OGH vom 22.11.2017, 15Os131/17d (15Os132/17a)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Ingo H***** wegen des Vergehens der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 U 144/15b des Bezirksgerichts Wiener Neustadt, über die von der Generalprokuratur gegen Vorgänge im genannten Verfahren sowie im Berufungsverfahren des Landesgerichts Wiener Neustadt, AZ 14 Bl 6/17m, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner und des Verteidigers DDr. Dohr, LL.M., LL.M., zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache AZ 4 U 144/15b des Bezirksgerichts Wiener Neustadt verletzen
1./ das Unterlassen der Beifügung der beschlossenen Verbesserung des Hauptverhandlungsprotokolls in einer dem Angeklagten zuzustellenden Ausfertigung desselben § 271 Abs 7 fünfter Satz iVm § 270 Abs 3 vierter Satz iVm § 447 StPO;
2./ das Unterlassen der Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Angeklagten nach Berichtigung des Verhandlungsprotokolls sowie die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung des Angeklagten trotz Unterbleibens der genannten Zustellung § 271 Abs 7 letzter Satz iVm § 467 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 4 U 144/15b-47, wurde Ingo H***** mehrerer Vergehen schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach rechtzeitiger Anmeldung der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 48) wurde dem Verteidiger des Angeklagten (laut VJ-Register) am eine Ausfertigung des Urteils zugestellt. Dieser beantragte am die Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung dahingehend, dass es zu Beginn desselben zu lauten habe: „Festgestellt wird, dass die letzte Hauptverhandlung am [statt ] stattgefunden hat, weshalb an die bisherigen Verfahrensergebnisse angeknüpft wird“. Unter einem führte er die Berufung wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe aus (ON 49).
Mit Beschluss vom berichtigte die Bezirksrichterin das Hauptverhandlungsprotokoll antragsgemäß und verfügte die Zustellung des Beschlusses an den Angeklagten und die Staatsanwaltschaft (ON 50). Bereits am , also vor Ablauf der Rechtsmittelfristen, verfügte sie die Aktenvorlage an das Landesgericht Wiener Neustadt als Berufungsgericht (ON 1 S 17 und ON 52). Die Beifügung der beschlossenen Verbesserung des Hauptverhandlungsprotokolls in einer dem Angeklagten zuzustellenden Ausfertigung desselben unterblieb ebenso wie die erneute Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Angeklagten.
An dem am vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts anberaumten (ON 3 im Akt AZ 14 Bl 6/17m des Landesgerichts Wiener Neustadt) und am durchgeführten (ON 54) Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung wurde die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit zurückgewiesen und dieser wegen Schuld und Strafe nicht Folge gegeben (ON 55).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die genannten Vorgänge mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Zu 1./: Gemäß § 271 Abs 7 fünfter Satz iVm § 270 Abs 3 vierter Satz StPO sind Verbesserungen von Schreib- und Rechenfehlern im Verhandlungsprotokoll nicht nur am Rand desselben beizusetzen, sondern auch allen Ausfertigungen beizufügen. Letzteres kann durch Rückforderung bereits zugestellter Ausfertigungen und neuerliche Zustellung nach Verbesserung derselben, aber auch durch sofortige Zustellung eines berichtigten Verhandlungsprotokolls unter Hinweis auf die Gegenstandslosigkeit des ursprünglich zugestellten Protokolls erfolgen (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 52). Indem das Bezirksgericht dieses Vorgehen unterließ, wurde das Gesetz in den genannten Bestimmungen verletzt.
Zu 2./: Wird eine Ergänzung oder Berichtigung des Verhandlungsprotokolls nach Zustellung der Abschrift des Urteils an den Beschwerdeführer vorgenommen, so löst erst die neuerliche Zustellung der Urteilsausfertigung die Fristen zur Ausführung angemeldeter Rechtsmittel (§§ 285 und 294 StPO) aus (§ 271 Abs 7 letzter Satz [hier: iVm § 447] StPO). Wird innerhalb der neu ausgelösten Frist eine (neue) Rechtsmittelausführung eingebracht, ist letztere die einzig wirksame und eine frühere, vor Neuzustellung des Urteils eingebrachte Ausführung gegenstandslos und damit unbeachtlich. Unterlässt der Rechtsmittelwerber hingegen die Einbringung einer neuen Ausführung oder begnügt sich mit der (nicht einer eigenständigen Ausführung gleichkommenden) Erklärung, die bereits eingebrachte Ausführung aufrecht zu erhalten, oder verweist er bloß auf letztere, behält die frühere (sodann weiterhin einzige) Ausführung Wirksamkeit (RIS-Justiz
RS0126527
,
RS0126175).
Indem die Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Angeklagten nach Berichtigung des Verhandlungsprotokolls unterblieb, wurde die (erneute) Frist zur Ausführung der Berufung nicht ausgelöst und dem Angeklagten vor der Entscheidung über seine Berufung nicht die Gelegenheit eröffnet, eine (neue) Ausführung der Gründe seiner Berufung binnen vier Wochen nach erneuter Zustellung einer Urteilsausfertigung zu überreichen und allenfalls neue Tatsachen oder Beweismittel unter genauer Angabe aller zur Beurteilung ihrer Erheblichkeit dienenden Umstände anzuzeigen.
Demnach verletzen die von der Generalprokuratur aufgegriffenen Vorgänge § 271 Abs 7 letzter Satz iVm § 467 Abs 1 iVm § 447 StPO.
Der Oberste Gerichtshof sah sich nicht veranlasst, die festgestellten Gesetzesverletzungen mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO). Die Nennung eines unrichtigen Datums des vorangegangenen Verhandlungstermins im – eine Einheit bildenden (RIS-Justiz
RS0129953) – Hauptverhandlungsprotokoll betraf vorliegend keinen , somit als Grundlage eines Rechtsmittelvorbringens geeigneten Umstand (§ 271 Abs 7 zweiter Satz StPO), weshalb die Berichtigung nicht vorzunehmen gewesen wäre (vgl Danek, WK-StPO § 271 Rz 44 f; RIS-Justiz RS0120683 [T12]).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00131.17D.1122.000 |
Schlagworte: | Strafrecht; |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.