TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 13.06.2017, 10Ob28/17s

OGH vom 13.06.2017, 10Ob28/17s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schramm, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Kindes M*****, geboren am *****, wegen Kontaktrechts des Vaters Dr. T*****, vertreten durch Rechtsanwälte Pieler Pieler Partner KG in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Dr. M*****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 12/17d129, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 6 Ps 67/16s122, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen, soweit er die Aufhebung des Spruchpunkts 1 der erstinstanzlichen Entscheidung (Kontaktrechtsantrag des Vaters vom , ON 6) bekämpft.

2. Im Übrigen wird dem Rekurs Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der in der Bestätigung des Spruchpunkts 4 der erstinstanzlichen Entscheidung (vorläufige Obsorgeübertagung) rechtskräftig ist, wird in der Festsetzung eines vorläufigen Kontaktrechts aufgehoben. Dem Rekursgericht wird in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Obsorge für den 13jährigen Sohn kommt der Mutter zu. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Ausübung eines Kontaktrechts des Vaters und die Teilnahme beider Eltern an einer Erziehungsberatung.

Das Erstgericht wies den auf regelmäßige Kontakte an Wochenenden und bestimmten Tagen gerichteten Antrag des Vaters ab (Spruchpunkt 1). Ebenfalls abgewiesen wurden seine Anträge auf Anordnung einer Erziehungsberatung (Spruchpunkt 2) sowie auf Einräumung eines vorläufigen, regelmäßigen Kontaktrechts im Ausmaß von zwei Mal im Monat jeweils 50 Minuten im Rahmen einer Therapie (Spruchpunkte 3 und 5). Das Erstgericht stellte dazu fest, dass das knapp vor der Mündigkeit stehende Kind jeglichen weiteren Kontakt zu seinem Vater ernstlich und aus freien Stücken ablehnt. Es ist diesbezüglich einsichts und urteilsfähig. Ein nicht vom Kind selbst ausgehender Kontakt mit dem Vater würde die seelische Integrität des Kindes gefährden, seine Wertschätzung für den Vater weiter verringern, seine Loyalitätskonflikte und Schuldgefühle jedoch verstärken, seinen Interessen zuwiderlaufen und es insgesamt beeinträchtigen.

Diese Feststellungen begründete der Erstrichter mit der persönlichen Befragung des Kindes am und dessen in vier Briefen (an das Gericht) geäußerten vehementen Ablehnung von Kontakten, welche die im persönlichen Gespräch mit dem Kind gewonnene Einschätzung unterstützten. Daran könnten auch die Schlussfolgerungen des gerichtlichen Sachverständigen in seinem vor fast einem Jahr erstatteten Gutachten sowie die telefonische und schriftliche Stellungnahme des Kindertherapeuten nichts ändern. Eine neuerliche Begutachtung durch den zwischenzeitlich verstorbenen Sachverständigen sei unmöglich. Die Befassung eines anderen Sachverständigen würde zu einer Verzögerung des Verfahrens führen, die das Wohl des Kindes gefährden könnte.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, § 108 AußStrG sei noch nicht anzuwenden, weil das Kind das 14. Lebensjahr erst am vollenden werde. Die deshalb gebotene inhaltliche Prüfung des Kontaktrechtsantrags habe zum Ergebnis geführt, dass ein weiterer, nicht vom einsichts und urteilsfähigen Kind ausgehender Kontakt dessen Interessen beeinträchtigen würde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters (soweit noch relevant) teilweise Folge. Es hob den angefochtenen Beschluss im Spruchpunkt 1 (Abweisung des Kontaktrechtsantrags vom , ON 6) auf und trug dem Erstgericht diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung auf, ohne den Revisionsrekurs dagegen zuzulassen. Zudem räumte es dem Vater ein vorläufiges regelmäßiges Kontaktrecht im Ausmaß von zwei Mal im Monat jeweils 50 Minuten im Rahmen der Therapie beim Therapeuten des Kindes ein und trug beiden Eltern eine monatliche Erziehungsberatung in der Dauer von einem halben Jahr auf. Gegen diesen Teil der Entscheidung wurde der Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zugelassen.

Das Rekursgericht erachtete die Beweiswürdigung des Erstgerichts als nicht frei von Mängeln, wenn es den sachverständigen Ausführungen aufgrund der seitdem vergangenen Zeit die Beweiskraft abspreche, sei doch die evaluierende Stellungnahme des Sachverständigen erst vier Monate vor der Einvernahme des Kindes eingelangt. Die pauschale Ablehnung der Ansicht des Sachverständigen überzeuge nicht. Wenn das Erstgericht die Motivation des Kindes für die Ablehnung des Vaters als irrelevant erachte, stelle es in Wahrheit die Willensäußerung eines erst knapp 13jährigen jener eines bereits Mündigen gleich, wofür es angesichts der ausdrücklichen Regelung des § 108 AußStrG keinen Anhaltspunkt gebe. Die vorgelegten Briefe des Kindes ließen eine unmissverständliche und bedingungslose Ablehnung seines Vaters nicht erkennen, sondern vielmehr eine durch große Unsicherheit und Zerrissenheit hervorgerufene Äquivalenz, die genau mit dem vom Sachverständigen diagnostizierten Loyalitätskonflikt korreliere. Es wäre daher erforderlich gewesen, die Aussage des Kindes im Lichte der sachverständigen Ausführungen und der Ansicht des Kindertherapeuten deutlich zu hinterfragen. Allerdings bleibe es dem Rekursgericht verwehrt, inhaltlich selbst eine Entscheidung – allenfalls nach Verfahrenswiederholung oder ergänzung – zu fällen, weil das Erstgericht über die von der Mutter behauptete Befangenheit des Sachverständigen noch nicht entschieden habe.

