OGH vom 06.12.2011, 10ObS118/11t

OGH vom 06.12.2011, 10ObS118/11t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, (nunmehr R*****), *****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Kärntner Gebietskrankenkasse, 9021 Klagenfurt, Kempfstraße 8, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 57/11s 13, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Die Klägerin gebar am ihren Sohn Andre und am ihre Tochter Sandra. Anlässlich der Geburt ihres Sohnes beantragte sie für diesen das Kinderbetreuungsgeld mit der Variante 30 + 6 Monate mit einem Tagessatz von 14,53 EUR bis zu dessen 30. Lebensmonat, bei wechselnder Betreuung durch beide Elternteile bis zu dessen 36. Lebensmonat. Die beklagte Partei stellte nach der Geburt der Tochter der Klägerin die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes für deren Sohn Andre ein. Seit der Geburt ihrer Tochter bezieht die Klägerin für diese Kinderbetreuungsgeld.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die (Weiter )Zahlung des Kinderbetreuungsgeldes in der gesetzlichen Höhe für den minderjährigen Andre vom bis . Als Begründung führt sie im Wesentlichen an, § 5 Abs 5 KBGG, nach dem ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind ende, sei gleichheits- und verfassungswidrig.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin ab.

Das Erstgericht wies das gegen diesen Bescheid gerichtete Klagebegehren unter Hinweis darauf ab, dass der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , G 43/06 die Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs 5 KBGG verneint habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision im Hinblick auf die bereits bestehende Judikatur des Verfassungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs nicht zu. Es befasste sich ausführlich mit der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu § 5 Abs 5 KBGG, erachtete diese auch nach der Novellierung des § 5 Abs 5 KBGG durch das BGBl I 2007/76 für weiterhin maßgeblich und setzte sich im Einzelnen mit den von der Revisionswerberin geäußerten Bedenken gegen die Verfassungskonformität dieser Bestimmung auseinander. Das Berufungsgericht erachtete die Regelung als innerhalb des Gestaltungsspielraums des einfachen Gesetzgebers liegend, weshalb es keinen Anlass zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens sah.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.

Diese ist nicht zulässig.

Die Revisionswerberin hält an ihrem Standpunkt fest, infolge Änderung des § 5 Abs 5 KBGG durch die Novelle BGBl I 2007/76 seien die bisher zu dieser Regelung ergangenen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs nicht mehr aussagekräftig, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof abermals mit § 5 Abs 5 KBGG auseinanderzusetzen habe. Als Elternteil zweier nacheinander geborener Kinder sei sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz verletzt, und zwar gegenüber Personen, die nur für ein Kind zu sorgen haben, sowie gegenüber Personen, die nach einer Mehrlingsgeburt einen 50%igen Zuschlag zum Kinderbetreuungsgeld erhalten.

Dazu ist auszuführen:

1. Nach § 5 Abs 5 erster Satz KBGG in der Stammfassung BGBl I 2001/103 endete der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind. Diese Regelung war dahin zu verstehen, dass bei nachfolgenden Geburten während des Kinderbetreuungsgeld Bezugszeitraums der Anspruch für das zuerst geborene Kind spätestens mit dem Tag, welcher der Geburt des nachfolgenden Kindes vorangeht, endet (10 ObS 118/07m). Der Gesetzgeber ging ganz offensichtlich davon aus, dass das Kinderbetreuungsgeld für das jeweils jüngste Kind, also für das Kind, das den höchsten Betreuungsaufwand verursacht, gebühren soll, während er für ältere Kinder keine Veranlassung sah, zusätzlich zu anderen Familienleistungen und Beihilfen auch noch Leistungen nach dem KBGG vorzusehen. Das Kinderbetreuungsgeld gebührt demnach nur für das jeweils jüngste Kind eines Anspruchsberechtigten.

2. Durch die Novelle zum Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl I 2007/76, wurde die Bestimmung des § 5 Abs 5 erster Satz KBGG dahin neu formuliert, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit Ablauf jenes Tages endet, welcher der Geburt eines weiteren Kindes bzw der Adoption (In Pflege Nahme) eines jüngeren Kindes vorangeht. Diese mit in Kraft getretene Neufassung diente lediglich der Klarstellung, dass das Kinderbetreuungsgeld jedenfalls endet, wenn ein weiteres Kind geboren bzw ein jüngeres Kind adoptiert oder in Pflege genommen wird. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind endet unabhängig davon, ob die Eltern für das nun jüngste Kind tatsächlich Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen oder nicht (ErlRV 229 BlgNR 23. GP 5).

