OGH vom 07.11.2019, 12Os127/19x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sysel als Schriftführer in der Strafsache gegen Nedzad B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 6 Hv 59/19d des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des genannten Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom , AZ 9 Bs 305/19z, 9 Bs 308/19s, 9 Bs 309/19p, 9 Bs 310/19k, 9 Bs 311/19g, 9 Bs 312/19d, 9 Bs 313/19a, 9 Bs 314/19y, 9 Bs 315/19w, 9 Bs 316/19t, 9 Bs 317/19i (ON 1568 der Hv-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Nedzad B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit am beim Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht eingebrachter Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft Graz Nedzad B***** und anderen Angeklagten als Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB, der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB qualifiziertes Verhalten zur Last (ON 1435 der HvAkten).
Nachdem über den Genannten mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom , GZ 20 HR 14/15p140, die Untersuchungshaft verhängt worden war, ordnete das Gericht mit Beschluss vom , AZ 20 HR 14/15p (ON 1221 der HvAkten) dessen Enthaftung an. Dabei bejahte es den dringenden Tatverdacht in Richtung der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB sowie das Vorliegen der Haftgründe der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO. Die Aufhebung der Untersuchungshaft begründete es mit dem Fehlen der Voraussetzungen des § 178 Abs 2 StGB (BS 17 f).
Mit Beschluss vom wurde über Nedzad B***** nach Einbringung der Anklageschrift, jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung neuerlich die Untersuchungshaft verhängt (ON 1453).
Der dagegen vom Angeklagten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss nicht Folge und setzte die über ihn verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fort.
Dabei erachtete das Beschwerdegericht Nedzad B***** dringend verdächtig, er habe
1./ sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der sich zunächst als Islamischer Staat im Irak und in Syrien und ab als Islamischer Staat bezeichnenden terroristischen Vereinigung, somit an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen nach § 84 bis 87 StGB, schwere Nötigungen (§ 106 StGB) und schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB) begangen werden, wobei diese Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen, und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder zu Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staats ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung mit dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung in deren Ziel, nämlich vorerst in Syrien und im Irak und schließlich weltweit einen radikal islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten gemäß § 278c Abs 1 StGB fördert, indem er von Jahresanfang 2014 bis in G***** und W*****
- durch zahlreiche schriftlich und über Internetforen verbreitete Publikationen salafistisch-dschihadistischen Inhalts zur Lossagung und zur Unterwerfung von „muschrik“ (Juden und Christen), zur Feindschaft und zum Hass gegenüber Ungläubigen aufrief, die Ideologie des Takfirismus (Muslime anderer Glaubensrichtungen zu Ungläubigen zu erklären und zu vernichten) bewarb und sich solcherart durch Verbreitung von radikal-islamistischem Gedankengut, wonach der als Dschihad bezeichnete bewaffnete Kampf gegen Andersgläubige mit dem Ziel der weltweiten Errichtung eines radikal islamistischen Gottesstaates (Kalifat) Pflicht jedes gläubigen Muslims sei, gegenüber Mitgliedern des in G***** situierten islamischen Glaubensvereins T*****, als Vordenker des Islamischen Staats, als deren Stützpunkt Nermin S*****, Fuat I*****, Nihad J***** und andere maßgeblich verantwortliche Entscheidungsträger den Verein errichtet hatten, betätigte,
- die von ihm in religiösen Fragen beratenen faktischen Entscheidungsträger des genannten Vereins Nermin S*****, Fuat I*****, Nihad J*****, Agim A*****, Redzep K***** und Bidaj O***** dabei unterstützte, unter Verwendung der von ihm verbreiteten Publikationen, welche sich an der radikal-islamistischen Ideologie der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat orientierten, zahlreiche Mitglieder des genannten Vereins zu radikalisieren, um diese als neue Mitglieder des „Islamischen Staates anzuwerben und dazu zu bewegen, sich dem Islamischen Staat anzuschließen, dessen terroristische Ziele, mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes weltweit einen als (Kalifat) bezeichneten Gottesstaat zu errichten und unter anderem auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsgemäße Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern, sowie deren terroristische Straftaten zu fördern, und sich zu diesem Zweck in das von dieser terroristischen Vereinigung, welche auch als kriminelle Organisation iSd § 278a StGB und als staatsfeindliche Verbindung iSd § 246 Abs 1 StGB anzusehen ist, besetzte Territorium nach Syrien zu begeben, um sich dort teils als Kämpfer, teils am Aufbau der Infrastruktur der genannten Terrororganisation zu beteiligen, wobei sich aufgrund der von Nedzad B***** begangenen Taten Ende August 2014 sowie am insgesamt (zumindest) siebenunddreißig Mitlieder des Glaubensvereins T***** dem Islamischen Staat anschlossen und nach Syrien begaben, um die angesprochenen Ziele zu verwirklichen und die angesprochenen terroristischen Straftaten des Islamischen Staats zu fördern, sowie
