OGH vom 14.11.2017, 11Fss3/17f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz als weitere Richter über den von Andrzej S***** im Verfahren AZ 28 Hv 20/15g des Landesgerichts Innsbruck gestellten Fristsetzungsantrag nach Anhörung der Generalprokuratur und Abstimmung gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo. 2005 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Andrzej S***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom (ON 345) mehrerer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. An Verwahrungs- und Untersuchungshaft wurden im gegenständlichen Verfahren verbrachte Haftzeiten von 12:35 Uhr bis 17:55 Uhr angerechnet (ON 345).
Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Genannten mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 11 Os 106/15w (11 Os 107/15t, 11 Os 110/15h, 11 Os 121/15a; ON 523), gab das Oberlandesgericht Innsbruck seiner Berufung mit Urteil vom , AZ 6 Bs 169/16w (ON 558), nicht Folge.
Mit Beschluss vom , AZ 12 Os 130/16h (12 Os 141/16a, 12 Os 1/17i, 12 Os 2/17m; ON 704a) wies der Oberste Gerichtshof Anträge des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens zurück und einen solchen auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab.
Mit Endverfügung vom , die gemäß § 400 StPO eine Anrechnung der Zwischenhaft vom , 17:55 Uhr bis , 10:00 Uhr und von , 17:36 Uhr bis 10:15 Uhr vorsah (dazwischen verbüßte der Angeklagte eine zu AZ 37 Hv 42/09t des Landesgerichts Salzburg offene [Rest-]Freiheitsstrafe), wurde der Justizanstalt Innsbruck die Strafvollzugsanordnung übermittelt (ON 559, 569, 570). Derzeit wird die Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Stein vollzogen (ON 714).
Mit Schreiben vom (ON 716) stellte der Verurteilte ua den Antrag, der Oberste Gerichtshofe möge dem Oberlandesgericht Innsbruck im Zusammenhang mit dem vorgenannten Verfahren zu AZ 6 Bs 169/16w eine angemessene Frist setzen zur „Fällung, Ausfertigung und Zustellung einer Entscheidung“ über eine mit der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom verbundene „Beschwerde“ gegen „die Nichtanwendung der bedingten Nachsicht des Strafrests“ gemäß „§ 265 StPO (§ 46 Abs 1, Abs 2, Abs 5 StGB) iVm § 498 Abs 2 letzter Satz, Abs 3 StPO“.
Der Antragsteller steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, das Berufungsgericht hätte seinerzeit anlässlich der Entscheidung über die Strafberufung auch eine Entscheidung über eine „Beschwerde“ gegen „die Nichtanwendung von § 265 StPO“ zu treffen gehabt und sei seither damit säumig. Dabei geht er von der Prämisse aus, ihm seien im gegenständlichen Verfahren zahlreiche Haften anzurechnen gewesen, die er in Deutschland von 1994 bis in Strafhaft verbüßt oder in Untersuchungshaft verbracht habe.
Zunächst sei festgehalten, dass das erstinstanzliche Urteil ausschließlich die Anrechnung von im gegenständlichen Verfahren (im Inland) erlittener Verwahrungs- und Untersuchungshaft vornahm (ON 345 S 11). Einen Beschluss, der (positiv oder negativ) im Sinn des § 265 StPO über die Frage allfälliger bedingter Entlassung absprach, fasste es nicht. Auf Basis der von ihm ausgesprochenen Vorhaftanrechnung bestand – schon mangels Vorliegens der zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung – für das Erstgericht auch keinerlei Veranlassung, einen solchen Beschluss von Amts wegen zu fällen (vgl Mayerhofer/Hollaender, StPO § 265 E 1 und 1a).
Der Antragsteller erklärte seinerzeit unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung nach Rücksprache mit seinem Verteidiger, als Rechtsmittel „Nichtigkeits-beschwerde, Beschwerde und Berufung“, „somit volles Rechtsmittel“ zu erheben (ON 344 S 25). Mit Schriftsatz vom meldete er durch seinen Verteidiger „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ an (ON 347). Mit Vorlagebericht vom (ON 437) legte das Erstgericht die Akten bezüglich der vom Verteidiger ausgeführten Nichtigkeitbeschwerde und Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das Ersturteil (ON 400) vor.
