OGH vom 12.06.2001, 10ObS116/01h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der Katarina R*****, als Fortsetzungsberechtigte nach dem am verstorbenen, ebendort wohnhaft gewesenen Jovan R*****, vertreten durch Dr. Michael Günther, Rechtsanwalt in Wien, und der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, Linke Wienzeile 48-52, 1061 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Herstellung des gesetzlichen Zustandes, infolge Rekurses der Katarina R***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 13/01k-54, mit dem aus Anlass der Berufung der Katarina R***** das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 27 Cgs 89/98w-34, und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass des Rekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben.
Die Eingabe des Jovan R***** vom wird an die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen zurückgestellt.
Die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen ist schuldig, der Rechtsmittelwerberin zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 7.440,-- (hierin enthalten S 1.240,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der am (laut eigenen Angaben und laut Sterbeurkunde am ) geborene und am verstorbene Jovan R***** stellte am beim jugoslawischen Sozialversicherungsträger einen Antrag auf Invaliditätspension, der im Hinblick auf die in Österreich erworbenen Versicherungszeiten entsprechend dem Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter übermittelt wurde, bei der er am einlangte. Von der in Österreich leistungszuständigen Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen wurde der nach dem Günstigkeitsprinzip als Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension gewertete Antrag nach Durchführung des zwischenstaatlichen Verfahrens mit Bescheid vom mit der Begründung abgelehnt, dass die Wartezeit nicht erfüllt sei. Jovan R***** weise insgesamt nur 177 Versicherungsmonate (an Stelle von geforderten 180) auf. Dieser Bescheid vom blieb unangefochten.
Am langte bei der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen ein mit ,Antrag auf rueckwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gem. 101 ASVG" bezeichnetes Schreiben des Jovan R***** ein, in dem er darauf hinwies, er sei nicht aufgeklärt worden, dass er bei Zahlung von drei Versicherungsmonaten einen Anspruch auf Alterspension habe. Erkennbar begehrte er darin die Zuerkennung einer Alterspension ab ,nach Einzahlung von drei fehlender freiwilliger Beitraegen". Dieses Schreiben wertete die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen als Antrag auf Alterspension ab . Sie antwortete mit Schreiben vom , dass ein Anspruch auf Alterspension nur dann entstehen könnte, wenn Jovan R***** noch drei Beitragsmonate durch Zahlung von Beiträgen zur freiwilligen Weiterversicherung in der Pensionsversicherung erwerbe. Da jedoch das Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen Österreich und Jugoslawien zum gekündigt worden sei, könne der Antrag auf Alterspension zur Zeit nicht weiter behandelt werden; entschieden werden könne darüber jedenfalls erst nach Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens. Unter der Voraussetzung des Abschlusses eines neuen Sozialversicherungsabkommens könne ein Anspruch auf Alterspension frühestens zum Stichtag entstehen.
In seiner Antwort vom erklärte sich Jovan R***** bereit, die drei fehlenden Monatsbeiträge zu entrichten; er war aber im Hinblick auf die Vollendung des 65. Lebensjahres am nicht mit einem Stichtag einverstanden und beantragte die Zuerkennung der Alterspension ab .
Am gab die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen dem Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der Pensionsversicherung der Arbeiter für die Zeit vom bis statt und legte den monatlichen Beitrag mit S 1.504,80 fest.
Am richtete Jovan R***** neuerlich ein mit ,Antrag auf rueckwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gem. Art. 101 ASVG" bezeichnetes Schreiben an die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen. Er habe nach Zahlung von drei freiwilligen Versicherungsmonaten für die Zeit von Januar bis März 1996 Anspruch auf Alterspension ab . Es sei versehentlich unterlassen worden, ihn über die Möglichkeit der Zahlung von weiteren drei Versicherungsmonaten aufzuklären; mit dem Bescheid vom sei er im Glauben gehalten worden, er habe keinen Anspruch auf Alterspension.