Aus dem bisherigen Beweisverfahren, insbesondere dem ausführlich und detaillierten Sachverständigengutachten und der diesem nicht entgegentretenden Ansicht des Therapeuten ergebe sich, dass die Kontaktkarenz kindeswohlgefährdend sei, weil sie den Loyalitätskonflikt fördere und mit großer Wahrscheinlichkeit zum Totalverlust des Vaters führen werde. Aus diesen Erwägungen schloss sich das Rekursgericht der Empfehlung des Sachverständigen an und erachtete vorläufige – 14tägige jeweils 50minütige – Kontakte des Vaters im therapeutischen Setting als essentiell, um eine weitere Kindeswohlgefährdung hintanzuhalten.

Es trug dem Erstgericht auf, im fortgesetzten Verfahren über die Ablehnung des Sachverständigen zu entscheiden und erst, wenn dessen Unbefangenheit feststehe, unter ausführlicher Berücksichtigung der sachverständigen Beurteilung, der Ansicht des Therapeuten und der Stellungnahme des KJHT festzustellen, ob und inwieweit ein Kontaktrecht des Vaters das Wohl des Kindes gefährde oder im Gegenteil dessen Wohl diene. Die Meinung des Kindes sei dafür lediglich als ein Entscheidungsparameter zu berücksichtigen.

Die Mutter bekämpft in ihrem (außerordentlichen) Revisionsrekurs die Aufhebung der Entscheidung über den Kontaktrechtsantrag des Vaters sowie die Anordnung eines vorläufigen Kontaktrechts im Rahmen eines therapeutischen Settings.

Rechtliche Beurteilung

1. Ihr Rechtsmittel gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts ist nach § 64 Abs 1 AußStrG jedenfalls unzulässig, weil das Rekursgericht den Revisionsrekurs nicht zugelassen hat (RISJustiz RS0030814; RS0109580). In diesem Umfang ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

2.1 Der gegen den abändernden Teil der Rekursentscheidung gerichtete – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof vom Vater beantwortete – Revisionsrekurs ist hingegen zulässig und im Sinne einer Aufhebung berechtigt.

2.2 Die (neuerliche) Ablehnung des Erstrichters durch den Vater vom (ON 131) ist mittlerweile rechtskräftig erledigt. Das Rekursgericht bestätigte in seiner Entscheidung vom (ON 137) die Zurückweisung des Ablehnungsantrags. Gegen diese Entscheidung ist nach dem auch im Außerstreitverfahren anzuwendenden § 24 Abs 2 JN kein Rechtsmittel mehr zulässig (RISJustiz RS0098751 [T12]; RS0007183; RS0017269).

2.3 § 107 Abs 2 AußStrG idF KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, ermöglicht (ua) die Einräumung eines vorläufigen Kontaktrechts. Vorläufige Maßnahmen dürfen bereits zur Förderung des Kindeswohls gesetzt werden (vgl RISJustiz RS0129538).

2.4 Das Erstgericht gründete seine Feststellung, dass jegliche, nicht vom Kind ausgehende Kontakte zum Vater die seelische Integrität des Kindes gefährden, seine Loyalitätskonflikte und Schuldgefühle verstärken, seinen Interessen zuwiderlaufen und das Kind insgesamt beeinträchtigen würden, insbesondere auf die Vernehmung des Kindes, also einen in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweis. Das Rekursgericht hielt die Beweiswürdigung des Erstgerichts angesichts der Schlussfolgerungen des gerichtlichen Sachverständigen und des Therapeuten des Kindes für nicht überzeugend, sah sich aber aufgrund der nicht rechtskräftig erledigten Ablehnung des Sachverständigen nicht in der Lage, selbst eine endgültige Kontaktrechtsregelung zu treffen und hob deshalb (unbekämpfbar) die Entscheidung des Erstgerichts zur Verfahrensergänzung auf. Andererseits folgte es in Ansehung des vorläufigen Kontaktrechts im Rahmen eines therapeutischen Settings gerade den Schlussfolgerungen dieses abgelehnten Sachverständigen und erachtete die festgesetzten vorläufigen Kontakte als essentiell, um eine weitere Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Damit weicht es aber von den Feststellungen des Erstgerichts ab, die eindeutig nur eine Interpretation zulassen: Jeder, nicht freiwillig vom Kind ausgehende, sondern angeordnete Kontakt, mag er auch nur vorläufig im Rahmen eines therapeutischen Settings stattfinden, fördert nicht das Wohl des Kindes, sondern widerspricht diesem geradezu. Diese Widersprüchlichkeit spricht die Mutter in ihrem Revisonsrekurs (im Ansatz) auch an.

2.5 Die Eilbedürftigkeit der Anordnung einer vorläufigen Maßnahme nach § 107 Abs 2 AußStrG rechtfertigt zwar die Unterlassung umfangreicher, sonst notwendiger Erhebung einer Beweisaufnahme, weil andernfalls bereits endgültig entschieden werden könnte (RISJustiz RS0006999; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 107 Rz 45). Soweit das Erstgericht allerdings – wie hier – Feststellungen zum Wohl des Kindes aufgrund unmittelbar aufgenommener Beweise getroffen hat, darf das Rekursgericht diese weder abändern noch ergänzen, ohne die in § 52 Abs 2 AußStrG vorgesehene Vorgangsweise einzuhalten (zum vorläufigen Kontaktrecht: 10 Ob 71/16p, RISJustiz RS0122252 [T6]). Dies ist hier unterblieben und führt zur Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00028.17S.0613.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,24 Entscheidungen zum Familienrecht

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.