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OGH vom 01.06.2010, 10Ob28/10f

OGH vom 01.06.2010, 10Ob28/10f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Celine P*****, geboren am , D *****, vertreten durch das Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Linz Land, 4020 Linz, Kärntnerstraße 16), über den Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 400/09p 58, womit infolge Rekurses des Jugendwohlfahrtsträgers der Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom , GZ 1 P 344/09y 41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen wird das Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger seiner Funktion als Sachwalter der minderjährigen Celine P***** zur Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche (§ 9 Abs 2 UVG,§ 212 Abs 2 ABGB) enthoben.

Text

Begründung:

Die Minderjährige ist das Kind von Eileen und Marco P*****. Sie und ihre Eltern sind deutsche Staatsbürger.

Mit Beschluss vom bewilligte das Erstgericht der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von 245 EUR monatlich für die Zeit vom bis . Zu diesem Zeitpunkt lebte die Minderjährige mit ihrer Mutter in Österreich, wo die Mutter als Arbeitnehmerin beschäftigt und sozialversichert war. Der Vater lebte in Deutschland und bezog Leistungen nach dem deutschen SGB II.

Mit Schreiben vom und vom teilte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter der Minderjährigen in Unterhaltsangelegenheiten gemäß § 212 Abs 2 ABGB und § 9 Abs 2 UVG dem Erstgericht mit, dass die Minderjährige gemeinsam mit ihrer Mutter seit ihren Hauptwohnsitz nach Deutschland, *****, verlegt habe.

Das Erstgericht stellte daraufhin mit Beschluss vom die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG mit Ablauf des September 2008 ein, weil die Minderjährige und ihre Mutter nunmehr in Deutschland lebten und in das dortige Sozialversicherungssystem eingebunden seien.

Der Jugendwohlfahrtsträger beantragte daraufhin mit Schreiben vom seine Enthebung von der Vertretung der Minderjährigen gemäß § 9 Abs 3 UVG und § 212 Abs 5 ABGB im Wesentlichen mit der Begründung, für ihn sei nach der Rückkehr der Minderjährigen und ihrer Mutter nach Deutschland kein zu erfüllender Aufgabenbereich mehr vorhanden. Die Minderjährige sei nunmehr durch das Jugendamt in R***** (Deutschland) vertreten und beziehe in Deutschland Unterhaltsvorschüsse. Da die Minderjährige nicht österreichische Staatsbürgerin sei und sich auch nicht mehr in Österreich aufhalte, könne nach § 215a ABGB keine weitere Zuständigkeit des Landes Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger bestehen. Da eine Einbringung der ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse vom Unterhaltspflichtigen noch nicht möglich gewesen sei, wäre die Aufgabe des österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers auf die Eintreibung des bevorschussten Unterhalts vom Unterhaltspflichtigen beschränkt, während die laufenden Unterhaltsansprüche der Minderjährigen vom deutschen Jugendwohlfahrtsträger geltend gemacht werden. Diese Aufgabenteilung würde zu einer vom UVG nicht gewollten Doppelgleisigkeit führen.

Das Erstgericht wies den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers auf Enthebung ab, weil die Einstellung der Vorschüsse gemäß § 9 Abs 3 UVG kein Grund zur Beendigung der Vertretung nach § 9 Abs 2 UVG sei. Der Jugendwohlfahrtsträger habe immer noch ein zu erfüllendes Aufgabengebiet, nämlich die Einbringung der gewährten Vorschüsse vom Unterhaltspflichtigen. Daran könne auch der Umstand, dass die Minderjährige und ihre Eltern deutsche Staatsbürger seien und in Deutschland lebten, nichts ändern.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Jugendwohlfahrtsträgers keine Folge. Es gelangte in seiner rechtlichen Beurteilung ebenfalls zu dem Ergebnis, der Jugendwohlfahrtsträger habe mit seiner Aufgabe zur Hereinbringung der bevorschussten Unterhaltsbeträge noch Interessen der Minderjährigen wahrzunehmen, weshalb die Voraussetzungen für eine Enthebung des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 9 Abs 3 UVG nicht vorlägen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass nunmehr wegen des Wegzugs der minderjährigen deutschen Staatsbürgerin nach Deutschland ein Anknüpfungspunkt für eine örtliche Zuständigkeit eines österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers nach § 215a ABGB nicht mehr bestehe. In diesem Fall sei nämlich anzunehmen, dass die ex lege nach § 9 Abs 2 UVG begründete Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers weiterhin fortbestehe und die Verlegung des Wohnsitzes insofern keine Auswirkung auf diese Zuständigkeit habe.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zu der hier vorliegenden Fallkonstellation eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht vorliege. Die Entscheidungen 2 Ob 83/05b und 10 Ob 35/09h beträfen etwas anders gelagerte Sachverhalte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung seines Antrags auf Enthebung abzuändern.