Diesen Standpunkt wiederholte Jovan R***** im wesentlichen in einem Schreiben vom . Seines Erachtens wäre der Antrag vom auch als Antrag auf Alterspension zu prüfen gewesen. Für den Fall, dass ein Anspruch auf Alterspension ab 1. 4. bzw weiterhin verneint werde, ersuchte er um bescheidmäßige Erledigung hinsichtlich seines ,Antrages vom /101 ASVG/".
Mit Bescheid vom lehnte daraufhin die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen den ,Antrag auf Gewährung einer Alterspension" mit der Begründung ab, dass jedenfalls die Wartezeit nicht erfüllt sei.
Daraufhin richtete Jovan R***** am folgendes Schreiben an die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen:
"Widerspruch / Klage gegen den Bescheid vom
Sehr geehrte Damen und Herren,
da es sich hier offensichtlich um ein Missverständnis handelt, bitte ich um dringende Richtigstellung. Bei meinem Antrag vom handelt es sich nicht um einen Neuantrag, sondern um Antrag auf Herstellung des Gesetzlichen Zustandes hinsichtlich Ihres Bescheides vom wozu ich gem. 101 ASVG berechtigt bin. Verweisend auf die Ausführungen in meinem Antrag, als auch auf den Tatbestand dass die fehlenden drei Monate Beitragszeiten eingezahlt sind bitte ich um dringendes Verfahren.
Die Versicherten insbesondere auslaendische Versicherte sind vor Bescheiderteilung einzuleiten wie sie ihr Anspruch wahrmachen koennen, insbesondere wenn wie in meinem Falle lediglich drei Monate gefehlt haben.
Bereits bei dem Antrag vom war ich darauf hinzuweisen, dass bei Zahlung von 3 Versicherungsmonaten die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Alterspension mit 65 Jahren erfuellt sind. Da dieses unterlassen wurde wurde ich wenn auch sicherlich nicht absichtlich irregefuehrt. Insbesondere, da inzwischen 65 Jahre alt - somit vor Bescheiderteilung - war ich entsprechend zu belehren und es war mir bei Einzahlung der drei fehlenden Versicherungsmonate die Alterspension mit Anfal des 65. Lebensjahres zu gewaehren.
Somit ist der gesetzliche Zustand herzustellen, festzustellen dass im Pensionsverfahren hinsichtlich des Antrages vom auf Invaliditaetspension innerhalb des Verfahrens das 65. Lebensjahr vollendet wurde und bei Zahlung von 3 Versicherungsmonaten wozu ich berechtigt war, und welche ich bei entsprechender Anleitung auch sofort eingezahlt haette, die Voraussetzungen fuer die Zuerkennung der Alterspension mit 65 Jahren erfuellt waren.
Die rechtzeitige Zuerkennung auf Leistung der Alterspension mit 65 Jahren wurde somit verfehlt durch Versaeumnis der entsprechenden Anweisung und Dieses sei richtigzustellen, in dem die 3 inzwischen eingezahlten Versicherungsmonate in den Zeitraum wie in der Einzahlung angegeben einzuordnen sind und mir die Alterspension mit rechtzeitigem Zeitpunkt zuzuerkennen ist.
Mit der Bitte um dringendes Verfahren, fuer Ihre Muehe dankend verbleibe ich mit freundlichen Gruessen ..."
Die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen sah dieses Schreiben als Klage nach § 84 ASGG an und leitete es samt Klagebeantwortung nach § 85 Abs 2 ASGG an das Erstgericht weiter. Darin beantragte sie die Abweisung der Klage und wandte im wesentlichen ein, dass in der Pensionsversicherung das Antragsprinzip herrsche. Im konkreten Fall sei ein zeitgerechter Antrag (auf Alterspension ab ) nicht gestellt worden, sodass als frühester Stichtag der in Frage komme. Zu diesem Zeitpunkt habe aber kein Abkommen über Soziale Sicherheit mit Jugoslawien bestanden. Da über den Antrag vom rechtskräftig abgesprochen worden sei, sei auch kein unter § 101 ASVG zu subsumierender Fall vorgelegen, weshalb das Schreiben des Jovan R***** vom als neuerlicher Antrag gewertet worden sei.
