VfGH vom 07.10.2009, B1235/08

VfGH vom 07.10.2009, B1235/08

Sammlungsnummer

18899

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die von der Landesberufungskommission bestätigte Zurückweisung des Antrags einer Wahlärztin auf Nichtigerklärung eines Einzelvertrags zwischen einem anderen Arzt und einer Gebietskrankenkasse; keine Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission zur Entscheidung von Streitigkeiten im Vorfeld des Abschlusses eines Einzelvertrags

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine Ärztin für Allgemeinmedizin,

betreibt eine Wahlarztpraxis und hat sich für eine ab geschaffene Kassenstelle eines Arztes für Allgemeinmedizin in der Gemeinde St. Michael ob Bleiburg beworben. Nachdem die Kärntner Gebietskrankenkasse einen Einzelvertrag mit einem anderen Arzt abgeschlossen hatte, hat die Beschwerdeführerin am einen Antrag an die paritätische Schiedskommission gestellt, diese möge den mit dem anderen Arzt abgeschlossenen Einzelvertrag als nichtig aufheben, das Verfahren zur Ausschreibung für die Besetzung der Kassenstelle aufheben und eine Wiederholung des Verfahrens verfügen, in eventu bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung der Ärztekammer für Kärnten über den Einspruch der Antragstellerin den Abschluss des Einzelvertrages für diese Stelle untersagen.

Die paritätische Schiedskommission hat diesen Antrag mit Bescheid vom mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. Mit Bescheid der Landesberufungskommission für Kärnten vom wurde der dagegen erhobenen Berufung nicht Folge gegeben. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, dass nur die Parteien des Einzelvertrages vor der paritätischen Schiedskommission antragsberechtigt seien, die nunmehrige Beschwerdeführerin aber noch nicht Partei des Einzelvertrages sei.

2. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (§345 Abs 3 iVm § 346 Abs 7 ASVG) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, im Besonderen auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein faires Verfahren, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Die Beschwerdeführerin behauptet im Wesentlichen, dass die zwischen der Kärntner Gebietskrankenkasse und der Ärztekammer für Kärnten abgeschlossenen Richtlinien als Verordnung zu deuten wären und unsachliche Kriterien enthielten sowie der bundesweit erlassenen Reihungskriterien-Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, BGBl. II 487/2002, nicht entsprechen würden. Über ihren Einspruch hätte die Ärztekammer für Kärnten zudem einen Bescheid erlassen müssen.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

4. Die Kärntner Gebietskrankenkasse und die Ärztekammer für Kärnten erstatteten jeweils Äußerungen, in denen sie beantragten, die Beschwerde zurück- bzw. abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Gemäß § 341 Abs 1 ASVG sind die Beziehungen der Träger der Krankenversicherung zu den freiberuflich tätigen Ärzten (Gruppenpraxen) durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung - mit deren Zustimmung - durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge haben u.a. die Zahl und die örtliche Verteilung der Vertragsärzte (Vertrags-Gruppenpraxen) festzulegen (§342 Abs 1 Z 1 ASVG) und Bestimmungen über die Auswahl der Vertragsärzte (Vertrags-Gruppenpraxen) sowie über den Abschluss und die Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge) zu enthalten (§342 Abs 1 Z 2 ASVG).

Gemäß § 343 Abs 1 ASVG haben die Auswahl der Vertragsärzte und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der sozialen Krankenversicherung und dem Arzt (siehe dazu auch § 341 Abs 3 ASVG) nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer zu erfolgen. Die Bewerber um Einzelverträge sind nach verbindlichen Kriterien zu reihen (siehe dazu die Reihungskriterien-Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, BGBl. II 487/2002). Dabei sind auch die fachliche Eignung der Bewerber und die zeitliche Reihenfolge der Bewerbungen um Einzelverträge zu berücksichtigen; die Reihungskriterien haben jedenfalls dem Gleichheitsgebot, der Erwerbsausübungs- und Niederlassungsfreiheit sowie den Bestimmungen der EMRK zu entsprechen.

