OGH vom 27.01.2016, 13Os150/15f (13Os151/15b, 13Os152/15z)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zabl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Boban D***** wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB, AZ 53 U 110/11s des Bezirksgerichts Floridsdorf, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom , GZ 53 U 110/11s 7, und mehrere Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwältin Mag. Wenger, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache AZ 53 U 110/11s des Bezirksgerichts Floridsdorf verletzen
1. die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils am in Abwesenheit des am geborenen Angeklagten § 32 Abs 1 erster Satz JGG iVm § 46a Abs 2 JGG;
2. die Unterlassung der Aufnahme des Urteilsspruchs mit den in § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bezeichneten Angaben in das Hauptverhandlungsprotokoll vom § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 447 StPO;
3. die Verwertung des in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenen Inhalts des Aktenstücks ON 2 im Urteil vom § 12 Abs 2 und § 258 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO.
Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 53 U 110/11s 7, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Floridsdorf verwiesen.
Text
Gründe:
Im Verfahren AZ 53 U 110/11s des Bezirksgerichts Floridsdorf legte die Staatsanwaltschaft Wien dem am geborenen Boban D***** mit Strafantrag vom , AZ 129 BAZ 506/11t, ein als Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 3).
Der für den anberaumten Hauptverhandlung blieb der Angeklagte, dem die Ladung persönlich zugestellt worden war (ON 1 S 2), fern.
Daraufhin wurde die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Boban D***** durchgeführt (ON 6 S 2).
Dem Protokoll über die Hauptverhandlung zufolge wurden in dieser die Verantwortung des Angeklagten vor der Bundespolizeidirektion Wien (ON 2 S 13) und die Strafregisterauskunft verlesen (ON 6 S 2). Nach Schluss des Beweisverfahrens verkündete die Richterin das Urteil.
Im Protokoll über die Hauptverhandlung wurde dazu Folgendes vermerkt:
„Schuldspruch gemäß § 229 (1) StGB
Strafe:
Gem § 229 (1) StGB: Freiheitsstrafe von 6 Wochen
Gem § 43 (1) StGB wird der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen.
Kostenentscheidung:
Kostenersatz nach § 389 (1) StPO“.
In der Urteilsausfertigung stützte das Erstgericht die den Schuldspruch tragenden Feststellungen (auch) auf den Inhalt der „Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien (ON 2)“ (US 3).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, wurde das Gesetz im bezeichneten Verfahren in mehrfacher Hinsicht verletzt:
1. Gemäß § 32 Abs 1 erster Satz JGG iVm § 46a Abs 2 JGG sind bei jungen Erwachsenen die Bestimmungen über das Abwesenheitsverfahren nicht anzuwenden. Die Durchführung der Hauptverhandlung am (ON 6) in Abwesenheit des zu diesem Zeitpunkt noch nicht 21 jährigen Angeklagten war daher nicht zulässig ( Schroll in WK 2 JGG § 32 Rz 5; RIS Justiz RS0121343 [T1]).
2. Das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll hat gemäß § 271 Abs 1 Z 7 StPO auch den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Der oben wiedergegebene Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll vom genügt diesen Anforderungen nicht.
3. Gemäß § 12 Abs 2 und § 258 Abs 1 StPO hat das Gericht bei der Urteilsfällung nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist. Aktenstücke können nur insoweit als Beweismittel dienen, als sie in der Hauptverhandlung vorgelesen oder vom Vorsitzenden vorgetragen wurden. Vorgekommen ist ein Beweismittel dann, wenn es prozessordnungsgemäß in die Verhandlung eingeführt wurde ( Lendl , WK StPO § 258 Rz 3 ff). Die Verwertung des in der Hauptverhandlung am nicht vorgekommenen (vgl ON 6 S 2) Inhalts der vom Erstgericht so genannten „Anzeige“ der Bundespolizeidirektion Wien (ON 2) im Urteil war daher nicht zulässig.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00150.15F.0127.000