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OGH vom 06.12.2018, 12Os129/18i

OGH vom 06.12.2018, 12Os129/18i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Strafsache gegen Mei Y***** wegen des Vergehens der Schlepperei nach § 114 Abs 1 FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 24 Hv 51/17v-851, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung der Angeklagten werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch jene Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, die nicht durch die ganz erfolglos gebliebenen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursacht wurden.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Freispruch der Angeklagten Mei Y***** enthält, wurde diese des Vergehens der Schlepperei nach § 114 Abs 1 FPG (A./) und des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 (zu ergänzen: erster Fall [vgl US 12]) StGB (B./) schuldig erkannt.

Nach dem Schuldspruch hat sie in W***** und an anderen Orten Österreichs im Herbst 2014

A./ die rechtswidrige Einreise einer Fremden, nämlich der chinesischen Staatsangehörigen H***** Z*****, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich Österreich, mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem sie die Genannte an eine Schlepperorganisation in China verwies, die gegen Entgelt von umgerechnet etwa 7.000 Euro die Einreise nach Österreich organisierte, wobei sie während der Reise Informationen und Anordnungen an H***** Z***** erteilte und sie vom Flughafen abholte;

B./ eine Person, mag sie auch bereits der Prostitution nachgegangen sein, und zwar H***** Z*****, der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, nämlich in Österreich zugeführt, indem sie ihr vorschlug, nach Österreich zu kommen, sie diese dann in ihrer Wohnung aufnahm und sie als Prostituierte in ein Bordell vermittelte.

Von den weiteren Anklagevorwürfen (betreffend von der Staatsanwaltschaft als Verbrechen des Menschenhandels nach § 104a Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB sowie Vergehen der Ausbeutung eines Fremden nach § 116 Abs 1 FPG qualifiziertes Verhalten) wurde die Angeklagte Mei Y***** hingegen gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zwar die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung angemeldet (ON 850 S 43), deren schriftliche Ausführung jedoch unterlassen.

Gegen die Schuldsprüche richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a sowie 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Mei Y*****.

Rechtliche Beurteilung

:

Die Staatsanwaltschaft hat zwar rechtzeitig, nämlich unmittelbar nach Urteilsverkündung, die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung angemeldet (Hv-Protokoll ON 850 S 43), deren schriftliche Ausführung jedoch in weiterer Folge unterlassen.

Mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung eines der in § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO oder § 281a StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe war die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO).

Die Berufung der Staatsanwaltschaft war ebenfalls zurückzuweisen (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO), weil der Anmeldung des – sodann nicht ausgeführten – Rechtsmittels keine Festlegung über die Richtung der Sanktionsanfechtung (zu Gunsten oder zum Nachteil der Angeklagten) zu entnehmen ist (RIS-Justiz RS0100042, RS0099919, RS0100560).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Mei :

Die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) behauptet zu A./ des Schuldspruchs Undeutlichkeit des Urteils, weil nicht klar wäre, „welche konkreten Anweisungen und Informationen die Angeklagte der H***** Z***** erteilt habe“. Damit bezieht sie sich auf keine entscheidende Tatsache, weil allein schon die konstatierte Vermittlung der Genannten an die Schlepperin „X*****“ (US 5 f) – unter Berücksichtigung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite – den Schuldspruch trägt (RIS-Justiz RS0106268).

Der – im Übrigen weder eine entscheidende noch eine erhebliche Tatsache (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 f und 409) betreffende – Umstand, dass H***** Z***** ihr Heimatland China verlassen wollte, fand – der diesbezüglichen Beschwerdebehauptung zu Schuldspruch B./ (dSn Z 5 zweiter Fall) zuwider – ohnedies Berücksichtigung in den (gedrängt darzustellenden [§ 270 Abs 2 Z 5 StPO]) Entscheidungsgründen (US 5 und 8 f). Das weitere Vorbringen zu B./, die Angeklagte hätte „aus reiner Hilfsbereitschaft“ gehandelt, entspricht keiner Anfechtungskategorie der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO (vgl im Übrigen US 5).

Das weitere gegen Schuldspruch B./ gerichtete Vorbringen der Mängelrüge behauptet Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall; vgl dazu RIS-Justiz

RS0117995), weil dem Urteil „nicht klar entnommen werden“ könne, „in welcher Weise die Angeklagte ihre Freundin H***** Z***** konkret beeinflusst haben soll“. Dabei übergeht die Beschwerde
die Feststellungen, wonach die Angeklagte ihr vorschlug, in einem Bordell, das sie aufgrund eines Inserats in einer Zeitung ausfindig gemacht hatte, als Prostituierte zu arbeiten, und sie schließlich auch dorthin begleitete (US 5 f).