Das Erstgericht wies die "Klage" ab. Zum Stichtag sei weder die Wartezeit für eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit noch für eine Invaliditätspension erfüllt gewesen. Für die begehrte Alterspension sei erst durch den am gestellten Antrag der Stichtag ausgelöst worden. Da das österreichisch-jugoslawische Abkommen über Soziale Sicherheit zum gekündigt worden und bislang kein neues Abkommen in Kraft getreten sei, hätten die 111 jugoslawischen Beitragsmonate für die Wartezeit für eine österreichische Teilalterspension nicht mehr berücksichtigt werden können. Zum Stichtag habe Jovan R***** insgesamt nur 69 österreichische Versicherungsmonate erworben, weshalb er die Wartezeit für die Alterspension nicht erfüllt habe. Das Gericht habe meritorisch zu entscheiden, da die Zulässigkeit der rückwirkenden Herstellung des gesetzlichen Zustandes nicht im Rechtsweg überprüft werden könne.
Aus Anlass der Berufung der (fortsetzungsberechtigten) Witwe hob das Berufungsgericht das Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die "Klage" zurück. Der vormalige "Kläger" habe seinen Antrag vom bzw vom und vom ausdrücklich auf § 101 ASVG gestützt. Die Ablehnung eines Antrags gemäß § 101 ASVG sei aber nicht als Leistungs-, sondern als Verwaltungssache zu beurteilen; für eine Klage sei der Rechtsweg unzulässig. Mit dem Bescheid vom habe die beklagte Partei keine erstmalige Entscheidung über eine Alterspension getroffen, sondern ausdrücklich den Antrag gemäß § 101 ASVG erledigt. Das Erstgericht habe daher über eine nicht auf den Rechtsweg gehörige Sache erkannt. Der vom vormaligen "Kläger" angestrebten Erledigung durch Zuerkennung einer Alterspension stehe der unangefochtene Bescheid der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen (vom ) entgegen. Die behauptete schuldhafte Verletzung einer Beratungspflicht durch die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen könnte allenfalls auf der Grundlage der Amtshaftung zu Schadenersatzansprüchen führen.
Gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Katarina R***** aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem eine Sachentscheidung über die Berufung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist im Sinne des auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren geltenden § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen liegt tatsächlich keine Klage gemäß § 82 ASGG vor, auch wenn das Schreiben vom ausdrücklich als "Widerspruch/Klage gegen den Bescheid vom " bezeichnet ist. Inhaltlich geht es dem Einschreiter eindeutig und allein um die Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG hinsichtlich des Bescheides vom ; er nimmt nicht die Entscheidungskompetenz des Gerichtes in Anspruch, sondern seine an die beklagte Partei gerichtete Eingabe stellt sich inhaltlich nur als Betreibung einer Entscheidung über den von ihm gestellten Antrag gemäß § 101 ASVG durch den Versicherungsträger dar.
Nach der mit der Entscheidung SSV-NF 3/76 = SZ 62/117 = JBl 1989, 736 begründeten, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die Frage, ob der gesetzliche Zustand herzustellen ist, im Verwaltungsweg auszutragen (zustimmend etwa Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995], 617 ff). Der Verfassungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom (DRdA 1995/20, Moritz) der Argumentation des Obersten Gerichtshofes angeschlossen. Damit ist klargestellt, dass die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 101 ASVG den Gerichten zwingend entzogen ist.
Daraus folgt, dass den Antrag vom nicht das Gericht, sondern der Versicherungsträger zu erledigen hat. Dieser hat jedoch auf Grund des Schriftsatzes des "Klägers" eine unzulässige "Klagebeantwortung" bei Gericht eingebracht. Den Gerichten fehlt es jedoch an einer Entscheidungskompetenz über das von Jovan R***** gestellte Rechtsschutzbegehren.
Damit müssen aus Anlass des Rekurses die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben werden. Gleichzeitig ist die Eingabe vom an den zuständigen Versicherungsträger zurückzustellen, dem die Erledigung im Verwaltungsweg zukommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 1 ZPO. Der beklagten Partei ist die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens als Verschulden zuzurechnen. Im Sinne des § 77 Abs 2 ASGG ist von einer Kostenbemessungsgrundlage von S 50.000,-- auszugehen.