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OGH vom 20.10.2009, 10ObS113/09d

OGH vom 20.10.2009, 10ObS113/09d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Dr. Markus Kaspar, beide aus dem Kreis der Arbeitgeber, als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Astrid P*****, als Fortsetzungsberechtigte nach dem am verstorbenen Johann B*****, zuletzt: ebendort, vertreten durch Dr. Johannes Grund, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1030 Wien, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 39/09f-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 300/08s-5, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe :

Der Pflegebedarf des am verstorbenen Johann B***** entsprach in der Zeit vom bis zu seinem Todestag der Stufe 5. Sein Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld nach dem BPGG ist am bei der beklagten Partei eingelangt, wurde aber schon vor diesem Tag zur Post gegeben.

Mit Bescheid vom gab die beklagte Partei dem Antrag der Klägerin auf Fortsetzung des Verfahrens nach dem Verstorbenen statt. Aufgrund des Antrags vom wurde ein Pflegegeld der Stufe 5 für den Zeitraum bis (Todestag) zuerkannt.

Die dagegen erhobene Klage der Fortsetzungsberechtigten ist auf Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 5 ab bis im gesetzlichen Ausmaß gerichtet. Für den Anspruchsbeginn sei gemäß § 9 Abs 1 BPGG der der Antragstellung nächstfolgende (Monats-)Erste maßgeblich. Dies sei (schon) der , weil der Pflegegeldantrag bereits im August 2008 gestellt worden sei, aufgrund des Postlaufs aber erst am Montag, dem bei der beklagten Partei eingelangt sei. Da hier gemäß § 24 BPGG die Verfahrensbestimmungen des ASVG und des AVG anzuwenden seien, treffe den Einschreiter gemäß § 13 AVG zwar die Gefahr des Verlusts einer versendeten Eingabe; dies bedeute aber nicht, dass iSd § 9 BPGG der „Fristenlauf" erst beginne, wenn der Antrag bei der Behörde bzw beim Sozialversicherungsträger eingelangt sei. Bei wörtlicher Auslegung der zitierten Bestimmung sei vielmehr „auch der Tag der Antragstellung" der ausschlaggebende Zeitpunkt für den Pflegegeldanspruch. Soweit sich der Antragsteller der Post bediene gelte der Antrag als „tatsächlich zum Antragszeitpunkt gestellt", wenn er auch bei der Behörde einlange.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. § 361 Abs 4 ASVG, der laut ausdrücklicher gesetzlicher Nennung auch im Pflegegeldverfahren zur Anwendung gelange (§ 24 BPGG), habe nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs den Zweck, Nachteile für Versicherte hintanzuhalten, die Leistungsanträge in den dort genannten Versicherungszweigen bei einem unzuständigen Sozialversicherungsträger oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung bzw bei einer Gemeinde einbringen. Dafür, dass diese Anträge bezüglich ihrer Rechtzeitigkeit anders zu beurteilen wären als solche, die beim zuständigen Versicherungsträger eingebracht werden, bestehe kein Anhaltspunkt. Die zitierte Bestimmung normiere aber ausdrücklich den Tag des Einlangens beim ersten Sozialversicherungsträger bzw bei der ersten Behörde als den Tag der rechtswirksamen Einbringung. Daher sei § 24 BPGG iVm § 9 BPGG und § 361 Abs 4 ASVG so zu verstehen, dass es auf das Einlangen des Antrags auf Pflegegeld bei der beklagten Partei ankomme.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei nur zu der bescheidmäßig zuerkannten Leistung und wies das darüber hinausgehende Klagebegehren ab. Schon in den EB zur Stammfassung des BPGG (RV 776 BlgNR XVIII. GP 27) zu § 9 BPGG werde ausdrücklich festgehalten, dass als Antragsmonat der Monat gelte, in welchem der Antrag bei einer der in § 25 BPGG genannten Stellen „einlangt" (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld2 [2008] Rz 214, FN 351 und Rz 785). Zutreffend sei (auch) die Argumentation der beklagten Partei zu § 24 BPGG und § 361 Abs 4 ASVG. Im Übrigen sehe das BPGG in § 25 Abs 1 eine im Wesentlichen gleichlautende Regelung vor. Den Ausführungen der Klägerin zu § 13 AVG sei daher § 24 BPGG entgegenzuhalten, wonach für die Beklagte als Sozialversicherungsträger § 361 ASVG zur Anwendung kommen müsse, während das AVG nur subsidiär für „sonstige Entscheidungsträger" heranzuziehen sei. Abgesehen davon sei auch im Verwaltungsverfahren der Zeitpunkt des tatsächlichen Einlangens maßgeblich (Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 Rz 35 f).

