OGH vom 08.11.2011, 10ObS116/11y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und KR Mag. Paul Kunsky (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Roland Reichl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84 86, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 53/10h 14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 11 Cgs 242/08g 9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am geborene Kläger war von 1979 bis 1997 als Koch und Gastwirt im „H*****“ und in der „R*****“ in S***** selbständig tätig. Von 1997 bis 2008 war er Betreiber (Kantinenpächter) der „P*****“ in S*****. Dort war er Hauptverantwortlicher aller Bereiche und Tätigkeiten. Er war Küchenchef und erstellte unter anderem Menüpläne und führte Preiskalkulationen durch. Der übliche Arbeitsbeginn des Klägers war um 5:00 Uhr früh und das Arbeitsende lag zwischen 14:30 Uhr und 15:00 Uhr, wobei die Küche Montag bis Freitag von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet war. Häufig gab es kurzfristig angesetzte oder abendliche Veranstaltungen. Oft war sein Arbeitsbeginn schon um 3:00 Uhr früh und er musste an 12 bis 14 Tagen pro Monat nachts arbeiten. Täglich wurden 500 Mittagessen und 200 l Suppe zubereitet. An Hauptspeisen gab es täglich drei Menüs, an deren Zubereitung er mitgearbeitet hat.
Der Küche war noch ein Café für 200 bis 250 Personen angeschlossen. Es waren noch zwei Mitarbeiter vollzeit (Köche für Beilagen und Salate, nämlich ein Jungkoch, ein Patissier) sowie zwei Mitarbeiter (eine Halbtags Küchenhilfe und Halbtags Salaterin) teilzeitbeschäftigt. Die Küche in der P***** ist 150 m² groß und mit Steinboden, Dunstabzügen und Klimaanlage ausgestattet. Die Raumtemperatur in der Küche beträgt 19 ° und jene an den Kochgeräten 30 °. Es sind fünf Kühlräume vorhanden, in denen die Temperatur von 6° bis 15° beträgt. Es kommt wohl zu öfteren, aber keinen ständigen Aufenthalten in den Kühlhäusern.
Der typische Koch weist einen Energieverbrauch von 5.517,60 kJ auf, während sich beim Kläger ein Energieverbrauch von 5.832,00 kJ ergibt. Eine „Einarmarbeit in gebücktem Stehen schwer“ liegt bei der Arbeit des Klägers nicht vor.
Mit Bescheid vom lehnte es die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ab, die Zeiten vom bis als Schwerarbeitszeiten festzustellen.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Nach § 117a GSVG habe der Versicherungsträger unter bestimmten Voraussetzungen über Antrag des Versicherten die Schwerarbeitszeiten iSd § 298 Abs 13a GSVG und des § 4 Abs 4 APG festzustellen. § 4 Abs 4 APG enthalte eine Ermächtigung zur Erlassung einer Verordnung, in der festzulegen sei, unter welchen psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen in einem Kalendermonat „Schwerarbeit“ vorliege. § 1 Abs 1 der Schwerarbeitsverordnung (BGBl II 2006/104) zähle Tätigkeiten auf, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht würden, darunter (in § 1 Abs 1 Z 4) schwere körperliche Arbeiten, die dann vorlägen, wenn bei einer 8 stündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8.374 Arbeitskilo Joule (2.000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5.862 Arbeitskilo Joule (1.400 Arbeitskilokalorien) verbraucht würden.
Ausgehend vom Inhalt der Anlage zur Schwerarbeitsverordnung, in der die Grundsätze für die Feststellung des Vorliegens einer schweren körperlichen Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung festgelegt würden, habe der Kläger keine „Schwerarbeit“ geleistet. Eine Tätigkeit als Koch sei für Männer gemessen nach dem Kalorienverbrauch grundsätzlich keine Schwerarbeit. Für Frauen reiche der Kalorienverbrauch aus, um in die Berufsliste der Schwerarbeitsberufe für Frauen aufgenommen zu werden, nicht aber für Männer. Eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung könne darin nicht erblickt werden, da an objektive Kriterien wie den unterschiedlichen Kalorienbedarf bzw verbrauch bei weiblicher Konstitution angeknüpft werde. Der beim Kläger ermittelte Kalorienverbrauch sei weder abstrakt noch konkret ausreichend. Die Belastung des Klägers liege gemessen an seinen eigenen Angaben zwar um etwa 10 % über der eines normalen Kochs, aber immer noch deutlich unter dem Mindestwert für Schwerarbeit. Dazu komme, dass ein Alleinkoch in der Regel körperlich stärker belastet sei als ein Küchenchef, da dieser Hilfskräfte zur Verfügung habe. Bei der konkreten Tätigkeit des Klägers handle es sich zwar um eine körperlich und psychisch fordernde Arbeit, sie stelle aber insgesamt keine Schwerarbeit im Sinne der Schwerarbeitsverordnung dar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Aufgrund der von der Verordnung festgelegten objektiven Unterscheidungsmerkmale liege eine ausreichend sachliche Begründung für Differenzierungen