OGH vom 13.09.2019, 10ObS118/19d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann und die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-StifterStraße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 13/19h33, mit dem das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 41 Cgs 5/18g25, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Nach einem am erlittenen Arbeitsunfall erhielt der Kläger volle Entgeltfortzahlung bis . Danach bezog er vom 12. 11. bis Krankengeld, vom 18. 11. bis Übergangsgeld, vom bis Krankengeld von täglich 84,56 EUR brutto. Seit bezog er Rehabilitationsgeld in derselben Höhe.
Mit Bescheid vom sprach die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls ab eine Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente samt Zusatzrente sowie ab eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 % der Vollrente zu. Als Ruhensbetrag zog sie das bis bezogene Krankengeld und das vom bis bezogene Rehabilitationsgeld ab.
Der Kläger bekämpft den Abzug des Rehabilitationsgeldes ab . Für die Versehrtenrente bewirke der Rehabilitationsgeldbezug nur bis einschließlich das Ruhen des Krankengeldes. Danach sei es zu einer „Aussteuerung“ (Auslaufen des Krankengeldanspruchs wegen Erreichung der Höchstdauer von 52 Wochen) des Krankengeldanspruchs gekommen. Deshalb führe der Bezug des Rehabilitationsgeldes ab nicht zum Ruhen der Versehrtenrente.
Die Beklagte vertritt hingegen den Standpunkt, ein ruhender Anspruch auf Krankengeld sei nach § 90a Abs 1 ASVG dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten. Eine „Aussteuerung“ sei zum Zeitpunkt des erstmaligen Bezugs von Rehabilitationsgeld am noch nicht eingetreten gewesen. Die Versehrtenrente ruhe im Ausmaß des (ruhenden) Krankengeldes.
Das Erstgericht teilte diese Auffassung und wies das Klagebegehren ab.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts ab. Es stellte fest, dass die Versehrtenrente aufgrund des gleichzeitigen Bezugs von Rehabilitationsgeld ab dem nicht ruhe. In der rechtlichen Beurteilung verwies es auf die Entscheidung 10 ObS 135/17a. Danach zeitige die Ruhensbestimmung des § 90a Abs 1 zweiter Satz ASVG über die Dauer des mit maximal 52 Wochen befristeten Krankengeldanspruchs hinaus keine Wirkung. Die Ruhensbestimmung des § 90a ASVG sei auf den Bezug von Rehabilitationsgeld nicht analog anzuwenden. Auch im vorliegenden Fall sei der Krankengeldanspruch des Klägers zu Beginn des Rehabilitationsgeldbezugs am noch nicht ausgeschöpft gewesen, weshalb nach § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG ein Ruhen des Krankengeldanspruchs eingetreten sei. Dieses Ruhen sei einem weiteren Krankengeldbezug gleichzuhalten und habe deshalb zunächst zum Ruhen der Versehrtenrente geführt. Diese Gleichhaltung habe sich jedoch nur auf die weitere Dauer des fiktiven Bezugs des ruhenden Krankengeldes bezogen. Begründung und Rechtssatz zu 10 ObS 135/17a formulierten zwar zusammenfassend, dass ein Ruhen der Versehrtenrente wegen des Rehabilitationsgeldbezugs nicht eintrete, wenn die Versehrtenrente erst nach dem Auslaufen des Krankengeldanspruchs (also nach der 52. Woche) anfalle. Im vorliegenden Fall sei die Versehrtenrente schon ab dem – also noch vor Beginn des Krankengeldbezugs – angefallen. Die tragenden Überlegungen des Obersten Gerichtshofs, der das Ruhen der Versehrtenrente wegen des Bezugs von Rehabilitationsgeld nach § 90a ASVG auf den maximalen Bezugszeitraum des fiktiv weiterlaufenden Krankengeldanspruchs beschränkt habe, gelten jedoch auch bei Anfall einer Versehrtenrente während oder (hier) vor Beginn des Krankengeldbezugs.
Rechtliche Beurteilung
Die zugelassene, nicht beantwortete Revision der Beklagten ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
1. Trifft der Bezug von (unter anderem) Krankengeld mit einem Anspruch auf Versehrtenrente aus der Unfallversicherung zusammen, so ruht, wenn die Arbeitsunfähigkeit Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ist, die Versehrtenrente für die weitere Dauer des Bezugs von Krankengeld; hiebei ist ein ruhender Anspruch auf Krankengeld dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten (§ 90a Abs 1 ASVG).
