OGH vom 12.10.1995, 12Os130/95
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Neumayr als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Augustin H***** wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127 und 130 Satz 1 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom , AZ 24 Bs 117/95, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr.Bierlein, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Augustin H***** zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom , AZ 24 Bs 117/95, womit in der Strafsache gegen Augustin H***** wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127 und 130 (Satz 1) erster Fall StGB, AZ 1 a E Vr 3.370/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Abweisung des Antrags auf Erlassung eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten durch den Einzelrichter als unzulässig zurückgewiesen wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 485 Abs 2 StPO in Verbindung mit § 179 Abs 5 und 6 StPO.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft stellte am gegen Augustin H***** beim Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu AZ 1 a E Vr 3.370/95 Strafantrag wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127 und 130 (Satz 1) erster Fall StGB. Damit verband sie gemäß § 484 Abs 1 StPO die Anträge auf Erlassung eines Haftbefehls gegen den unterstandslosen Beschuldigten "gemäß §§ 175 Abs 1 Z 2, Z 4, 176 StPO", seine Ausschreibung zur Verhaftung im Inland sowie auf Verhängung der Untersuchungshaft nach seiner Einlieferung "gemäß § 180 Abs 2 Z 1, Z 3 lit c StPO" (AS 1).
Mit Beschluß vom (ON 4) wies der Einzelrichter den Antrag auf Erlassung eines Haftbefehls im wesentlichen mit der Begründung ab, daß die Dringlichkeit des Tatverdachtes die Qualifikation gewerbsmäßiger Tatbegehung nicht miteinschließe, der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach Lage des Falles (Inkriminierung bloß einer Tathandlung, beträchtlicher Zeitablauf seit einschlägigen Vorverurteilungen, wirtschaftliche Basis durch Bezug der Sozialhilfe) ebensowenig zum Tragen komme wie jener der Fluchtgefahr, weil die angestrebte Verhängung der Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stünde.
Die dagegen erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom , AZ 24 Bs 117/95, als unzulässig zurückgewiesen, weil der Strafprozeßordnung ein Beschwerderecht gegen Beschlüsse des Einzelrichters über die Ablehnung eines mit dem Strafantrag verbundenen Antrages auf Erlassung eines Haftbefehls nicht zu entnehmen sei.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht, steht die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien mit dem Gesetz (§ 485 Abs 2 StPO iVm § 179 Abs 5 und 6 StPO) nicht im Einklang:
Voranzustellen ist zunächst, daß die Abweisung des staatsanwaltschaftlichen Antrages auf Erlassung eines Haftbefehls schon nach dem davon erfaßten Entscheidungsgegenstand begrifflich nichts anderes darstellt, als den prozessual frühestmöglichen Sonderfall der (a limine-)Ablehnung anklagebehördlich beantragter Haftverhängung. Steht doch der angestrebte Haftbefehl in untrennbarem rechtslogischem Zusammenhang mit der regelmäßig gleichzeitig beantragten Verhängung der Untersuchungshaft, deren wesentliche Beurteilungskriterien mit jenen des Haftbefehls meritorisch deckungsgleich sind (was auch im konkreten Fall der oben wiedergebene Inhalt der einzelrichterlichen Beschlußbegründung verdeutlicht).
Davon ausgehend liegt aber der in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien hinsichtlich der Anfechtung einzelrichterlicher Ablehnung eines beantragten Haftbefehls unterstellte, der Systematik der gesetzlichen Haftregelung diametral zuwiderlaufende Beschwerdeausschluß nicht vor, weil aus den dargelegten Erwägungen das die Verhängung der Untersuchungshaft betreffende Beschwerderecht die Anfechtung der (auch) einzelrichterlichen Ablehnung eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Haftbefehls begriffsnotwendig miteinschließt.
Nach Maßgabe der im Sinne der Beschwerdeausführungen unzweifelhaft gesetzesgewollten Verlagerung des haftspezifischen Rechtszuges von der Ratskammer zum Gerichtshof zweiter Instanz (Neufassung des § 486 Abs 4 StPO durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl Nr 526;
Bericht des Justizausschusses 1157 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des NR XVIII.GP, 4 oben, 17 unten, 18;
Foregger-Kodek StPO6 § 182 Erl V C) wäre das Oberlandesgericht demnach - seiner nicht rechtskonformen Auffassung zuwider - verhalten gewesen, über die nach §§ 179 Abs 5 und 6, 485 Abs 2 StPO zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft meritorisch zu entscheiden.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu erkennen.