vor. Die Methode für die Feststellung körperlicher Schwerarbeit orientiere sich an den zuletzt 1982 herausgegebenen „Tafeln für den Energieumsatz bei körperlicher Tätigkeit“ nach Spitzer/Hettinger/Kaminsky , dem Standardwerk im deutschsprachigen Raum. Die durchschnittlichen beruflichen Belastungsgrenzen seien aufgrund zahlreicher Untersuchungen und Erfahrungen durch das Max Planck Institut für Arbeitsphysiologie ermittelt und festgelegt worden, sodass die von der Schwerarbeitsverordnung gewählte Methode wissenschaftlich abgesichert sei. Zweifellos bereite die Einschätzung des vergangenen individuellen Kalorienverbrauchs große beweismäßige Schwierigkeiten. Die Anlage zur Schwerarbeitsverordnung beruhe auf der auf Normpersonen bezogenen Gruppenbewertungstabelle von Spitzer/Hettinger/Kaminsky . Unter Einbeziehung der Angaben von Dienstnehmern und Dienstgebern und der Erfahrung von Arbeitsmedizinern und Berufskundlern sei die Schwerarbeitsverordnung aber durchaus auch praktisch vollziehbar. Da die bei Männern und Frauen unterschiedlich angenommenen Normbelastungsgrenzen wiederum auf objektiven Kriterien beruhten, nämlich auf den in langjährigen und zahlreichen internationalen Studien ermittelten unterschiedlichen Durchschnittsgewichten von Männern mit 75 kg einerseits und Frauen mit 65 kg andererseits, könne auch darin keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gesehen werden. Zusammengefasst erweise sich daher die Schwerarbeitsverordnung BGBl II 2006/104 als gesetzes und verfassungskonform.
Die Revision sei zulässig, weil zur Frage der Gesetzes und Verfassungskonformität der Schwerarbeitsverordnung bisher keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, die Gruppenbewertungstabelle von Spitzer/Hettinger/Kaminsky sei nicht ausdrücklich in der Anlage zur Schwerarbeitsverordnung erwähnt. Angesichts ihres Alters sei ihre Heranziehung auch gewagt. Schon die allgemeine Lebenserfahrung zeige, dass der Kalorienverbrauch eines Menschen je nach Körpergröße, Gewicht usw unterschiedlich hoch sei. Zudem werde in der Schwerarbeitsverordnung in unsachlicher Weise differenziert, indem Tätigkeiten als Schwerarbeit einbezogen würden, die bei Anlegung eines objektiven Maßstabs nicht als solche zu qualifizieren seien, andererseits aber belastende Tätigkeiten ausgenommen seien (zB die Tätigkeit eines Fluglotsen untertags). Die gesamte Schwerarbeitsverordnung sei methodisch unschlüssig und somit unsachlich, dies insbesondere auch deshalb, weil es unmöglich sei, den Nachweis von Schwerarbeit für jeden Tag zu erbringen. Es gebe auch keine wissenschaftlich fundierten Grundlagen für die Abgrenzung, wann Schwerarbeit vorliege und wann nicht. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz sei schließlich auch die Differenzierung zwischen Männern und Frauen unzulässig. Die Vorinstanzen hätten daher zu dem Ergebnis kommen müssen, dass es sich bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit um eine schwere körperliche Arbeit im Sinne der Schwerarbeitsverordnung gehandelt habe. Da die Schwerarbeitsverordnung nicht verfassungskonform sei, werde ein Verordnungsprüfungsantrag angeregt.
Auch unter Berücksichtigung dieser vom Kläger vorgebrachten Bedenken hat der Oberste Gerichtshof mit seinem Beschluss vom , 10 ObS 140/10a, in diesem Verfahren beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 4 Abs 3 und 4 des Allgemeinen Pensionsgesetzes (APG) idF BGBl I 2006/130 als verfassungswidrig sowie § 1 Abs 1 Z 4, § 3 und die Anlage zur Schwerarbeitsverordnung, BGBl II 2006/104, als gesetzwidrig aufzuheben.
Mit Erkenntnis vom , G 20/11 ua, V 13/11 ua, hat der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag abgewiesen. Er vertritt in der Begründung seines Erkenntnisses kurz zusammengefasst die Ansicht, dass der Begriff der „Schwerarbeit“ im Gesetz hinreichend determiniert sei, kein Verstoß der Schwerarbeitsverordnung gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitssatz und auch keine Unsachlichkeit der Umschreibung der körperlichen Schwerarbeit vorliege.
Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
Im Rahmen des Revisionsverfahrens war nur noch die allfällige Verfassungswidrigkeit bzw Gesetzwidrigkeit der bekämpften Bestimmungen zu beurteilen. Da der Verfassungsgerichtshof die dagegen erhobenen Bedenken als nicht berechtigt angesehen hat und auch die Differenzierung zwischen Männern und Frauen hinsichtlich des Energieumsatzes auf objektiven Kriterien im Sinne einer Durchschnittsbetrachtung beruht, die dem Verordnungsgeber nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs auch im vorliegenden Zusammenhang nicht verwehrt ist, war der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens und Vermögensverhältnisse, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.