2. Für den – auch hier – relevanten Fall des Zusammentreffens eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Krankengeld sieht § 143a Abs 3 zweiter Satz ASVG ein Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld vor. Zufolge § 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG tritt ein Ruhen der Versehrtenrente grundsätzlich auch beim Ruhen eines Krankengeldanspruchs wegen eines Rehabilitationsgeldbezugs ein. Die Ruhensbestimmung wirkt jedoch nicht über die Dauer des mit maximal 52 Wochen befristeten Krankengeldanspruchs hinaus. Die Versehrtenrente ruht nicht, wenn sie erst nach Ende des ruhenden Krankengeldanspruchs mit Ablauf der 52. Woche (Höchstdauer nach § 139 ASVG) anfällt (10 ObS 135/17a, SSVNF 31/61, RIS-Justiz RS0131846).
3. Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld unter anderem aufgrund des Bezugs von Rehabilitationsgeld ruht, sind nach § 143a Abs 3 dritter Satz ASVG auf die Höchstdauer des Krankengeldanspruchs von 52 Wochen nicht anzurechnen. Die Beklagte sieht aufgrund dieser Bestimmung die einschränkende Interpretation von § 90a Abs 1 iVm § 143a Abs 3 zweiter Satz ASVG, welche die Versehrtenrente immer nur bis zur 52. Woche ruhen lasse (10 ObS 135/17a) als nicht gerechtfertigt an. Ihrer Meinung nach fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Überversorgung durch den gleichzeitigen Bezug von Versehrtenrente und Rehabilitationsgeld bewusst in Kauf genommen habe.
4. Der Oberste Gerichtshof hat zu 10 ObS 135/17a eindeutig klargestellt, dass sich nach dem Sinnzusammenhang zwischen dem ersten und zweiten Halbsatz die in § 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG angeordnete Gleichhaltung lediglich auf den fiktiven Bezug des ruhenden Krankengeldes bezieht und in diesem Kontext auch der ruhende Krankengeldanspruch mit Ablauf der 52. Woche (maximale Höchstdauer nach § 139 ASVG) endet. Die Ruhensbestimmung des § 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG wirkt daher nicht über die Dauer des mit maximal 52 Wochen befristeten Krankengeldanspruchs hinaus. Die Verlängerung der Bezugsdauer von Krankengeld anschließend an den Bezug von Rehabilitationsgeld (iSd § 143a Abs 3 zweiter Satz ASVG) ändert daran nichts. Das – auch hier gebrachte – Argument einer vom Gesetzgeber nach § 90a ASVG nicht gewollten Doppelversorgung durch gleichzeitigen Bezug von Rehabilitationsgeld und Versehrtenrente sah der Oberste Gerichtshof deshalb als nicht gerechtfertigt an, weil keine gesetzliche Regelung direkt ein Ruhen der Versehrtenrente (nur) als Folge des Bezugs von Rehabilitationsgeld anordne.
5. Die Revisionsausführungen bieten kein Anlass, von der ausführlich begründeten Entscheidung 10 ObS 135/17a, die bisher in der Lehre nicht auf Kritik gestoßen ist, abzugehen:
6. Danach ist für das Ruhen der Versehrtenrente iSd § 90a Abs 1 ASVG eine zeitliche Überschneidung zwischen dem Anspruch auf Versehrtenrente und dem (ruhenden) Anspruch auf Krankengeld in der Zeit zwischen der 26. und der 52. Woche des Krankengeldbezugs entscheidend. Auch der ruhende Krankengeldanspruch endet (spätestens) mit Ablauf der 52. Woche (Höchstdauer iSd § 139 ASVG). Der Zeitpunkt des Anfalls der Versehrtenrente (iSd § 86 Abs 4 ASVG) am spielte in dem zu 10 ObS 135/17a entschiedenen Fall nur insoweit eine Rolle, als der ruhende Krankengeldanspruch nach Ablauf der 52. Woche bereits im Jahr 2014 geendet hatte, was eine zeitliche Überschneidung zur Gänze ausschloss. Dies bringt die Formulierung in Punkt 3 1. Absatz „Demnach konnte … mangels zeitlicher Überschneidung bzw Vorhandensein eines Deckungsbereichs ein Ruhen der Versehrtenrente nach § 90 Abs 1 2. Halbsatz ASVG infolge des Bezugs von Krankengeld nicht eintreten...“ eindeutig zum Ausdruck.
7. Nach diesen Kriterien hat das Berufungsgericht zutreffend ein Ruhen der Versehrtenrente nach Ablauf der (hier unstrittigen) 52wöchigen Maximaldauer des Krankengeldanspruchs ab dem verneint. Der vom Berufungsgericht unbestritten mit – noch vor Beginn des Krankengeldbezugs – angenommene Zeitpunkt des Anfalls der Versehrtenrente (§ 86 Abs 4 ASVG) ändert daran nichts.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00118.19D.0913.000 |
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