3.1. Bereits den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 10 ObS 142/09v ist zu entnehmen, dass vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom , G 43/06 ua, (zu § 5 Abs 5 erster Satz KBGG in der Stammfassung) unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes auch keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs 5 erster Satz KBGG idF BGBl I 2007/76 bestehen. An dieser Ansicht wurde in den jüngst ergangenen Entscheidungen 10 ObS 107/11z und 10 ObS 117/11w festgehalten. Es sei dem Gesetzgeber im Fall der Geburt eines jüngeren Geschwisterkindes im Lichte des verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgrundsatzes nicht verwehrt, den Kinderbetreuungsgeldanspruch des älteren Kindes einzuschränken. Gegen dieses Ergebnis bestünden unter Berücksichtigung des grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Gewährung von Familienleistungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (siehe auch 10 ObS 123/09z, SSV NF 23/63; 10 ObS 9/07g, SSV NF 21/04; 10 ObS 8/07k und 10 ObS 118/07m).

3.2. Den Argumenten der Revisionswerberin ist noch im Einzelnen entgegenzuhalten:

Der Verfassungsgerichtshof hat in den Erkenntnissen vom , G 43/06 ua und vom , G 81/06 ua ausgesprochen, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Kinderbetreuung in einem von der Zahl der gleichzeitig zu betreuenden Kinder und sonstigen Verhältnissen und Umständen unabhängigen Pauschalbetrag gefördert werde. Der Gleichheitssatz verpflichte den Gesetzgeber nicht, auf den Grad der Belastung durch die Kinderbetreuung abzustellen. Auch wenn die Betreuungsleistung und der finanzielle Aufwand für mehrere Kinder höher sei, müsse der Gesetzgeber die Höhe der Leistungen im Einzelfall oder für bestimmte Fallgruppen nach Maßgabe der Verhältnisse nicht unterschiedlich bemessen. Die Bevorzugung von Mehrlingsgeburten durch § 3a KBGG finde ihre sachliche Rechtfertigung in der besonderen Lage der Eltern von Mehrlingsgeburten, die hinsichtlich der Betreuung stärker belastet seien, als andere Eltern und sich häufig mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass die finanziellen Aufwendungen im Verhältnis zu jenen Eltern deren Kinder nacheinander geboren werden, deutlich höher seien. Dazu komme, dass die besondere Behandlung von Mehrlingsgeburten auch dem Umstand Rechnung trage, dass die durch sie eintretende Mehrbelastung nicht durch eine längere Bezugsdauer abgegolten werde. Die Bedachtnahme auf diese besondere Belastung zwinge den Gesetzgeber nicht, auch die höhere Belastung durch mehrere aufeinander folgende Kinder allgemein über die längere Bezugsdauer hinaus zu berücksichtigen. Es sei daher in der Gleichbehandlung von Eltern nacheinander geborener Kinder gegenüber Eltern bloß eines Kindes (im Alter von unter 36 Monaten), aber auch in der Verschiedenbehandlung gegenüber Mehrlingsgeburten keine Verfassungswidrigkeit zu sehen.

Die Aktualität dieser Ausführungen wird auch durch den Hinweis der Revisionswerberin nicht in Frage gestellt, § 5 Abs 5 KBGG idF der Novelle BGBl I 2007/76 gehe von der Grundannahme des Entstehens des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld für das nachfolgende Kind ab dem Tag dessen Geburt aus, beschäftige sich aber nicht mit der Frage, was zu gelten habe, wenn dies (möglicherweise) einmal nicht zutreffen sollte. Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor.

