OGH vom 05.10.2010, 10ObS117/10v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Engelbrecht Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter Straße 65 67, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 156/09s 11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 25 Cgs 331/08m 7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass der Revision wird das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in einem Senat aufgetragen, dem jeweils ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehört.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.
Text
Begründung:
Der Kläger erlitt am einen Verkehrsunfall, bei dem er verletzt wurde. Es lag zum Unfallszeitpunkt beim Kläger weder eine Pflichtversicherung oder eine freiwillige Versicherung nach dem GSVG noch eine Pflichtversicherung oder freiwillige Versicherung in der Unfallversicherung nach dem ASVG vor. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalls auch nicht Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, sondern bezog Notstandshilfe. Nach dem Prozessvorbringen des Klägers ereignete sich der Unfall im Zuge einer Eigeninitiative zur Beendigung seiner Arbeitslosigkeit, sodass er „über das AMS“ unfallversichert gewesen sei und ein Arbeitsunfall vorliege.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß für die Folgen des Unfalls vom gerichtete Klagebegehren ab. Dem Senat des Erstgerichts gehörten neben dem Vorsitzenden ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer an.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers dahin Folge, dass es das angefochtene Urteil aufhob und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies. Es sprach weiters aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Berufungsgericht entschied über die Berufung des Klägers in nichtöffentlicher Sitzung. Dem Senat gehörten neben den drei Berufsrichtern zwei fachkundige Laienrichter jeweils aus dem Kreis der Arbeitgeber an.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels der beklagten Partei war von Amts wegen die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung wahrzunehmen.
Gemäß § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG haben die fachkundigen Laienrichter vorbehaltlich des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG je zur Hälfte dem Kreis der Arbeitgeber und dem der Arbeitnehmer anzugehören. Aus dieser Bestimmung ergibt sich deutlich, dass die fachkundigen Laienrichter in Sozialrechtssachen grundsätzlich dem Kreis der Versicherten und ihrer Arbeitgeber anzugehören haben. Im zweiten Halbsatz des § 12 Abs 3 ASGG werden jene Sozialrechtssachen angeführt, in denen ausnahmsweise alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber anzugehören haben. Es handelt sich dabei um die Sozialrechtssachen jener selbständig Erwerbstätigen, die in den persönlichen Geltungsbereich des GSVG, des BSVG, des Bundesgesetzes über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger, des Bundesgesetzes über die Gewährung der Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) an Mütter, die in der gewerblichen Wirtschaft oder in der Land und Forstwirtschaft selbständig erwerbstätig sind, fallen sowie um die Sozialrechtssachen nach dem NVG 1972, in denen der Kläger ein Notar ist. Nach ständiger Rechtsprechung fallen unter diese Ausnahmebestimmung des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG auch Sozialrechtssachen, die Angelegenheiten der Unfallversicherung der gewerblich selbständig tätigen Personen betreffen (RIS Justiz RS0085526). Während nämlich das GSVG nur die Kranken und die Pensionsversicherung der in seinen Anwendungsbereich fallenden Personen regelt (vgl § 1 GSVG), sind die Bestimmungen über die Unfallversicherung dieses Personenkreises im ASVG enthalten. Es sind daher gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG in der Unfallversicherung aufgrund dieses Bundesgesetzes alle selbständig Erwerbstätigen, die Mitglieder einer Wirtschaftskammer oder in der Kranken oder Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG pflichtversichert oder in der Krankenversicherung gemäß § 3 Abs 1 Z 2 GSVG pflichtversichert sind, ferner die Gesellschafter/Gesellschafterinnen einer offenen Gesellschaft, die unbeschränkt haftenden Gesellschafter/Gesellschafterinnen einer Kommanditgesellschaft und die zu Geschäftsführern bestellten Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sofern diese Gesellschaften Mitglieder einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft sind, teilversichert.
Beim Kläger handelt es sich jedoch nicht um einen selbständig Erwerbstätigen, der in den persönlichen Geltungsbereich der in § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG angeführten Sozialversicherungsgesetze bzw der in § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG für selbständig Erwerbstätige in der Unfallversicherung vorgesehenen Teilversicherung fällt. Aber auch der Umstand, dass der Kläger als Notstandshilfebezieher am Unfallstag einen potentiellen Geldgeber im Zusammenhang mit einer damals von ihm beabsichtigten Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit aufgesucht hat, rechtfertigt nicht die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG über eine imparitätische Senatszusammensetzung. Die Senatszusammensetzung hätte daher im vorliegenden Fall paritätisch (ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer) erfolgen müssen. Das Berufungsgericht, dem zwei fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber angehörten, war daher nicht vorschriftsmäßig besetzt, was die Entscheidung nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig macht (RIS Justiz RS0042176). Der dem Berufungsgericht unterlaufene Verstoß gegen § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG wurde auch nicht nach § 37 Abs 1 ASGG geheilt, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung erfolgte (RIS Justiz RS0040259). Aber auch durch den Umstand, dass die nicht vorschriftsgemäße Besetzung des Berufungsgerichts in den Rechtsmittelschriften nicht gerügt wurde, ist keine Heilung der damit verbundenen Nichtigkeit eingetreten (vgl zuletzt 10 ObS 169/09i mwN ua).
Es musste daher aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels der beklagten Partei der vorliegende Nichtigkeitsgrund von Amts wegen wahrgenommen, das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung in vorschriftsgemäßer Besetzung aufgetragen werden (vgl zuletzt 10 ObS 169/09i mwN).
Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.