VfGH vom 27.02.2012, B1241/11
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Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und amtswegiges Normenprüfungsverfahren
1. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nahm in einem gegen diesen als Beschuldigten geführten Strafverfahren Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft und stellte dabei 147 Aktenablichtungen durch Digitalphotographie her. Die Kostenbeamtin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz erließ am einen Zahlungsauftrag in Höhe von € 81,50. Dem dagegen erhobenen Berichtigungsantrag wurde mit Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz unter anderem unter Berufung auf § 29a Gerichtsgebührengesetz (GGG) idF BGBl. I 100/2008, Anmerkung 6 zu Tarifpost 15 GGG idF Artikel I Z 17 litb der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Neufestsetzung von Gerichtsgebühren und Bemessungsgrundlagen, BGBl. II 188/2009, sowie § 2 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, BGBl. II 390/2007, nicht stattgegeben.
2. Dagegen richtet sich die auf Art 144 B-VG
gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte infolge Anwendung verfassungswidriger Gesetzes- sowie gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Graz erstattete als belangte Behörde eine Gegenschrift.
4. Aus Anlass zweier Beschwerden gegen Bescheide des Leiters der Staatsanwaltschaft Linz und der Präsidentin des Landesgerichtes Innsbruck, B1060/10 und B1456/10, hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit
a) der Anmerkung 6 zu Tarifpost 15 des Bundesgesetzes vom über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz - GGG), BGBl. 501 idF BGBl. I 52/2009 sowie idF Artikel I Z 17 litb der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Neufestsetzung von Gerichtsgebühren und Bemessungsgrundlagen, BGBl. II 188/2009, und
b) des § 29a des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. 501/1984 idF BGBl. I 100/2008,
sowie unter anderem die Gesetzmäßigkeit
a) des Artikels I Z 17 litb der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Neufestsetzung von Gerichtsgebühren und Bemessungsgrundlagen, BGBl. II 188/2009, und
b) des § 2 der Verordnung der Bundesministerin für
Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, BGBl. II 390/2007,
von Amts wegen zu prüfen.
II. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die -
zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G85,86/11, V77-81/11, unter anderem § 29a GGG idF BGBl. I 100/2008 und § 2 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, BGBl. II 390/2007, als verfassungs- bzw. gesetzwidrig aufgehoben sowie ausgesprochen, dass Anmerkung 6 zu Tarifpost 15 GGG idF Artikel I Z 17 litb der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, BGBl. II 188/2009, und dieser Artikel I Z 17 litb der genannten Verordnung verfassungs- bzw. gesetzwidrig waren.
1.2. Gemäß Art 139 Abs 6 und Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung bzw. eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 139 Abs 6 und Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzes- bzw. Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzes- bzw. Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).
1.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzes- bzw. Verordnungsprüfungsverfahren begann am . Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungs- bzw. gesetzwidrig aufgehobenen bzw. erkannten Gesetzes- bzw. Verordnungsbestimmungen an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzes- bzw. Verordnungsanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben.
2. Damit erübrigen sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen sowie ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.