OGH vom 11.08.2009, 10ObS117/09t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Hoch und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Monika Kemperle (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Prof. Dipl.-Ing. Friedrich H*****, vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenübernahme für Heilmittel, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 180/08d-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 6 Cgs 151/05w-35, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der am geborene Kläger leidet an rezidivierenden Hörstürzen am linken Ohr.
Mit Bescheid vom hat die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter den Antrag des Klägers um Bewilligung der am verordneten Heilmittel „Omnibionta Konz Amp OP I à 25 ST und Loftyl Amp 5 ML à 5 ST" abgelehnt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit folgendem Klagebegehren:
„Die beklagte Partei ist schuldig, die Kosten des Heilmittels Omnibionta Konz. Amp OP I à 25 ST und Loftyl Amp 5 ML à 5 ST hinsichtlich der Heilbehandlung des Klägers zu übernehmen."
Die beklagte Partei hat sich im erstinstanzlichen Verfahren darauf berufen, dass in Bezug auf Loftyl Amp. kostengünstigere, frei verschreibbare Präparate mit gleicher Wirksamkeit zur Verfügung stünden. Bei Omnibionta handle es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel und nicht um ein Heilmittel zur Krankenbehandlung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Das Erstgericht gab der Klage (entsprechend dem Klagebegehren) mit der Begründung statt, dass die Kombinationstherapie mit den klagsgegenständlichen Präparaten eine ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht übersteigende Krankenbehandlung darstelle. In den Feststellungen findet sich der folgende Absatz (AS 211 = Seite 9 des Ersturteils):
„Eine solche Infusionstherapie sollte initial immer über 7 - 10 Tage verabreicht werden. Danach kann auf die orale Gabe mit Trental und Loftyl-Tabletten umgestellt werden." (Unterstreichungen im Original)
Im erstinstanzlichen Verfahren, in dem die Frage der Wirksamkeit der verordneten Heilmittel im Vordergrund stand, wurde das Klagebegehren nicht thematisiert. Den erstinstanzlichen Akten - auch den Feststellungen des Ersturteils - ist auch nicht zu entnehmen, ob der Kläger die verordneten Heilmittel auf seine Kosten angeschafft hat. In ihrer Berufung gegen das Ersturteil thematisierte die beklagte Partei (auch) das Klagebegehren, weil die Übernahme der Kosten für ein Heilmittel nur für die Zukunft (= für die Zeit nach Schluss der Verhandlung erster Instanz) in Betracht komme; die begehrte Infusionstherapie sei nach den Feststellungen in den ersten 7 - 10 Tagen nach Auftreten eines Hörsturzes anzuwenden.
Der Kläger führte in der Berufungsbeantwortung aus, dass das Klagebegehren nicht auf die Zukunft, sondern auf eine genau konkretisierte Behandlung, abgegrenzt durch zahlenmäßig definierte Stückzahlen, gerichtet sei. Das Klagebegehren sei ein Leistungsbegehren hinsichtlich der bestimmt bezeichneten Heilmittel. Das Berufungsvorbringen der beklagten Partei verstoße im Übrigen gegen das Neuerungsverbot. Eine Auflistung der Behandlungskosten sei im Gutachten des SV Dr. U***** zu finden, sodass das Klagebegehren „auch in dieser Hinsicht ausreichend konkretisiert" sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm (mit einer Ausnahme) die erstinstanzlichen Feststellungen und sah die Rechtsrüge als unberechtigt an. Zur Kritik am Klagebegehren führte es aus, dass die beklagte Partei das Vorliegen eines Hörsturzes als Anlass für die Verschreibung der klagsgegenständlichen Präparate schlüssig zugestanden habe (§ 267 ZPO). „Indem die beklagte Partei einerseits das auf Kostenübernahme gerichtete Klagebegehren nur dem Grunde nach bestritt und das Vorliegen eines Hörsturzes als Anlass für die Verschreibung der klagsgegenständlichen Kombinationstherapie schlüssig zugestand, wurde das Klagebegehren zu Recht bejaht, zumal die übrigen Voraussetzungen des § 62 Abs 2 B-KUVG vorliegen."
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil primär Tatsachenfragen zu lösen gewesen seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Begehren des Klägers zu erörtern ist, was im Sinne der Rechtssicherheit aufzugreifen ist. Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt. In ihrer außerordentlichen Revision macht die beklagte Partei als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass der Versicherte nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Gewährung von Sachleistungen habe; diese Rechtsprechung habe das Berufungsgericht außer Acht gelassen.
Dazu wurde erwogen:
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0111541; zuletzt 10 ObS 14/08v = ZAS-Judikatur 2008/132, 177 [Pacic] und 10 ObS 36/09f) kommt ein Klagebegehren auf Übernahme von Kosten für ein Heilmittel durch den beklagten Krankenversicherungsträger nur für die Zukunft in Betracht, während eine Leistungsklage auf Kostenerstattung für die Vergangenheit, nämlich bis spätestens Schluss der Verhandlung erster Instanz, voraussetzt, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen wurden. In der Entscheidung 10 ObS 36/09f (= RIS-Justiz RS0113911 [T5]) wurde auch noch ausgesprochen, dass die genannte Voraussetzung auch nicht dadurch umgangen werden kann, dass das verordnete Arzneimittel nicht bezogen (und bezahlt) wird, sondern dass auf künftige Übernahme der Kosten geklagt wird („Nach Vorfinanzierung der Kosten kann Kostenerstattung verlangt werden.").
Im vorliegenden Fall ist nicht klar, ob der Kläger das Medikament bezogen und bezahlt hat. Dies ist ebenso zu erörtern wie in der Folge das Klagebegehren. Das Neuerungsverbot steht diesem Auftrag nicht entgegen, da das Klagsvorbringen und das Klagebegehren bereits in erster Instanz von Amts wegen zu erörtern gewesen wären. Es ist auch nicht zu erkennen, warum Klagsvorbringen und Klagebegehren nicht zu erörtern wären, weil die beklagte Partei den Anspruch des Klägers „nur dem Grunde nach" bestritten habe: Tatsächlich geht es im Verfahren darum, ob für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch eine Anspruchsgrundlage besteht, dafür ist aber vorweg zu erörtern, welches Begehren der Kläger genau stellt. Eine die beklagte Partei belastende Präklusion in Bezug auf die Herstellung der Schlüssigkeit der Klage ist nicht eingetreten.
Da es offenbar noch einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist die Sozialrechtssache unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.