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VfGH vom 11.12.2007, B1263/07

VfGH vom 11.12.2007, B1263/07

Sammlungsnummer

18316

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Versagung einer (Erst-)Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen wegen unzulässiger Inlandsantragstellung; keine Bedenken gegen die im Fremdengesetz und im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz normierte erstmalige Antragstellung aus dem Ausland bzw gegen die gesetzliche Ausnahme; keine Vollzugsfehler; inhaltliche Prüfung des Vorliegens humanitärer Gründe

Spruch

I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der

Gerichtsgebühren wird stattgegeben.

II. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide

weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Erstbeschwerdeführer reiste im Mai 2001 illegal und schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellte am einen Asylantrag, der am in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seine Heimat zulässig sei.

Die Zweit- bis Siebentbeschwerdeführer (die Ehefrau und die minderjährigen Kinder des Erstbeschwerdeführers) reisten Anfang September 2002 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Asylantrag des Erstbeschwerdeführers bereits in erster Instanz abgewiesen worden war. Die am von den Zweit- bis Siebentbeschwerdeführern gestellten Asylerstreckungsanträge wurden am in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen.

1.2. Am wurde von der Caritas die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 10 Abs 4 des Fremdengesetzes 1997 (im Folgenden: FrG 1997) an die Beschwerdeführer angeregt. Mit Schreiben des Bundesministers für Inneres vom an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck wurde diesem Ersuchen nicht zugestimmt. Diese Tatsache sowie der Umstand, dass die Ausweisung der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet beabsichtigt ist, wurden den Beschwerdeführern mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom mit der Aufforderung zur Stellungnahme binnen zwei Wochen mitgeteilt. Diese Frist ist ungenützt verstrichen.

1.3. Trotzdem brachten die Beschwerdeführer am neuerlich Asyl- bzw. Asylerstreckungsanträge ein, die mit Berufungsbescheiden vom (zugestellt am ) gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden wurde mit Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom und des Verwaltungsgerichtshofes vom abgelehnt.

1.4. Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom wurde hinsichtlich aller Beschwerdeführer die Ausweisung verfügt. Die dagegen erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom insbesondere mit der Begründung abgewiesen, dass keine sich aus Art 8 EMRK ergebenden Gründe gegen die verfügte Ausweisung sprechen würden. Diese Bescheide wurden bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht angefochten.

Da die Beschwerdeführer der Ausweisung nicht Folge leisteten, wurden sie mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom aufgefordert, bis spätestens das Bundesgebiet zu verlassen.

2.1. Knapp vor Ablauf der Frist zur Ausreise beantragte der Erstbeschwerdeführer am die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 19 Abs 2 Z 6 iVm Abs 3 FrG 1997 für "jeglichen Aufenthaltszweck". Die Zweit- bis Siebentbeschwerdeführer beantragten ebenfalls am die Erteilung von Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen gemäß § 19 Abs 2 Z 6 iVm § 20 Abs 1 FrG 1997.

2.2. Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom wurden die Anträge gemäß §§5 Abs 1 und 2, 10 Abs 4, 14 Abs 2 und 19 Abs 2 Z 6 FrG 1997 abgewiesen.

2.3. Die dagegen erhobenen Berufungen wurden mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm §§21 Abs 1, 72 und 74 des am in Kraft getretenen und gemäß dessen § 81 Abs 1 anwendbaren Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (im Folgenden: NAG) abgewiesen.

Begründend wird zunächst ausgeführt, dass es sich bei den Anträgen um Erstanträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln handle, die gemäß § 21 Abs 1 und 2 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen gewesen wären.

Darüber hinaus hat die belangte Behörde aber im Rahmen ihrer Berufungsentscheidung geprüft, ob ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall iSd § 72 NAG vorliegt, der die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 73 Abs 2 NAG von Amts wegen rechtfertigen würde. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 NAG wurde hinsichtlich aller Beschwerdeführer verneint und daher die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen versagt. Auf Grund des Nichtvorliegens dieser Voraussetzungen wurde auch die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG für nicht zulässig erachtet.

3. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Gleichheit von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, und die Verfassungswidrigkeit des § 21 NAG behauptet wird. Begründend führen die Beschwerdeführer aus, die belangte Behörde habe den Sachverhalt nicht ausreichend iSd Art 8 EMRK gewürdigt. Sie habe ein unzureichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und dadurch die angefochtenen Bescheide mit Willkür belastet. Darüber hinaus ermögliche § 21 NAG kein Eingehen auf das Privat- und Familienleben. Abschließend wird gerügt, dass eine Ausweisung in den Kosovo, die die Abweisung der beantragten Niederlassungsbewilligungen zur Folge habe, eine unmenschliche Behandlung gemäß Art 3 EMRK darstelle.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

5. Im ergänzenden Schriftsatz vom bringen die Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , B328/07 und B1150/07, sowie unter Berufung auf den den § 73 Abs 2 NAG betreffenden Prüfungsbeschluss vom , B215,216/07, vor, die belangte Behörde habe bei der Nichterteilung der Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen unzureichend auf Art 8 EMRK Bedacht genommen.

II. Zur Rechtslage:

1. Sowohl § 14 Abs 2 FrG 1997 als auch § 21 Abs 1 NAG legen den Grundsatz der Auslandsantragstellung fest. Die Abs 2 bis 4 des § 21 NAG enthalten für den vorliegenden Fall nicht relevante Ausnahmen von Abs 1 leg.cit. Gemäß § 81 Abs 1 NAG sind Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten des NAG am anhängig waren, nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen.

