OGH vom 28.03.2001, 9Ob296/00w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am geborenen mj. Laura S*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter Maria*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 371/00w-115, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 16 Abs 4 AußStrG (§ 508a Abs 2 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen (§ 8 Abs 1 ZustG). Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 8 Abs 2 ZustG).
§ 8 ZustG ist auch in Verfahren außer Streitsachen anzuwenden (Gitschthaler in Rechberger, ZPO2 Rz 4 zu § 87 ZPO [§ 8 ZustG]). Entgegen den Ausführungen der Revisionsrekurswerberin erfordert der Begriff der "Änderung der Abgabestelle", welche die unverzügliche Meldepflicht auslöst, keine dauernde Verlegung. Vielmehr ist eine Änderung der Abgabestelle iSd § 8 Abs 1 ZustG auch dann anzunehmen, wenn die Partei an dieser zumindest für einen unverhältnismäßig längeren Zeitraum nicht mehr anzutreffen ist. Dabei ist auch die Vorhersehbarkeit der Zustellung während dieser Zeit zu berücksichtigen. Nur bei einer bloß vorübergehenden, kurzfristigen Abwesenheit - wie im Fall von Krankheit, Urlaub oder einer Geschäftsreise - ist keine Änderung der Abgabestelle iSd genannten Bestimmung anzunehmen (RZ 1988/65; 9 ObA 172/92 mwN; Gitschthaler aaO Rz 6 zu § 87 ZPO [§ 8 ZustG]). Die rund ein halbes Jahr währende Abwesenheit der Revisionsrekurswerberin ist in Anbetracht des ihr bekannten, laufenden Pflegschaftsverfahrens unverhältnismäßig lang und sohin bereits als eine Änderung der bisherigen Abgabestelle anzusehen (9 ObA 172/92).
Wird die Mitteilung an die Behörde unterlassen, so ist die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch an der bisherigen Abgabestelle vorzunehmen, falls eine neue Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Als bisherige Abgabestelle iSd § 8 Abs 1 ZustG ist jene Abgabestelle anzusehen, die nach Kenntnis der Partei vom Verfahren der Behörde als deren Abgabestelle bekannt ist (RIS-Justiz RS0006044).
Die Behörde hat Erhebungen zur Ermittlung einer neuen Abgabestelle durchzuführen, wobei sie allerdings nach den Gesetzesmaterialien nur verpflichtet ist, einfache, zumutbare Hilfsmittel heranzuziehen (vgl bei Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren5 Anm 1a zu § 8 ZustG; Walter/Mayer, Zustellrecht, Anm 13 zu § 8 ZustG; Gitschthaler aaO Rz 11 zu § 87 ZPO [§ 8 ZustG]). Grundsätzlich entspricht die Behörde dieser Ausforschungspflicht, wenn sie bei natürlichen Personen eine entsprechende Anfrage an die Meldebehörde richtet (vgl Zl 95/01/0551; ZfVB 1997/2200; ZfVB 1998/104; Zl 2000/01/0384; RIS-Justiz RS0000007; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 Rz 206).
Ob eine solche Feststellung "ohne Schwierigkeiten" möglich ist, muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden ( Zl 91/14/0156; ÖStZB 1994, 560; Feil, Zustellwesen4, Rz 9 zu § 8 ZustG), denen in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage zu bejahen, wenn eine krasse Fehlbeurteilung vorliegt, die zu einem unvertretbaren Ergebnis führt (RIS-Justiz RS0042776, RS0042405).
