VfGH vom 11.06.2013, B1267/2012
Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch Verweigerung einer Sachentscheidung mangels inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Anträgen auf weitere Zulassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft; Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Feststellung des ex lege eingetrenen, gänzlichen Erlöschens der Berechtigung infolge Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
Spruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit damit der Berufung gegen den Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom keine Folge gegeben wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.
2. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Im Übrigen wird die Beschwerde daher abgewiesen.
II. Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt in Wien. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom wurde über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Dem dagegen erhobenen Rekurs wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom keine Folge ge geben.
1.2. Mit Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (im Folgenden: RAK Wien) vom wurde daraufhin gemäß § 34 Abs 1 Z 4 RAO das Erlöschen der Berechtigung des Beschwerdeführers zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft festgestellt. Gleichzeitig wurden die Rechtsanwälte Dr. A. L. und Dr. W. L. zu mittlerweiligen Stellvertretern bestellt. Der gegen die Bestellung der mittlerweiligen Stellvertreter er hobenen Vorstellung wurde mit Beschluss des Ausschusses der RAK Wien (Plenum) vom keine Folge gegeben. Gegen den Beschluss des Ausschusses der RAK Wien vom 29. Novem ber 2011, mit dem das Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsan waltschaft festgestellt wurde, erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK).
1.3. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom wurde das über das Vermögen des Beschwerdeführers eröffnete Insolvenzverfahren gemäß § 123b Insolvenzordnung aufgehoben.
1.4. Am stellte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Antrag auf weitere Zulassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Am stellte der Beschwerde führer einen Antrag auf bescheidmäßige Erledigung seines Antrages vom und auf Enthebung der mittlerweiligen Stellvertreter.
1.5. Mit Beschluss des Ausschusses der RAK Wien (Plenum) vom wurden die Anträge des Beschwerdeführers auf weitere Zulassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft als Anträge auf Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte gedeutet und wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
1.6. Der gegen den Beschluss des Ausschusses der RAK Wien (Plenum) vom erhobenen Berufung wurde mit als Bescheid zu wertendem Beschluss der OBDK vom keine Folge gegeben. Mit diesem Beschluss gab die OBDK weiters der Berufung gegen den Beschluss des Ausschusses der RAK Wien vom , mit dem das Erlöschen der Be rechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft festgestellt worden war, keine Folge.
Zur Berufung gegen den Beschluss vom führte die OBDK begründend aus, dass die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß § 34 Abs 1 Z 4 RAO im Fall der rechtskräftigen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erlösche. Dass diese Voraussetzung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses erfüllt gewesen sei, sei nicht strittig.
Zur Berufung gegen den Beschluss vom führte die OBDK begründend aus, dass die Befugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft nach Auf hebung eines Insolvenzverfahrens nicht automatisch wieder auflebe; der Rechts anwalt habe einen neuen Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu stellen. Einen derartigen Antrag habe der Beschwerdeführer auch gestellt. Zutreffend habe aber das Plenum des Ausschusses der RAK Wien darauf hinge wiesen, dass zum damaligen Zeitpunkt noch nicht über die Berufung gegen den Beschluss vom entschieden worden sei. Der Beschluss vom sei daher noch nicht rechtskräftig und das Verfahren über die Feststellung des Erlöschens der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft somit noch nicht abgeschlossen gewesen. Die Anträge auf Zulassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft seien daher zu Recht zurückgewiesen worden.
2. Gegen diesen als Bescheid zu wertenden Beschluss der OBDK vom richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den ver fassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK, auf ein Verfahren vor dem gesetz lichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht wird. In der Beschwerde wird begründend ausgeführt, dass hinsichtlich der Anträge auf weitere Zulassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft keineswegs entschie dene Sache vorliege: Die OBDK habe die Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Handelsgericht Wien nicht berücksichtigt. Durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens liege ein geänderter Sachverhalt vor. Die OBDK gehe zu Unrecht davon aus, dass der Beschwerdeführer bereits aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen sei.
3. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete in dem zu B716/12 protokollierten Verfahren, in dem der Beschwerdeführer den Bescheid des Ausschusses der RAK Wien (Plenum) vom bekämpft, eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt.
II. Rechtslage
1. § 5a Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl I 141/2009, lautet:
"§5a. (1) Wird die Eintragung (§5) vom Ausschuß verweigert, so steht dem Be werber das Recht der Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinar kommission (siebenter Abschnitt des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter) zu. Die Berufungsfrist beträgt 14 Tage.
(2) Auf das Verfahren nach Abs 1 vor der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission sind die folgenden Vorschriften anzuwenden:
1. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission entscheidet mit Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
2. Die Entscheidung samt Gründen ist dem Ausschuß zu übersenden, dem die erforderlichen Zustellungen obliegen.
3. Im übrigen sind die Vorschriften des AußStrG anzuwenden."
2. § 34 Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl I 58/2010, lautet auszugsweise:
"IV. Abschnitt.
Erlöschung der Rechtsanwaltschaft.
§34. (1) Die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erlischt:
1. bei Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft;
2. bei rechtskräftiger Bestellung eines Sachwalters;
3. bei Verzicht;
4. bei rechtskräftiger Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder dessen rechtskräftiger Nichteröffnung mangels kostendeckenden Vermögens;
5. bei Streichung von der Liste auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses;
6. durch Tod.
