OGH vom 14.09.2004, 10ObS115/04s

OGH vom 14.09.2004, 10ObS115/04s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Jörg Krainhöfner und Eveline Umgeher (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz M*****, vertreten durch Dr. Michael Schuller, Rechtsanwalt in Hermagor, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr. Paul Bachmann und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 23/04w-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cgs 187/03t-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger ging 55 Monate lang einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach: von bis zur Löschung am war er Inhaber der Gewerbeberechtigung "Platten- und Fliesenleger". Weiters liegen 6 Monate (09/ 2002 - 02/2003) unselbständiger Tätigkeit als Fliesenleger vor.

Der Kläger kann nur mehr leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten im Stehen, Gehen und Sitzen verrichten. Arbeiten in exponierten Positionen und in Zwangshaltungen sind ebenso zu vermeiden wie wiederholte Arbeiten in gebückter, hockender und kniender Körperstellung bzw in unebenem Gelände. Wiederholte Arbeiten mit nachhaltigen Unterkühlungen oder Ganzkörpervibrationsbelastungen sind ausgeschlossen. Kontinuierlich stehende Arbeiten sind durchschnittlich jeweils mit einer Dreiviertelstunde und insgesamt mit etwa der halben Tagesarbeitszeit limitiert. Fallweise mittelschwere Arbeiten sind gelegentlich möglich, nicht jedoch kontinuierlich.

Der Kläger kann die Tätigkeit eines selbständigen Fliesenlegers nicht mehr ausüben. Es gibt auch keine artverwandten selbständigen Tätigkeiten, die mit dem vorliegenden Leistungskalkül in Einklang stehen.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es eine Vielzahl von Verweisungsberufen, bei denen nur körperlich leichte Arbeiten zu verrichten sind, beispielsweise die Tätigkeit eines Portiers oder einfache Tätigkeiten in arbeitsteilig organisierten Betrieben, wie Prüf-, Kontroll- und einfache Justierarbeiten.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft den Antrag des Klägers vom auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension mangels Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 GSVG ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ab dem Tag der Antragstellung, in eventu auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit gerichtete Klage ab. Das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit beim Kläger sei nach § 133 Abs 1 GSVG zu beurteilen. § 133 Abs 2 GSVG sei nicht anzuwenden, da bei der Beurteilung von Leistungsansprüchen nach dem GSVG nur durch selbständige Erwerbstätigkeit erworbene Versicherungszeiten zu berücksichtigen seien. Unter Anwendung dieser Grundsätze fehle es an der rechtlichen Voraussetzung der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit durch mehr als 60 Kalendermonate. Da auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Vielzahl von mit dem Leistungskalkül des Klägers in Einklang stehenden Verweisungsberufen vorhanden sei, sei das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit zu verneinen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Wenn nach den Bestimmungen über die Wanderversicherung die Zugehörigkeit des Versicherten zur Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft gegeben sei, sei der Leistungsanspruch ausschließlich nach dem GSVG zu prüfen. Die Prüfung des Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit habe nur auf der Grundlage der in diesem Versicherungszweig versicherten Tätigkeiten zu erfolgen. Demgemäß stelle § 133 Abs 2 GSVG bezüglich der Möglichkeit der Weiterführung einer selbständigen Tätigkeit nur auf Kenntnisse und Fähigkeiten ab, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich gewesen seien. Es treffe zwar zu, dass im Wortlaut des § 133 Abs 2 GSVG idF BGBl 1993/336 hinsichtlich der zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht ausdrücklich auf eine selbständige Erwerbstätigkeit abgestellt werde; dies bedeute jedoch nicht, dass bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen auch auf unselbständige Tätigkeiten Bedacht zu nehmen wäre. Bei Änderung des Gesetzeswortlauts mit der 19. GSVG-Novelle sei keine Änderung der Anspruchsvoraussetzung auch dahingehend beabsichtigt worden, dass auch Zeiten unselbständiger Tätigkeit zu berücksichtigen wären. Auch die Verwendung des auch im § 124 BSVG gebrauchten Ausdrucks "Erwerbstätigkeit" anstelle des im ASVG verwendeten Begriffs "Tätigkeit" (§ 255 ASVG) lasse darauf schließen, dass weiterhin ausschließlich auf Zeiten selbständiger Erwerbstätigkeit abzustellen sein sollte. Für diese Auslegung spreche im Übrigen, dass gemäß § 133 Abs 2 GSVG eine Verweisung jedenfalls nur auf andere selbständige Tätigkeiten zulässig sei, sodass also die mit der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit verbundenen Besonderheiten berücksichtigt würden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Entscheidungen zu vergleichbaren Sachverhalten noch nicht vorlägen und sowohl der Wortlaut des § 133 Abs 2 GSVG als auch die Bestimmungen des § 129 Abs 8 Z 1 GSVG für den Standpunkt des Klägers ins Treffen geführt werden könnten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Hinblick auf die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 133 Abs 2 GSVG im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebung- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Nicht strittig ist die Leistungszugehörigkeit des Klägers zur Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft. In diesem Fall ist der Leistungsanspruch ausschließlich nach dem GSVG zu prüfen (SSV-NF 9/10 = SZ 68/30; RIS-Justiz RS0109046).