Ein derartiger Fall liegt jedoch nicht vor. Die Beurteilung des Rekursgerichtes, wonach im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 8 ZustG gegeben sind, ist keineswegs unvertretbar. Das Erstgericht hat nach der Mitteilung des Postamtes, dass die Revisionsrekurswerberin seit 5 1/2 Monaten bis auf Widerruf ortsabwesend sei, eine Auskunft des Zentralmeldeamtes eingeholt und auch noch weitere Zustellversuche an anderen Adressen vorgenommen, ehe es zur Hinterlegung nach § 8 ZustG ohne vorausgehenden Zustellversuch an der bisherigen Abgabestelle kam; es ist daher keineswegs vorschnell nach dieser Bestimmung vorgegangen. Es mag zwar durchaus zutreffen, dass die Revisionsrekurswerberin nach mehr als halbjähriger Abwesenheit zum Zeitpunkt der Hinterlegung nach § 8 ZustG am bereits wieder an die bisherige Adresse zurückgekehrt war; sie übersieht jedoch, dass sie lediglich dem Postamt gegenüber mitgeteilt hat, bis auf Widerruf ortsabwesend zu sein, dies aber ohne Hinweis darauf, wie lange die Ortsabwesenheit dauern wird. Abgesehen davon, dass eine solche Mitteilung der auf unbestimmte Zeit ortsabwesenden Person gegenüber dem Postamt (wie auch der am erfolgte Widerruf) nicht von der Obliegenheit nach § 8 Abs 1 ZustG gegenüber dem Gericht entbindet (vgl ZfVB 1990/261), war für dieses mangels Mitteilung der Revisionsrekurswerberin auch gar nicht absehbar, dass sich die Revisionsrekurswerberin ab wieder an der bisherigen Abgabestelle aufhalten werde.
In der Rechtsauffassung, dass bei dieser Sachlage keine Veranlassung zu weiteren Erhebungen bestand, kann keine krasse Fehlbeurteilung der Vorinstanzen erblickt werden ( Zl 2000/01/0384). Ein ständiges Wiederholen der Einholung von Meldeauskünften in der schlichten Hoffnung, es werde wieder eine Rückkehr an die Abgabestelle erfolgen, kann vom Gericht nicht verlangt werden. Folgte man der Argumentation der Revisionsrekurswerberin, so wäre eine Zustellung nach § 8 ZustG praktisch kaum möglich, weil sich schon im Zeitpunkt des Einlangens der Meldeauskunft der gemeldete Sachverhalt wieder geändert haben kann. Gerade dieser Aspekt dokumentiert aber die besondere Abhängigkeit der Beurteilung der Frage von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles.
Die Möglichkeit der Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch, hebt entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin nicht in einer Art 6 EMRK verletzenden Weise den Grundsatz des rechtlichen Gehörs auf. § 8 ZustG verpflichtet nicht jeden potentiellen Empfänger, stets auf eine behördliche Zustellung gefasst zu sein und deshalb Nachschau zu halten oder für eine Nachsendung oder eine Vertretung Vorsorge zu treffen (Gitschthaler aaO Rz 1 zu § 87 [§ 8 ZustG]), sondern nur jenen, der bereits von einem bestimmten Verfahren Kenntnis hat, sei es, dass es über seinen Antrag (wie im vorliegenden Fall) eingeleitet wurde, oder ihm der verfahrenseinleitende Schriftsatz rechtswirksam zugestellt wurde (Gitschthaler aaO Rz 2 zu § 87 [§ 8 ZustG]). Im Hinblick auf verfassungsrechtliche Überlegungen auf Grund Art 6 EMRK ist jedoch etwa in lang andauernden Pflegschaftsverfahren zu berücksichtigen, dass das Verfahren nicht erst mit der Entfertigung des Minderjährigen, sondern mit jedem einzelnen Verfahrensabschnitt (zB Verfahren über einen Unterhaltsantrag) als beendet anzusehen ist (Gitschthaler aaO Rz 4 zu § 87 [§ 8 ZustG]). Letztere Voraussetzung ist hier gegeben. Unter den gegebenen Voraussetzungen war es aber allein Sache der Revisionsrekurswerberin entsprechende Vorsorge zu treffen, dass dem Gericht im laufenden Verfahren ihre jeweilige Abgabestelle bekannt ist (vgl RIS-Justiz RS0074885).
Da § 14 Abs 1 AußStrG keinen Unterschied zwischen Beschlüssen des Rekursgerichtes macht, mit denen in der Sache selbst erkannt, und solchen, mit denen nur formell über ein Rechtsmittel entschieden wird, ist daher der Revisionsrekurs gegen einen Zurückweisungsbeschluss gleichfalls nur dann zulässig, wenn - abgesehen von den Fällen des § 14 Abs 2 AußStrG - die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG abhängt (EFSlg 64.647, 64.684, 67.427, 70.432; RIS-Justiz RS0007190). Da eine solche nicht vorliegt, war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.