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Beweiswerterwägungen des Erstgerichts) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung – wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt – abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).

Indem die Rüge einen einzelnen Satz der Zeugin H***** Z***** aus ihrer kontradiktorischen Vernehmung (nämlich wonach die Angeklagte „dafür gesorgt“ habe, „dass sie arbeiten konnte“ [ON 842 S 24]) herausgreift und daran anknüpfend ausführt, dass diese sehr allgemein gehaltene Aussage kein Substrat für die Annahme des Tatbestandsmerkmals des Zuführens zur Prostitution beinhalte, werden qualifizierte Bedenken nicht erweckt.

Gleiches gilt für die – auf die beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter hinsichtlich der Verneinung des (auch) in Richtung Ausbeutung erhobenen Anklagevorwurfs (US 11) Bezug nehmende – Überlegung, dass es „nicht einleuchtend und nachvollziehbar“ sei, „wie ein und dieselbe Vernehmung glaubhaft und dann wieder nicht glaubhaft bzw mit Missverständnissen belastet und dann wieder nicht mit Missverständnissen belastet sein“ könne, weswegen die gesamte Aussage der Zeugin H***** Z***** vor der Polizei dem Urteil nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen.

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts (einschließlich prozessualer Verfolgungs-voraussetzungen) mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO). Ausgehend davon ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§ 259, § 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (vgl RIS-Justiz RS0099810).

Diesen Anfechtungskriterien wird die gegen den Schuldspruch A./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht gerecht, indem sie bloß vorbringt, die Angeklagte habe keine iSd § 114 Abs 1 FPG tatbildlichen Handlungen gesetzt, sowie weiters behauptet, dass die bloße Namhaftmachung einer Person, die in weiterer Folge die rechtswidrige Einreise abwickelt, noch nicht als kausales Fördern der Schlepperei angesehen werden könne, und dass es am Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung eines Dritten mangle. Damit nimmt sie den gebotenen Vergleich des tatsächlich festgestellten – alle Tatbestandsmerkmale zweifelsfrei abdeckenden – Sachverhalts (s insbesondere US 5 f und 9) mit dem zur Anwendung gebrachten materiellen Recht nicht vor, sondern unternimmt vielmehr den Versuch, Urteilsfeststellungen mittels eigenständiger Beweiswert-erwägungen (so sei etwa das Abholen vom Flughafen als reiner Freundschaftsdienst zu erachten und habe die Angeklagte bei Namhaftmachung der Kontaktperson keineswegs mit dem Vorsatz gehandelt, diese unrechtmäßig zu bereichern, zumal sich die Angeklagte ja erst danach nach den Kosten erkundigt habe) durch andere zu ersetzen. Solcherart erweist sich die Rechtsrüge als nicht prozessförmig ausgeführt.

Gleiches gilt in Ansehung der gegen den Schuldspruch B./ gerichteten Rechtsrüge (Z 9 lit a), welche Feststellungen zu einer aktiven und gezielten Einflussnahme

zur Verlagerung der gesamten Lebensführung als Prostituierte in einen fremden Staat (vgl Philipp in WK2 StGB Rz 15) vermisst, dabei aber die bezughabenden – sowohl zur objektiven als auch zur subjektiven Tatseite getroffenen – Konstatierungen (US 5 ff) übergeht. Mit selbständigen Beweisüberlegungen – so etwa den Hinweisen darauf, dass es die freie Entscheidung der H***** Z***** gewesen sei, nach ihrer Einreise nach Österreich der Prostitution nachzugehen, die Angeklagte zu keinem Zeitpunkt Druck auf die genannte Zeugin ausgeübt habe und aus den an eine Freundin im Zuge eines Freundschaftsdienstes geleisteten Unterstützungs-handlungen keine qualifizierte Vermittlertätigkeit abgeleitet werden könne – versucht die Rechtsrüge erneut bloß, ihr missliebig erscheinende Feststellungen durch andere zu ersetzen. Damit verfehlt sie aber wiederum den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.

Zur Diversionsrüge (Z 10a) mangelt es den Rechtsmittelausführungen an einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung von Umständen, weshalb im vorliegenden Fall die Ausschlussklausel des § 198 Abs 3 zweiter Satz StPO, wonach eine strafbare Handlung nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB angesichts der dort angedrohten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren nicht diversionsfähig ist, nicht gelten sollte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung der Genannten folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WKStPO § 390a Rz 8).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00129.18I.1206.000

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