansicht sprechen nicht zuletzt die Gesetzesmaterialien, in denen die Regelung über die Pauschalanrechnung mit der in der Land- und Forstwirtschaft verbreiteten Gepflogenheit begründet wird, bei Übergabe eines Betriebes ein Ausgedinge zu vereinbaren (vgl. die Darstellung in SSV-NF 2/129). Dies gebietet aber eine nicht bloß sachenrechtliche, sondern wirtschaftliche Betrachtungsweise.

Die Möglichkeit, ein Ausgedinge zu vereinbaren, hat auch der Erbe, der sein Erbrecht auf einen anderen überträgt, und auch ein Zwischenberechtigter im Sinn des § 22 GBG. Es wäre unter diesem Gesichtspunkt sachlich nicht gerechtfertigt, einen solchen Erben anders als denjenigen zu behandeln, der das Erbteilungsübereinkommen erst nach der Einantwortung und damit zu einem Zeitpunkt schließt, in dem er schon Eigentümer eines Teiles des Nachlasses und damit auch des zu diesem gehörenden land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes geworden ist, zumal es für die Pauschalanrechnung auch nicht darauf ankommt, ob der Berechtigte den Betrieb jemals selbst bewirtschaftet hat (10 Ob S 89/90).

Die Klägerin, der als Erbin ein Recht auf Übertragung des Eigentums an einem Anteil an dem zum Nachlaß gehörenden landwirtschaftlichen Betrieb ihres verstorbenen Ehemannes zustand, hat also dadurch, daß sie über dieses Recht im Erbteilungsübereinkommen verfügte, im Sinn des § 140 Abs 7 GSVG einen landwirtschaftlichen Betrieb übergeben, weshalb sich das bei der Feststellung der Ausgleichszulage zu berücksichtigende Einkommen nach dieser Bestimmung und nicht nach dem Wert der ihr zustehenden Sachbezüge richtet. Da es demnach darauf ankommt, welchen Einheitswert die übergebenen Flächen im Zeitpunkt der Übergabe hatten, und Feststellungen hierüber fehlen, war die Rechtssache gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 510 Abs 1 und § 496 Abs 3 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.