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und schloss sich dessen rechtlicher Beurteilung an. Nach dem Zweck des § 361 Abs 4 ASVG sollten Anträge beim unzuständigen Versicherungsträger mit gleicher fristwahrender Wirkung wie beim zuständigen Versicherungsträger eingebracht werden können. Die diesbezüglichen - gemäß § 357 Abs 1 ASVG im Verfahren vor den Versicherungsträgern anzuwendenden - Verfahrensnormen des AVG führten zu keinem anderen Ergebnis: Nach § 33 Abs 3 AVG seien zwar die Tage des Postlaufs (von der Übergabe an einen Zustelldienst bis zum Einlangen bei der Behörde) in die Frist grundsätzlich nicht einzurechnen; dies gelte jedoch nur für verfahrensrechtliche Fristen. Für Fristen oder Zeiträume, in oder vor denen - wie im vorliegenden Fall - eine bestimmte Frist gesetzt werde oder ein bestimmtes Ereignis eintreten müsse, woran das Gesetz oder ein Rechtsträger bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpften (= materiell-rechtliche Frist), gelte die Bestimmung des § 33 Abs 3 AVG hingegen nicht. Daher komme es in diesen Fällen auch nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrens auf den Zeitpunkt des Einlangens einer Eingabe bei der (zuständigen) Behörde an. Inwieweit § 903 dritter Satz ABGB - eine Norm des materiellen Zivilrechts - bei der Auslegung der Bestimmungen des BPGG, ASVG und AVG über den maßgeblichen Zeitpunkt der „Antragstellung" im Verfahren vor dem Versicherungsträger Relevanz haben sollte, sei nicht zu erkennen. Dasselbe gelte für den von der Klägerin ins Treffen geführten § 89d GOG; diese (Spezial-)Vorschrift regle den Zeitpunkt des Einlangens elektronischer Eingaben bei Gericht, während im vorliegenden Fall Eingaben im Verfahren vor dem Versicherungsträger zu beurteilen seien. Im Übrigen sei die Österreichische Post AG keine Behörde iSd § 361 Abs 4 ASVG.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob für den - in sämtlichen Verfahren über die Zuerkennung von Pflegegeld maßgeblichen - Zeitpunkt der „Antragstellung" iSd § 9 BPGG die Postaufgabe oder das Einlangen des Antrags (Zuerkennung von Pflegegeld) beim Versicherungsträger maßgeblich sei, noch nicht Stellung genommen.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin beruft sich weiterhin darauf, § 903 dritter Satz ABGB und § 89d GOG seien, weil sich daraus der Grundsatz ergebe, dass der Tag des Abschickens oder der Antragstellung als relevanter Tag für die Rechtsfolgen herangezogen werde, „hilfsweise zur Auslegung" der hier maßgebenden Bestimmungen des BPGG heranzuziehen; § 361 Abs 4 ASVG sei hingegen nicht geeignet, „zur näheren Definition des Zeitpunkts der Antragstellung herangezogen zu werden", weil diese Bestimmung lediglich dem Schutz rechtsunkundiger Pensions- und Pflegegeldwerber vor undurchsichtigen Zuständigkeitsregeln diene. Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeute dies Folgendes: Wenn die Revisionswerberin an einem Freitag „den Antrag stellt und schriftlich zur Post gibt" und Ende des Monats ein Sonntag sei, so verschiebe sich dieses Ende des Monats auf den nächsten Werktag, also auf Montag, den . Hätte der Gesetzgeber tatsächlich ausschließlich das Einlangen beim Versicherungsträger „gemeint und gewollt", so hätte er dies auch in die Gesetzesbestimmung aufgenommen, wie es in § 361 Abs 4 ASVG vorgenommen worden sei.