Die übrigen Verfahrensparteien haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Der Jugendwohlfahrtsträger macht geltend, für ihn verbleibe im vorliegenden Fall mangels vorhandenen Inlandsbezugs kein ausreichender im Inland zu besorgender Aufgabenbereich. Bei Aufrechterhaltung der Unterhaltsvertretung auch durch den inländischen Jugendwohlfahrtsträger bestehe eine vom Gesetz unerwünschte Doppelvertretung bzw Aufspaltung der Vertreterstellung, welche für die Minderjährige aufgrund allenfalls auftretender Koordinationsprobleme sogar kontraproduktiv sein könne. Der Präsident des Oberlandesgerichts könne gemäß §§ 31 Abs 1 und 3, 34 UVG die Unterhaltsvorschüsse eintreiben.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Nach § 212 Abs 2 ABGB ist der Jugendwohlfahrtsträger unter anderem für die Festsetzung oder Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des Kindes Vertreter des Kindes, wenn die Zustimmung des sonstigen gesetzlichen Vertreters vorliegt. Gemäß § 212 Abs 5 ABGB endet diese Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers, wenn der sonstige gesetzliche Vertreter seine Zustimmung schriftlich widerruft oder das Gericht den Jugendwohlfahrtsträger auf dessen Antrag als Vertreter enthebt, weil er zur Wahrung der Rechte und zur Durchsetzung der Ansprüche des Kindes nach Lage des Falls nichts mehr beizutragen vermag.

1.1 Nach § 215a ABGB fallen, sofern nichts anderes angeordnet ist, die Aufgaben dem Bundesland als Jugendwohlfahrtsträger zu, in dem das minderjährige Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat. Fehlt ein Aufenthalt im Inland, so ist, sofern das minderjährige Kind österreichischer Staatsbürger ist, für im Inland zu besorgende Aufgaben das Bundesland als Jugendwohlfahrtsträger zuständig, in dem der Minderjährige seinen letzten Aufenthalt gehabt hat, dann dasjenige, in dem ein Elternteil seinen Aufenthalt hat oder zuletzt gehabt hat.

1.2 Die bereits zitierte Bestimmung des § 212 Abs 5 ABGB führt besondere Gründe an, bei deren Vorliegen die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers unter anderem nach dem Abs 2 kraft Gesetzes oder durch gerichtlichen Beschluss endet. So kann das Pflegschaftsgericht den Jugendwohlfahrtsträger auf dessen Antrag als Vertreter entheben, wenn er zur Wahrung der Rechte und zur Durchsetzung der Ansprüche des Kindes nach den Umständen des Einzelfalls nichts mehr beitragen kann. Diese Regelung ist dem § 9 Abs 3 zweiter Satz UVG nachgebildet, sodass die von der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze auf die Enthebung nach § 212 Abs 5 ABGB anzuwenden sind. So wird in der Regel die bloße Auswanderung eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft die Enthebung des Jugendwohlfahrtsträgers noch nicht rechtfertigen, sofern nach der Übersiedlung weiterhin österreichisches Sachrecht anwendbar ist (vgl Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 212 Rz 37 mwN). Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Gründe für eine Beendigung der Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers in § 212 Abs 5 ABGB nicht abschließend aufgezählt sind. Die gesetzliche Vertretung kann auch in anderen Fällen erlöschen, etwa wenn ein ausländischer Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Ausland verlegt, wenn das Kind volljährig wird oder stirbt ( Kathrein aaO § 212 Rz 31 mwN).

2. In Unterhaltsvorschussangelegenheiten wird der Jugendwohlfahrtsträger mit der wirksamen Zustellung des (zumindest teilweise bewilligenden) Beschlusses an ihn ex lege zum ausschließlichen gesetzlichen Vertreter des Kindes, ohne dass es eines gesonderten Bestellungsbeschlusses oder einer Zustimmung des allgemeinen gesetzlichen Vertreters des Kindes entsprechend § 212 Abs 2 ABGB bedarf. Diese ex lege Bestellung tritt auch dann ein, wenn der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 212 Abs 2 ABGB bereits gesetzlicher Vertreter des Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche ist. Der Zweck dieser Regelung liegt weniger in einer Wahrung der Interessen des Kindes als in der Eintreibung des Unterhalts, auf den Vorschüsse gewährt wurden. So soll durch die zwingende Vertretung des Kindes durch den Jugendwohlfahrtsträger zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche eine unerwünschte Aufspaltung der Vertreterrolle in Unterhalts und Vorschussangelegenheiten bei der Eintreibung vermieden werden ( Neumayr in Schwimann , ABGB 3 § 9 UVG Rz 2 ff mwN).

2.1 Nach § 9 Abs 3 UVG in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Änderung durch das FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, ist die Einstellung der Vorschüsse kein Grund zur Beendigung der Vertretung nach Abs 2. Im Fall der Vorschussgewährung bloß nach § 4 Z 2, 3 oder 4 UVG ist der Jugendwohlfahrtsträger zu entheben, wenn er zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs nach der Lage des Falles nichts beizutragen vermag.