2. §§72 bis 74 NAG, BGBl. I 100/2005, lauten auszugsweise:

"7. Hauptstück

Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen

Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen

§72. (1) Die Behörde kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses (§11 Abs 1), ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes (§11 Abs 1 Z 1 und 2), in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt ist. Drittstaatsangehörigen, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konflikts verlassen haben, darf eine solche Aufenthaltsbewilligung nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens jedoch für drei Monate, erteilt werden.

(2) Zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen Handlungen kann Drittstaatsangehörigen, insbesondere Zeugen oder Opfern von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel, eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen für die erforderliche Dauer, mindestens jedoch für sechs Monate, erteilt werden.

Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen

§73. (1) Die Behörde kann Drittstaatsangehörigen bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 eine 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' oder eine 'Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit' erteilen. Die Bestimmungen über die Quotenpflicht finden keine Anwendung.

(2) Aus humanitären Gründen kann von Amts wegen eine 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn

1. der Fremde die Integrationsvereinbarung (§14) erfüllt hat und

2. im Fall einer unselbständigen Erwerbstätigkeit eine Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz vorliegt.

(3) Aus humanitären Gründen kann von Amts wegen eine 'Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit' erteilt werden, wenn der Fremde die Integrationsvereinbarung (§14) erfüllt hat.

(4) ...

Inlandsantragstellung

§ 74. Die Behörde kann von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 erfüllt werden."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, der Grundsatz der Auslandsantragstellung sei verfassungswidrig, weil er die Berücksichtigung des Vorliegens humanitärer Gründe und das Eingehen auf persönliche Verhältnisse im Hinblick auf Art 8 EMRK ausschließe.

1.2.1. Ebenso wie nach § 14 Abs 2 FrG 1997 sind gemäß § 21 Abs 1 NAG Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland zu stellen. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu den insoweit gleich lautenden Vorgängerbestimmungen des § 14 Abs 2 FrG 1997 und des § 6 Abs 2 Aufenthaltsgesetz bestehen keine Bedenken gegen den Grundsatz der Auslandsantragstellung (zum Aufenthaltsgesetz vgl. VfSlg. 14.747/1997, zum FrG 1997 vgl. VfSlg. 16.939/2003). Der Verfassungsgerichtshof sieht sich auch aus Anlass dieser Beschwerde nicht veranlasst, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Es kann dem Gesetzgeber nämlich nicht entgegengetreten werden, wenn er zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens vorsieht, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen Fremden noch vor dessen Einreise in das Bundesgebiet zu prüfen sind.

1.2.2. Im Zusammenhang mit § 21 Abs 1 NAG ist auch § 74 NAG zu berücksichtigen, der - wie seine Vorgängerbestimmungen (§§14 Abs 2 iVm 10 Abs 4 FrG 1997) - eine Ausnahme vom Grundsatz der Auslandsantragstellung zum Inhalt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wovon offensichtlich auch die zuständigen Behörden ausgegangen sind, indem sie die Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen nicht zurück-, sondern abgewiesen haben. Angesichts dieser auch verfassungsrechtlich gebotenen Interpretation (Art8 iVm 13 EMRK) bestehen keine Bedenken gegen § 74 NAG.

1.2.3. Der Verfassungsgerichtshof kann daher insgesamt nicht finden, dass die Beschwerdeführer durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurden.

2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.1. Die Beschwerdeführer behaupten sowohl in der Beschwerde als auch in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , B328/07 und B1150/07, die belangte Behörde hätte ihnen bei Beachtung der dort angeführten Kriterien die beantragten Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen erteilen müssen. Darüber hinaus sei der vorliegende Sachverhalt dem gleichzuhalten, der dem Prüfungsbeschluss B215,216/07 zugrunde liegt.

2.2. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch von dem dem Prüfungsbeschluss B215,216/07 zugrunde liegenden Sachverhalt, zumal die belangte Behörde den (noch im zeitlichen Geltungsbereich des FrG 1997 gestellten) Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nicht wegen Unzulässigkeit einer solchen Antragstellung zurückgewiesen, sondern zugelassen und von Amts wegen das Vorliegen humanitärer Gründe geprüft und verneint hat.

2.3. Soweit die Beschwerdeführer das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen im Hinblick auf Art 8 EMRK behaupten, übersehen sie, dass sie mit rechtskräftigen Bescheiden der Sicherheitsdirektion des Landes Oberösterreich vom ausgewiesen wurden; in diesen bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht angefochtenen Bescheiden wurde bereits festgestellt, dass die Beschwerdeführer durch die Ausweisung in ihren durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt wurden. Wenn die belangte Behörde angesichts dessen das Vorliegen von Gründen iSd Art 8 EMRK nicht neuerlich geprüft hat, hat sie kein Verfassungsgebot verletzt.

2.4. Soweit die Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gemäß Art 3 EMRK behaupten, ist ihnen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) entgegenzuhalten, dass das vorliegende Verfahren keine Ausweisung zum Gegenstand hat und Art 3 EMRK auf die Erteilung von Aufenthaltstiteln keine Anwendung findet (EGMR , Fall Vilvarajah u.a., Appl. 13.163/87, ÖJZ 1992/13; EGMR , Fall Chahal, Appl. 22.414/93, ÖJZ 1997/20).

2.5. Auch eine Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, ist nicht erkennbar.

2.6. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführer in einem von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wären.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.