Dazu wurde erwogen:

Der erkennende Senat teilt die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts, auf dessen Ausführungen gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen wird. Die zutreffende Argumentation ist daher nur kurz wie folgt zu ergänzen:

Das BPGG hat in seiner ursprünglichen, mit in Kraft getretenen Fassung (BGBl 1993/110) in seinem § 9 vorgesehen, dass das Pflegegeld „mit Beginn des Monats, in dem die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt sind, frühestens aber mit Beginn des Monates, in dem der Antrag gestellt ... wurde", gebührt. Als Antragsmonat galt dabei der Monat, in welchem der Antrag bei einer in § 25 BPGG genannten Stellen einlangte (vgl EB zur RV 776 BlgNR XVIII. GP 27). Auf das Antragsprinzip verweist weiters § 25 BPGG. In diesem Sinn wurde in § 9 BPGG zwischen den „Voraussetzungen für die Zuerkennung" der Leistung und dem Antrag, der zum Anfall der Leistung führt, differenziert. § 9 BPGG wurde mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl 1996/201) anders formuliert, mit dem allein mit budgetären Erwägungen begründeten Ziel, dass der Anspruch erst ab dem der Antragstellung folgenden Monatsersten gebühren soll (RV 72 BlgNR XX. GP 204 und 239). Die ursprüngliche, mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 inhaltlich nur in Bezug auf den Leistungsanfall veränderte Fassung zeigt sehr deutlich, dass die Voraussetzungen für den Pflegegeldanspruch mit Beginn der Pflegebedürftigkeit (und der Erfüllung allfälliger weiterer vom BPGG geforderter materieller Voraussetzungen) vorliegen und ein Antrag den Anfall der Leistung auslöst (10 ObS 61/05a = SSV-NF 19/50).

Das BPGG sieht also für die Antragstellung auf Leistungen keine Fristen vor, sondern stellt es in das Belieben des Leistungsberechtigten, durch entsprechende Wahl der Antragstellung den Anfall der Leistung zu bewirken. Damit fehlt es aber an einer essentiellen Voraussetzung für eine (auch nur analoge) Anwendbarkeit der Bestimmungen, auf die sich die Revisionswerberin weiterhin beruft (so bereits das OLG Wien SSV 24/120 [zu einem Antrag auf Leistungen aus der Pensionsversicherung, für den ebenfalls keine Frist vorgesehen war]).

Schon mangels einer für die Antragstellung auf Pflegegeld einzuhaltenden Frist , die einer Ablaufhemmung nach § 904 Satz 3 ABGB bzw § 33 Abs 2 AVG unterliegen könnte (s dazu: Bollenberger in KBB² § 903 ABGB Rz 3 mwN bzw Hengstschläger/Leeb, AVG § 33 Rz 2), oder durch § 89 Abs 1 GOG bzw § 33 Abs 3 AVG um die Dauer des Postlaufs verlängert werden könnte (s dazu Gitschthaler in Rechberger³ §§ 124-126 ZPO Rz 11 sowie Buchegger in Fasching/Konecny² II/2 § 126 ZPO Rz 16 und 22 jeweils mwN bzw Hengstschläger/Leeb, AVG § 33 Rz 3), kann es somit auf die Postaufgabe (am Freitag, dem ), auf die sich die Klägerin im Ergebnis weiterhin beruft, nicht ankommen:

Der Anfall der Pflegegeldleistung (mit dem der Antragstellung folgenden Monatsersten) wird vielmehr (erst) durch das Einlangen des Pflegegeldantrags beim zuständigen Entscheidungsträger oder einer anderen Behörde, einem anderen Sozialversicherungsträger, einem Gericht oder einem Gemeindeamt ausgelöst (§ 25 Abs 1 Satz 2 BPGG; so auch Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld2, Rz 214). Genauso ist nach § 13 Abs 1 AVG der Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten aus Sicht der Beteiligten geregelt, für den ebenfalls der jeweilige Zeitpunkt „des tatsächlichen Einlangens" eines Antrags maßgebend ist (s dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 Rz 1, 35); nichts anderes gilt aber - ganz allgemein - auch nach § 361 Abs 4 ASVG für Anträge, die beim unzuständigen Versicherungsträger oder einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung gestellt werden; diese Norm stellt freilich sogar ausdrücklich auf den Tag des „Einlangens" ab.

Da der von der Klägerin angestrebten Auslegung der hier anzuwendenden Bestimmungen des BPGG somit die Grundlage fehlt, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Aktuelle berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden aber nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.