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VfGH vom 12.03.1992, B1334/91

VfGH vom 12.03.1992, B1334/91

Sammlungsnummer

13037

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter mangels selbständiger Prüfung aller gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schubhaft durch den angerufenen unabhängigen Verwaltungssenat

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen der Beschwerdevertreter die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Am wurde der liberianische Staatsangehörige B J im Gemeindegebiet Schattendorf (Burgenland) von Sicherheitsorganen gemäß § 10 Abs 2 Fremdenpolizeigesetz (FrPolG) festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg vorgeführt, die gegen ihn - am selben Tag - zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 3 FrPolG einen Schubhaftbescheid gemäß § 5 Abs 1 FrPolG erließ. Am - bei der belangten Behörde eingelangt am - ergriff der in der Folge in Wien weiter in Schubhaft angehaltene Fremde gemäß § 5 a FrPolG das Rechtsmittel der Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, der diese Beschwerde mit Bescheid vom als "unbegründet" abwies.

1.2.1. Gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde des B J an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Verwaltungsaktes, hilfsweise aber die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt.

1.2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als belangte Behörde legte die Administrativakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Ein Beschwerderecht nach § 5 a Abs 1 FrPolG steht (nur) jenen Personen zu, die - tatsächlich - in Schubhaft genommen und angehalten werden. Diese einfachgesetzliche Regelung entspricht der Verfassungsvorschrift des Art 6 Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG), BGBl. 684/1988, die jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, somit allen bereits festgenommenen oder angehaltenen Personen (nicht aber in Freiheit befindlichen Adressaten eines Schubhaftbescheides), die Anrufung eines Gerichtes oder einer anderen unabhängigen Behörde garantiert. Die Befugnis, den unabhängigen Verwaltungssenat mit Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid anzurufen, räumt § 5 a FrPolG seinem klaren Wortlaut nach dem Bescheidadressaten nicht ein. Gegenstand einer Beschwerde nach § 5 a Abs 1 FrPolG ist daher nicht ein derartiger Schubhaftbescheid gemäß § 5 Abs 1 FrPolG - ihn zu überprüfen obliegt gemäß § 11 Abs 2 und 3 FrPolG allein der Sicherheitsdirektion als Berufungsinstanz -, sondern die Festnahme und Anhaltung (des Fremden) selbst. Der Verfassungsgerichtshof ist, wie im Erkenntnis vom , G346/91, G5,6/92 dargelegt, der Auffassung, daß der unabhängige Verwaltungssenat - als Haftprüfungsinstanz - nach § 5 a FrPolG über die Frage der Rechtmäßigkeit der Anhaltung (in die jede - tatsächliche - Inhaftnahme für wenn auch noch so kurze Zeit mündet) im Zeitpunkt seiner Entscheidung - so aber die Haft schon früher endete: in dem unmittelbar vor der Freilassung liegenden Zeitpunkt - zu befinden hat. Der Prüfungsmaßstab, den der über die Beschwerde absprechende unabhängige Verwaltungssenat seiner Kontrolle zugrundelegen muß, kann angesichts des Gesetzeswortlautes und unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Art 6 PersFrG nicht zweifelhaft sein: § 5 a FrPolG gibt dem Schubhäftling das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat als Beschwerdeinstanz mit der Behauptung der "Rechtswidrigkeit" der Festnahme/Anhaltung anzurufen. Demgemäß hat diese unabhängige Behörde die Frage der (formellen wie materiellen) Rechtmäßigkeit der Anhaltung (im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, gegebenenfalls im Zeitpunkt unmittelbar vor der Freilassung) nach jeder Richtung hin selbständig zu untersuchen und jedwede unterlaufene Gesetzwidrigkeit, also nicht etwa nur qualifiziert rechtswidriges behördliches Handeln, festzustellen und aufzugreifen. Daß der Inhaftnahme des Fremden die Erlassung eines Schubhaftbescheides (der vollstreckbar wurde) vorausgegangen sein und zugrundeliegen muß, ist dabei nur eine der mehreren gesetzlichen Voraussetzungen der (fortdauernden) Haftanhaltung, deren Zutreffen der unabhängige Verwaltungssenat in Behandlung einer Beschwerde nach § 5 a Abs 1 FrPolG ohne Bindung an die Rechtsauffassung der nach § 5 Abs 1 FrPolG eingeschrittenen Behörde in einem eigenständigen Haftprüfungsverfahren (auf Beschwerde des Häftlings hin) voll zu prüfen hat.

2.2.1. Dieser Verpflichtung kam die belangte Behörde nicht nach. Sie verweigerte dem Beschwerdeführer vielmehr - wie aus den maßgebenden Gründen ihres Bescheides unmißverständlich hervorgeht - die ihr kraft § 5 a FrPolG aufgetragene (umfassende) Prüfung der Frage, ob hier alle gesetzlichen Schubhaftvoraussetzungen erfüllt seien, weil sie in Verkennung ihrer im FrPolG festgelegten Zuständigkeit der verfehlten Rechtsauffassung anhing, sie habe die Haftvoraussetzungen nicht selbständig an Hand des Gesetzes zu kontrollieren, sondern den (der Haft vorausgegangenen) Schubhaftbescheid auf schwere und offenkundige Mängel zu prüfen, dh. zu untersuchen, ob dieser Verwaltungsakt willkürlich ergangen sei oder an Denkunmöglichkeit oder Gesetzlosigkeit leide. Statt dessen hätte die belangte Behörde in Wahrnehmung ihrer Haftprüfungskompetenz nach dem eingangs Gesagten auf Grund des Gesetzes eigenständig darüber befinden müssen, ob alle formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zutrafen.

2.2.2. Soweit sich die belangte Behörde also - ungeachtet der Formulierung des Spruches ihres Bescheides - einem Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Haft entzog, verweigerte sie dem Beschwerdeführer gesetzwidrig eine Sachentscheidung und verletzte ihn dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG (VfSlg. 11958/1989 uva.).

2.2.3. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne daß es notwendig war, auf das Beschwerdevorbringen selbst noch weiter einzugehen.

2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG 1953; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf Umsatzsteuer.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.