4. Die Revisionswerberin erblickt ferner eine verfasssungswidrige Ungleichbehandlung in der Verpflichtung, von Geburt des Kindes an eine unabänderbare Entscheidung über die Wahl der Bezugsvariante zu treffen. Diese Verpflichtung führe ihrer Ansicht nach dazu, dass es wegen der (oftmaligen) Nichtvorhersehbarkeit oder Planbarkeit einer weiteren Schwangerschaft letztlich vom Zufall abhänge, in welcher Höhe das Kind staatlich unterstützt werde. Bei der Wahl eines längeren Bezugszeitraums komme es dazu, dass für das erste Kind verhältnismäßig weniger staatliche Unterstützung gewährt werde, als für andere Kinder mit kürzerer Bezugsdauer. Sie erachte sich demnach gegenüber Personen benachteiligt, die nach der Entscheidung für eine kürzere Variante im selben Bezugszeitraum ein höheres monatliches Kinderbetreuungsgeld erhalten haben; weiters gegenüber jenen Personen, deren Kinder altersmäßig so weit auseinander seien, dass das volle Kinderbetreuungsgeld in der vollen Bezugsdauer bezogen werden kann.

Zu dieser Argumentation hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 38/10a, SSV NF 24/38 ausdrücklich Stellung genommen und eine Verfassungswidrigkeit wenngleich in Bezug auf die Regelung des § 26a KBGG verneint. Als Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dieser Standpunkt laufe darauf hinaus, dass das Fehlen einer Ausnahmeregelung für den speziellen Fall, in dem sich das Motiv der Wahl einer bestimmten längeren Variante ex post unter dem Gesichtspunkt der Sozialleistungsoptimierung als nicht zielführend erweist, unsachlich und daher gleichheitswidrig sei. Es sei aber generell nicht erkennbar, warum es für den Fall Sonderreglungen geben sollte, dass die zur Optimierung von Sozialleistungen ins Auge gefasste Nachwuchsplanung durchkreuzt werde. Es sei nicht Ziel des Kinderbetreuungsgeldgesetzes, Eltern ein maximales Kinderbetreuungsgeld zu ermöglichen. Im Fall des Schaffens von Ausnahmebestimmungen (etwa auch für den Fall, dass sich das Motiv für die Wahl einer kürzeren Variante, nämlich möglichst schnell wieder schwanger zu werden, ex post als unzutreffend herausgestellt habe), ließe sich das gesetzgeberische Konzept, den Wechsel zwischen den Varianten aus administrativen Gründen zumindest zu erschweren, nicht mehr verwirklichen. Zudem sei es nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs im Allgemeinen zulässig, dass der einfache Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung, bezogen auf den Regelfall, ausgehe. Aus diesem Grund führten nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs so genannte „Härtefälle“, die durch derartige Regelungen bedingt werden, noch nicht per se zu ihrer Gleichheitswidrigkeit (VfGH B 525/06 = VfSlg 18.010 uva).

Auch diesen Erwägungen setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen, weshalb kein Anlass besteht, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

5. Ferner erblickt die Revisionswerberin eine Willkür des Gesetzgebers (auch) darin, dass Familienbeihilfe für alle Kinder gewährt werde, Kinderbetreuungsgeld aber nur für das jeweils jüngste Kind; dies obwohl das Kinderbetreuungsgeld an den Anspruch auf Familienbeihilfe geknüpft sei. Mit diesen Ausführungen wendet sie sich somit (neuerlich) dagegen, dass der Gesetzgeber keinen Grund sah, für ältere Kinder, zusätzlich zu anderen Familienleistungen und Beihilfen, auch noch Leistungen nach dem KBGG vorzusehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist der Gesetzgeber aber bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele weitgehend frei; der ihm zustehende Gestaltungsspielraum ist durch das Gleichbehandlungsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt bleibt, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht ( uva).

6. Dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Transferleistung des Kindes zu werten sei und deshalb jedem Kind (und nicht nur dem jüngeren Kind) in voller Höhe zustehe, lässt sich aus § 42 KBGG nicht ableiten. Eine Gleichheits und Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs 5 KBGG wird auch mit diesem Revisionsvorbringen nicht aufgezeigt.

7. Der Oberste Gerichtshof ist nach Art 89 Abs 2 B VG zur Antragstellung nur verpflichtet, wenn er (objektiv) Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes hat (RIS Justiz RS0053748; RS0053977; RS0108286; RS0053641). Da aber die von der Revisionswerberin geäußerten Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 5 Abs 5 KBGG im Hinblick auf die oben zitierte Rechtsprechung nicht überzeugen, liegt auch keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage vor (RIS Justiz RS0116943).