2.2 Die Enthebung des Jugendwohlfahrtsträgers als alleinigen gesetzlichen Vertreter des Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche von Amts wegen oder auf Antrag erfolgt mit Beschluss und speziell zur Vermeidung von Unsicherheiten über die Vertretung, aber auch über die Rechtsnachfolge (§ 30 UVG) nicht ex lege. Bereits aus den allgemeinen Grundsätzen einer Obsorge des Jugendwohlfahrtsträgers (§§ 211 ff, 250 ABGB) ergibt sich, dass die alleinige gesetzliche Vertretung zu beenden ist, wenn kein zu erfüllender Aufgabenbereich mehr vorhanden ist, insbesondere also bei Erreichen der Volljährigkeit oder bei Tod des Kindes. Aus dem Wortlaut des § 9 Abs 3 UVG geht hervor, dass die Einstellung der Titelvorschüsse grundsätzlich keinen Anlass für die Beendigung der alleinigen gesetzlichen Vertretung des Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche darstellt. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beendigung der alleinigen gesetzlichen Vertretung im Hinblick auf die zu vermeidende Doppelgleisigkeit bei der Hereinbringung von Titelvorschüssen daher so lange nicht gerechtfertigt, als die Eintreibung des rückständigen bevorschussten Unterhalts nicht zur Gänze erfolgt ist ( Neumayr aaO § 9 UVG Rz 19 und 21 mwN; 1 Ob 565/90; 5 Ob 526/90 ua). In § 9 Abs 3 UVG idF FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, wurde diese bisher herrschende Ansicht, wonach der Jugendwohlfahrtsträger nur dann als Vertreter des Kindes zu entheben ist, wenn keine Rückstände aus gewährten Titelunterhaltsvorschüssen aushaften, festgeschrieben.

2.3 In diesem Sinne hat auch der erkennende Senat zuletzt in der Entscheidung 10 Ob 35/09h die Abweisung eines Antrags eines Jugendwohlfahrtsträgers auf Enthebung als gesetzlicher Vertreter nach § 9 Abs 2 UVG bestätigt. Der dort zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich von dem vorliegenden Sachverhalt, wie bereits das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, jedoch insofern, als die damaligen Antragsteller sowie deren Mutter österreichische Staatsbürger waren, die zum Zeitpunkt der Vorschussgewährung in Österreich lebten und später nach Deutschland verzogen. In diesem Fall stützte der erkennende Senat das Weiterbestehen der gesetzlichen Vertretung durch den österreichischen Jugendwohlfahrtsträger für die im Ausland lebenden minderjährigen österreichischen Staatsbürger maßgeblich auf § 215a zweiter Satz ABGB.

3. Hinsichtlich eines Kindes, das wie im vorliegenden Fall nicht österreichischer Staatsbürger ist und im Ausland lebt, besteht jedoch in der Regel keine örtliche Zuständigkeit eines österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers und es kann der österreichische Jugendwohlfahrtsträger mangels ausreichenden Inlandsbezugs auch nicht wirksam zum gesetzlichen Vertreter des Kindes gemäß § 9 Abs 2 UVG bestellt werden (2 Ob 83/05b = SZ 2005/135). Diese in der zuletzt zitierten Entscheidung dargelegten Grundsätze sind auch für den vorliegenden Fall maßgebend, da eine örtliche Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 215a ABGB nicht mehr gegeben ist. Kehrt daher ein ausländisches Kind in seinen Heimatstaat zurück und fallen damit auch die seinerzeitigen Voraussetzungen für die Bestellung eines österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers als gesetzlicher Vertreter gemäß § 212 Abs 2 ABGB und § 9 Abs 2 UVG (örtliche Zuständigkeit eines österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers, Anwendung des österreichischen Sachrechts) weg, so ist die gesetzliche Vertretungsbefugnis des österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers gemäß § 215 Abs 5 ABGB und § 9 Abs 3 UVG durch Enthebung zu beenden. Mit der Wirksamkeit der Beendigung ist in allen Fällen des § 212 Abs 5 ABGB das Erlöschen der gesetzlichen Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers verbunden. Er kann für das Kind nicht mehr wirksam handeln und ist insbesondere nicht mehr berechtigt, die in der Vergangenheit während seiner Vertretungsbefugnis angefallenen Unterhaltsbeiträge einzutreiben (vgl Kathrein aaO § 212 Rz 32 mwN). Mit der Enthebung eines gesetzlichen Vertreters nach § 9 Abs 2 UVG wird jedoch in die Rechte des Bundes nicht eingegriffen, da mit der Beendigung der gesetzlichen Vertretung die noch nicht eingebrachten Unterhaltsforderungen im Wege einer Legalzession (§ 30 UVG) auf den Bund übergehen (6 Ob 603/95 mwN).

Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses des Jugendwohlfahrtsträgers spruchgemäß zu entscheiden.