- indem er dem Obmann des Glaubensvereins Redzep K***** zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Vorträge mit dem Titel „Verlust des Diesseits 5“, „Verlust des Diesseits 7“ und „Verlust des Diesseits 8“ zukommen ließ, deren Inhalte auf der Kernbotschaft des in einem von Abu M***** verfassten Buch mit dem Titel „Aufruf zum globalen islamischen Widerstand“ basieren, worin der genannte Autor seine Leser auffordert, ihre dschihadistischen Aktivitäten zu dezentralisieren, sodass lokal tätige Gruppen Terroranschläge mit einer hohen Opferzahl selbst planen und durchführen können,
2./ sich als Mitglied an der als Islamischer Staat bezeichneten kriminellen Organisation, welche als eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal-islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Ziels terroristische Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB zu begehen, somit wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, durch die unter 1./ angeführten Taten im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation mit dem Wissen beteiligte, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert,
3./ sich durch die unter Punkt 1./ und 2./ bezeichneten Handlungen an einer Verbindung, nämlich der radikal-islamistisch ausgerichteten terroristischen Vereinigung Islamischer Staat, deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist, auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern, führend betätigte und für sie Mitglieder warb, wobei er mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte, welcher sich auf die Staatsfeindlichkeit der Verbindung iSd § 246 Abs 1 StGB und auf die rechtswidrigen Mittel zur Erreichung der staatsfeindlichen Ziele erstreckte, dass die von ihm Nihad J*****, Fuat I***** und Redzep K***** zugänglich gemachten Vorträge – deren Inhalte geeignet sind, gegenüber islamistisch gesinnten Zuhörern die Bereitschaft zu erwecken oder diese darin zu bestärken, durch bewaffneten Kampf auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern – dazu verwendet werden, zumindest zwei neue Mitglieder der auch als staatsfeindliche Verbindung anzusehenden terroristischen Vereinigung Islamischer Staat anzuwerben (BS 21 ff).
Dieses Verhalten subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1./), der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (2./) und der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB (3./ BS 21).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diesen Beschluss erhobene Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Nedzad B***** ist nicht berechtigt.
Soweit der Beschwerdeführer auf § 178 Abs 3 StPO Bezug nimmt und ausführt, eine spezifische Aktualisierung des Haftgrundes der Fluchtgefahr in der Richtung, dass die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Inhaftierung des Beschuldigten zu scheitern drohte (vgl Kirchbacher/Rami, WKStPO § 178 Rz 14), wäre nicht vorgelegen, verkennt er, dass das Beschwerdegericht die Haft nicht auf die angesprochene Bestimmung gründete.
Vielmehr stützte das Oberlandesgericht seinen Beschluss auf nach der Enthaftung des Beschwerdeführers hervorgekommene Beweismittel, welche – über die ursprünglich angenommene dringende Verdachtslage hinaus – den dringenden Verdacht des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 1 und Abs 2 erster und zweiter Fall StGB hervorbrachten (BS 19 ff, insbesondere 24 ff; vgl Kirchbacher/Rami, WKStPO § 178 Rz 16).
Die Grundrechtsbeschwerde bringt vor, die Beweismittel, nämlich der Anlassbericht ON 1241, welcher Übersetzungen von Vorträgen des Nedzad B***** enthält, und das über diese vom Sachverständigen Dr. S***** erstattete Gutachten (ON 1290) wären nicht neu, weil die Auswertung des Datenmaterials erst eineinhalb Jahre nach der Sicherstellung der betreffenden CD erfolgt war. Damit gelingt es dem Angeklagten nicht, die behauptete Willkür der Entscheidung des Oberlandesgerichts darzulegen (vgl BS 24 ff). Weshalb es hier auf den Zeitpunkt der Sicherstellung des Datenträgers ankommen sollte, wird nicht klar (vgl Lewisch, WKStPO § 353 Rz 45 ff).
Das Beschwerdegericht setzte die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fort. Die Grundrechtsbeschwerde richtet sich bloß gegen die Annahme der Fluchtgefahr. Weil bereits ein Haftgrund die Fortsetzung der Untersuchungshaft trägt, bedürfen die diesbezüglichen Beschwerdeargumente keiner Erörterung.
Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00127.19X.1107.000 |
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