Bei der Anmeldung von Rechtsmitteln und im weiteren Berufungsverfahren erstattete der Antragsteller keinerlei Vorbringen, das auf die Anrechnung weiterer (etwa im Ausland verbrachter) Haftzeiten (§ 283 Abs 2 zweiter Satz StPO) oder gar auf eine Beschlussfassung im Sinn des § 265 StPO abzielte (ON 344 S 25, ON 400 S 65, ON 554; ON 556). Auf welchen Beschluss sich die mündlich angemeldete „Beschwerde“ beziehen sollte, obwohl zugleich mit dem Urteil kein Beschluss (insbesondere im Sinn von §§ 494a ff oder § 265 StPO) ergangen war, blieb offen. Von sämtlichen beteiligten Gerichten wurde die mündliche Erklärung deshalb erkennbar im Sinn der schriftlichen Anmeldung und Ausführung von Rechtsmitteln durch den Verteidiger als der Sache nach volles Rechtsmittel gegen das (allein) ergangene Urteil, sohin als Nichtigkeitsbeschwerde und – bei der mündlichen Anmeldung bloß irrig auch als „Beschwerde“ bezeichnete – Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe gedeutet und behandelt.
Rechtliche Beurteilung
Mit seiner Berufungsentscheidung entschied das Oberlandesgericht Innsbruck nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Obersten Gerichtshof bereits rechtskräftig über diese Berufung.
Von sich aus sah es dabei offenbar keinen Grund, die erstinstanzliche Entscheidung über die Anrechnung von Haftzeiten zu thematisieren oder (zu Gunsten des Angeklagten) zu korrigieren. Auf dieser Basis bestand aber auch für das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung keine Veranlassung, amtswegig einen (positiven oder negativen) Beschluss im Sinn des § 265 Abs 1 zweiter Satz StPO zu fassen (vgl neuerlich Mayerhofer/Hollaender, StPO § 265 E 1 und 1a). Mangels Vorliegens eines erstinstanzlichen (positiven oder negativen) Beschlusses im Sinn des § 265 StPO und mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung durch den Angeklagten war es auch nicht gehalten, die undeutliche und unbestimmte Anmeldung einer „Beschwerde“ von sich aus als eine intendierte Beschwerde im Sinn des § 265 Abs 2 StPO zu interpretieren. Über eine (bloß) implizite Beschwerde hatte es in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht zu entscheiden, weil ein erstinstanzlicher Beschluss im Sinn von § 498 Abs 3 dritter Satz StPO (auch iVm § 265 Abs 2 StPO) gar nicht existierte.
Dass die Rechtsmittelentscheidung des Oberlandesgerichts vom inhaltlich nicht den erst danach artikulierten Wünschen des Antragstellers auf Anrechnung weiterer Haftzeiten und damit einhergehender bedingter Entlassung entsprach, kann keinesfalls (nachträglich) im Fristsetzungsverfahren durchgesetzt werden (vgl RIS-Justiz RS0059285).
Gemäß § 91 Abs 1 GOG setzt der Erfolg eines Fristsetzungsantrags im Übrigen voraus, dass das betroffene Gericht mit einer Entscheidung oder der Vornahme einer Verfahrenshandlung säumig ist (vgl in diesem Verfahren bereits: 11 Fss 1/16k; 11 Fss 2/16g; 11 Fss 1/17m; 11 Fss 2/17h).
Da dem Oberlandesgericht Innsbruck nach seiner rechtskräftigen Entscheidung gerade keine konkret-aktuelle Kompetenz für eine Entscheidung gemäß § 265 Abs 1 oder 2 StPO zukommt, hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf eine Erledigung seines der Sache nach bloß auf eine inhaltliche Korrektur der seinerzeitigen Rechtsmittel-entscheidung abzielenden Begehrens.
Deshalb war der Fristsetzungsantrag zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:011FSS00003.17F.1114.000 |
Schlagworte: | 3 Alle Os-Entscheidungen |
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