Die sonach geschlossenen Einzelverträge (auf deren Abschluss jedoch kein Rechtsanspruch besteht [VfSlg. 17.824/2006]) sind für alle Gebiets- und Betriebskrankenkassen sowie für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wirksam. Einzelverträge, die nicht im Rahmen der im Gesamtvertrag vereinbarten Zahl und örtlichen Verteilung abgeschlossen werden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Hauptverbandes und der zuständigen Ärztekammer, bei Nichteinigung der Zustimmung des Hauptverbandes und der Österreichischen Ärztekammer (§343 Abs 1 vorletzter Satz ASVG).

2.1. Gemäß § 344 Abs 1 erster Satz ASVG entscheidet die paritätische Schiedskommission (ebenso wie die ihr im Instanzenzug übergeordnete Landesberufungskommission) über Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen. Antragsberechtigt sind "die Parteien des Einzelvertrages" (§344 Abs 1 letzter Satz ASVG).

Diese Bestimmung ist zwar - wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat (siehe etwa VfSlg. 15.178/1998, 15.804/2000, 17.056/2003, 17.201/2004 mwN) - weit auszulegen, sie erfasst jedoch nur solche "Streitigkeiten", die zwischen den Parteien eines bestehenden Einzelvertrages entstanden sind und mit diesem in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen (vgl. auch § 2 Abs 1 Z 1 der Schiedskommissionsverordnung - SchKV, BGBl. 128/1991 idF BGBl. 614/1996). Wie sich insbesondere aus § 341 Abs 3 ASVG ergibt, ist ein Einzelvertrag zwischen einem Träger der sozialen Krankenversicherung und einem Arzt abzuschließen. Die paritätische Schiedskommission kann daher nur entweder von einem Krankenversicherungsträger gegen einen Vertragsarzt oder von einem Vertragsarzt gegen einen Krankenversicherungsträger angerufen werden.

2.2. Nicht zum Wirkungskreis der paritätischen Schiedskommission und der Landesberufungskommission zählen somit Streitigkeiten im Vorfeld des Abschlusses eines Einzelvertrages. Wie der OGH bereits ausgesprochen hat, sind Streitigkeiten um die Kassenarztauswahl und -zulassung vor den ordentlichen Gerichten im Zivilrechtsweg auszutragen (vgl. [SZ 74/129]; s. auch ). Im Besonderen sind die Richtlinien über die Punktevergabe in den Reihungsbestimmungen zwischen dem jeweiligen Krankenversicherungsträger und der zuständigen Ärztekammer privatrechtlicher Natur (vgl. etwa VfSlg. 14.740/1997, 15.414/1999). Daran, dass die paritätische Schiedskommission gemäß § 344 ASVG nur zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zuständig ist, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit einem bereits bestehenden Einzelvertrag stehen, hat - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - die Erlassung der Reihungskriterien-Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, BGBl. II 487/2002, für den vorliegenden Zusammenhang nichts geändert (vgl. dazu VfSlg. 18.107/2007).

3. Da daher im konkreten Fall keine Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission bestand, kann der Landesberufungskommission nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Zurückweisung des Antrags der Beschwerdeführerin auf Nichtigerklärung eines zwischen einem anderen Arzt und der Kärntner Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Einzelvertrages bestätigt hat. Aus diesem Grund stellt sich auch nicht die Frage der Rechtsnatur der von der Beschwerdeführerin bezogenen, im beschwerdegegenständlichen Verfahren nicht relevanten Richtlinien.

4. Die behaupteten Rechtsverletzungen liegen somit nicht vor. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass der angefochtene Bescheid die Beschwerdeführerin in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hätte.

Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

5. Ob die Behörde das Gesetz in jeder Hinsicht richtig angewendet hat, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie vorliegend - gegen den Bescheid einer sogenannten Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag richtet, der gemäß Art 133 Z 4 B-VG nicht mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann (zB VfSlg. 3975/1961, 6760/1972, 7121/1973, 7654/1975, 9541/1982 mwN).

6. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

7. Der beteiligten Ärztekammer für Kärnten waren für den nicht abverlangten Schriftsatz Kosten nicht zuzusprechen (VfSlg. 13.355/1993, 13.847/1994, 14.976/1997, 16.499/2002, 17.294/2004).

8. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).