§ 133 Abs 2 Satz 1 GSVG erhielt die heute geltende Fassung mit der 19. GSVG-Novelle, BGBl 1993/336. Demnach gilt ein Versicherter, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, als erwerbsunfähig, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat.

Vor der 19. GSVG-Novelle wurde darauf abgestellt, dass ein Versicherter, dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war und der das 55. Lebensjahr vollendet hatte, infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande war, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat.

In den Gesetzesmaterialien der 19. GSVG-Novelle (933 BlgNR 18. GP) wird die Änderung des § 133 Abs 2 GSVG folgendermaßen begründet: "Auf Anregung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft soll ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein, so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Ein Tätigkeitsschutz soll zwischen dem 50. und dem 55. Lebensjahr weiterhin nicht bestehen." (siehe zu den Intentionen und den Auswirkungen der Novelle etwa Rudda, Gedanken zur Erwerbsunfähigkeit gewerblich Selbständiger, ZAS 1994, 119).

Aus dem Fehlen des Adjektivs "selbständig" vor der Wortfolge "Erwerbstätigkeit ..., die der ... Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat" leitet der Kläger nun ab, dass seit dem Inkrafttreten der 19. GSVG-Novelle (BGBl 1993/336) mit auf eine einheitliche Sicht der Erwerbstätigkeit abzustellen sei, unabhängig davon, ob diese in selbständiger oder unselbständiger Form ausgeübt worden sei.

Den zitierten Gesetzesmaterialien ist eine solche Intention nicht ausdrücklich zu entnehmen; andererseits wird aber auch nicht dargestellt, dass die Änderung des Gesetzeswortlauts keine inhaltliche Bedeutung haben sollte.

Der Oberste Gerichtshof hat sich bald nach dem Inkrafttreten der 19. GSVG-Novelle in seinen Entscheidungen 10 ObS 293/94(SSV-NF 9/22), 10 ObS 99/95 (SVSlg 43.779 = ARD 4713/30/96) und 10 ObS 106/95(SSV-NF 9/56) mit der Novellierung des § 133 Abs 2 GSVG befasst und ist dabei - wenn auch ohne nähere Auseinandersetzung - davon ausgegangen, dass es bei der Beurteilung des möglichen Verweisungsfeldes auf die Kenntnisse und Fähigkeiten ankommt, die für die durch 60 Monate tatsächlich ausgeübte "selbständige Tätigkeit" erforderlich waren. Dem Versicherten soll bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen.

Umgekehrt wird einem vormals unselbständigen Erwerbstätigen nicht zugemutet, sich auf eine selbständige Tätigkeit verweisen zu lassen (RIS-Justiz RS0084991 [T6]; SZ 73/110 = SSV-NF 14/76 = ZAS 2001/11, Tomandl = DRdA 2001/30, A. Ritzberger-Moser [Heimarbeit]), und es haben Beitragszeiten aus selbständiger Erwerbstätigkeit keine Bedeutung für die Begründung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 ASVG (vgl § 255 Abs 2 ASVG: "in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz").

Damit tragen Gesetz und Judikatur dem Umstand Rechnung, dass selbst bei gleichen Berufsbezeichnungen (etwa hier: "Fliesenleger") nur in Teilbereichen, vor allem im manuellen Bereich, übereinstimmende Anforderungen in selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten gestellt werden. Vor allem im dispositiven Bereich erfordert eine selbständige Tätigkeit andere Qualifikationen (etwa auch kaufmännische, betriebsorganisatorische und planerische Kenntnisse und Fähigkeiten) als eine unselbständige. Eine Gleichbehandlung aller Zeiten als "Fliesenleger", wie vom Kläger gewünscht, würde bedeuten, dass damit Tätigkeiten mit sehr unterschiedlich ausgeformten Anforderungen einheitlich behandelt würden, was dem Abstellen des § 133 Abs 2 GSVG auf eine ganz bestimmte Tätigkeit, die zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt wurde, widerspricht. Nicht zuletzt wegen der Maßgeblichkeit der Kalendermonate ist für den Kläger auch aus § 129 Abs 8 Z 1 GSVG nichts zu gewinnen, da diese Bestimmung nur anordnet, dass Beitrags- und Ersatzmonate sowie neutrale Zeiten aus dem Bereich des ASVG und des BSVG im Rahmen der Wanderversicherung auch als Beitrags- und Ersatzmonate sowie neutrale Zeiten nach dem GSVG zählen.

Letztlich würde die Ansicht des Klägers darauf hinauslaufen, dass bei gegebener Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der gewerblichen Sozialversicherung § 133 Abs 2 GSVG auch dann angewendet werden müsste, wenn die zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübte Tätigkeit ausschließlich eine unselbständige war - ein Ergebnis, das dem primären Ziel des § 133 Abs 2 GSVG entgegensteht, insbesondere Kleingewerbetreibenden, also Selbständigen ab einem bestimmten Alter einen Berufsschutz zu gewähren, der demjenigen nach § 255 Abs 1 ASVG gleichkommt (siehe etwa SSV-NF 9/22 und RIS-Justiz RS0086348).

Mangels Anwendbarkeit des § 133 Abs 2 GSVG ist der Revision somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.