OGH vom 23.04.2014, 10Ob22/14d

OGH vom 23.04.2014, 10Ob22/14d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen T*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Kinder und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirke 12, 13 und 23, Rößlergasse 15, 1230 Wien), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 12/14v 193, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom , GZ 7 Pu 165/13w 186, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die derzeit 17 jährige Minderjährige absolviert seit eine Lehre und bezog zuletzt Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 56 EUR monatlich.

Mit Eingabe vom (ON 185) beantragte die Minderjährige, vertreten durch den Kinder und Jugendhilfeträger, den Vater zur Leistung eines Sonderbedarfs von 2.272,40 EUR zu verpflichten. Dieser Betrag sei für eine kieferorthopädische Behandlung im ersten Behandlungsjahr zu zahlen. Der Vater trat diesem Antrag mit dem Hinweis entgegen, dass die Minderjährige seit selbsterhaltungsfähig sei.

Das Erstgericht stellte mit Beschluss vom (ON 186) die der Minderjährigen zuletzt gewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 56 EUR mit Ablauf des gemäß § 20 UVG mit der Begründung ein, die Minderjährige erziele seit ein monatliches Eigeneinkommen von 937 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen und sei damit als selbsterhaltungsfähig anzusehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen keine Folge. Es vertrat im Wesentlichen die Auffassung, der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung 10 Ob 20/13h die Vorschussfähigkeit eines Sonderbedarfs, der in monatlichen Beträgen zugesprochen worden sei, bejaht, die Frage der Bevorschussung eines einmalig abzugeltenden Sonderbedarfs jedoch eher verneint. Selbst wenn im vorliegenden Fall der Vater zur Zahlung des von der Minderjährigen begehrten Sonderbedarfs von 2.272,40 EUR für eine kieferorthopädische Behandlung verpflichtet werde, liege hier nicht ein Fall eines monatlich abzudeckenden, sondern eines einmaligen Sonderbedarfs vor, welcher nach der zitierten Rechtsprechung eher nicht einer Bevorschussung zugänglich sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob auch ein einmalig zu deckender Sonderbedarf zu bevorschussen sei, vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Einstellungsbeschluss des Erstgerichts aufgehoben werde.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden von den anderen Verfahrensparteien nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, auch wenn im vorliegenden Fall ein einmaliger Sonderbedarf vorliege, könne die Bevorschussungsfähigkeit nicht von der Art der Auferlegung der Zahlungspflicht des einmaligen Sonderbedarfs abhängen. Es sei daher entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts auch ein bloß einmalig zu deckender Sonderbedarf einer Bevorschussung zugänglich.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Die elterliche Unterhaltspflicht entfällt mit Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit. Diese tritt unabhängig vom Kindesalter dann ein, wenn das Kind die bei selbständiger Haushaltsführung für eine Deckung des angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entweder aus Vermögenserträgnissen besitzt, selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben im Stande ist. Bei den hier vorliegenden einfachen und durchschnittlichen Verhältnissen orientiert sich die Rechtsprechung an der sozialversicherungsrechtlichen Mindestpension, das ist der Richtsatz für die Ausgleichszulage nach § 293 Abs 1 lit a bb und lit b ASVG, die im Jahr 2013 rund 927 EUR monatlich betrug (vgl Neuhauser in Schwimann/Kodek ABGB 4 Ia § 231 Rz 393 und 400 mwN). Ein Einkommen in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes stellt jedoch die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes dann nicht sicher, wenn besondere Bedürfnisse bestehen, die aus dem Eigeneinkommen nicht zu decken sind. Selbsterhaltungsfähig ist nämlich ein Kind nur dann, wenn es auf sich allein gestellt mit seinen Einkünften seine gesamten Lebensbedürfnisse angemessen aus eigenem Einkommen decken kann (vgl 2 Ob 77/00p mwN).

Selbst wenn derartige besondere Bedürfnisse hier in Form des von der Minderjährigen geltend gemachten Sonderbedarfs für die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung in Höhe von 2.272,40 EUR für das erste Behandlungsjahr bestehen sollten und deshalb eine Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen in vollem Umfang noch nicht eingetreten sein sollte, wäre nach zutreffender Rechtsansicht des Rekursgerichts zu berücksichtigen, dass es sich bei diesem von der Minderjährigen geltend gemachten Sonderbedarf, der allein eine weitere Unterhaltsvorschussgewährung an die Minderjährige rechtfertigen könnte, nicht um einen regelmäßig monatlich anfallenden Sonderbedarf handeln würde, bei dem es grundsätzlich zulässig wäre, diesen zusätzlich monatlich zu einem Regelunterhalt als einen erhöhten monatlichen Unterhaltsbetrag zuzusprechen (vgl 7 Ob 163/09k; 2 Ob 224/08t; 5 Ob 116/09h), sondern um einen grundsätzlich nur einmalig gegebenen und abzugeltenden Sonderbedarf. Vorschüsse können jedoch nach § 3 Z 2 UVG unter anderem nur dann gewährt werden, wenn der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Bevorschussungsfähig sind demnach nur die nicht (mehr) fließenden laufenden Geldunterhaltsleistungen in Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 1 UVG Rz 5). Auch aus der Zielsetzung des UVG geht hervor, dass durch die Vorschüsse der laufende (gesetzliche) Unterhalt notleidender Kinder gedeckt werden soll (vgl ErläutRV 5 BlgNR 14. GP 5 ff). Es kann daher nach Auffassung des erkennenden Senats zwar ein (aufgrund einer Behinderung) laufend gegebener Mehrbedarf als Bestandteil des laufenden monatlichen Unterhalts im Rahmen der gesetzlichen Grenzen bevorschusst werden, jedoch ist ein einmaliger Sonderbedarf mangels „laufender Zahlung“ einer Bevorschussung nicht zugänglich (RIS Justiz RS0128952 = 10 Ob 20/13h).

Aufgrund dieser Erwägungen musste dem Revisionsrekurs der Minderjährigen ein Erfolg versagt bleiben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00022.14D.0423.000