(2) […]
(3) Gegen Entscheidungen nach Abs 1 und 2, soweit sie nicht auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses oder im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ergehen, steht dem Rechtsanwalt das Recht der Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (siebenter Abschnitt des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter) zu. In den Fällen des Abs 1 Z 2 und 4 und des Abs 2 Z 2 und 3 hat die Berufung keine aufschiebende Wirkung. Im Übrigen sind die Bestimmungen des § 5a Abs 2 anzuwenden.
(4) Dem Rechtsanwalt ist in den Fällen des Abs 1 und 2 ein mittlerweiliger Stellvertreter zu bestellen. Dieser ist über Mitteilung der zuständigen Rechtsanwalts kammer von Amts wegen beim Betroffenen in das Firmenbuch einzutragen und nach Ablauf seiner Bestellung wieder zu löschen. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat dem mittlerweiligen Stellvertreter Zugang zu den vom Rechtsanwalt im anwaltlichen Urkundenarchiv gespeicherten Urkunden zu ermöglichen. Ein mittlerweiliger Stellvertreter ist auch bei Erkrankung oder Ab wesenheit eines Rechtsanwalts für die Dauer der Verhinderung zu bestellen, wenn der Rechtsanwalt nicht selbst einen Substituten nach § 14 namhaft gemacht hat oder namhaft machen konnte; in diesem Fall kommt dem mittler weiligen Stellvertreter die Stellung eines Substituten nach § 14 zu.
(5) – (6) […]"
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechts vorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfas sungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstan den.
2. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
2.1. Gemäß § 34 Abs 1 Z 4 RAO erlischt die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ex lege bei rechtskräftiger Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (vgl. VfSlg 15.595/1999). Der Beschwerdeführer gehörte demnach ab der rechtskräftigen Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr dem Anwaltsstand an und konnte jedenfalls nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 123b Insolvenzordnung Anträge auf Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte stellen.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass über das ex lege eingetretene Er löschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ein Bescheid (Bescheid des Ausschusses der RAK Wien vom ) erging, der in weiterer Folge vom Beschwerdeführer bekämpft wurde. Denn dieser Bescheid hat lediglich feststellenden Charakter; die Rechtsfolge des Erlöschens der Berech tigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ist aber bereits ex lege eingetreten, weshalb es für die inhaltliche Entscheidung über die Anträge auf Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte nicht auf die Rechtskraft des Feststellungs bescheides ankommt.
Dadurch, dass sich die belangte Behörde mit den Anträgen auf weitere Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht inhaltlich auseinandersetzte, hat sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert.
Der Beschwerdeführer ist daher, soweit der Berufung gegen den Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom keine Folge gegeben wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2.2. Der Bescheid ist daher insoweit aufzuheben.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde weiters der Berufung gegen den Bescheid des Ausschusses der RAK Wien vom , mit dem das Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß § 34 Abs 1 Z 4 RAO festgestellt wurde, keine Folge gegeben.
3.1. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist nicht begründet:
Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom wurde über das Vermögen des Beschwerdeführers ein Insolvenzverfahren eröffnet. Dem da gegen gerichteten Rekurs wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom keine Folge gegeben. Gemäß § 34 Abs 1 Z 4 RAO ist infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Berechtigung des Beschwerdeführers zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erloschen. Der Ausschuss der RAK Wien hat darüber den Feststellungsbescheid vom erlassen. Der dagegen gerichteten Berufung wurde mit Bescheid der OBDK vom keine Folge gegeben. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom wurde das über den Beschwerdeführer eröffnete Insolvenzverfahren gemäß § 123b Insolvenzordnung aufgehoben.
Wenn der Beschwerdeführer ausführt, dass die OBDK die zwischenzeitig erfolgte Aufhebung des Insolvenzverfahrens berücksichtigen und somit der Berufung stattgeben hätte müssen, so ist ihm entgegenzuhalten, dass die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft nach Wegfall des Hindernisses nicht auto matisch wieder auflebt. Während die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsan waltschaft in den Fällen des § 34 Abs 2 RAO lediglich ruht, kommt es in den Fällen des § 34 Abs 1 RAO zum gänzlichen Erlöschen (RV 1638 BlgNR 20. GP, 18 f.). Wird eine Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte begehrt, so muss ein darauf gerichteter Antrag gestellt werden. Die belangte Behörde konnte somit die Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Berufungsverfahren über das Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht berücksichtigen.
Der Beschwerdeführer ist daher, soweit der Berufung gegen den Bescheid des Ausschusses der RAK Wien vom keine Folge gegeben wurde, nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.
3.2. Die Beschwerde ist daher insoweit abzuweisen.
4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie im vorliegenden Fall – gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit der Berufung gegen den Beschluss des Ausschusses der RAK Wien (Plenum) vom keine Folge gegeben wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleis teten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
1.1. Der angefochtene Bescheid ist daher insoweit aufzuheben.
1.2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– und eine Eingabengebühr in der Höhe von € 220,– enthalten.
2. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden, sodass die Beschwerde insoweit abzuweisen ist.
3. Die Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.