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OGH vom 13.04.2010, 10Ob22/10y

OGH vom 13.04.2010, 10Ob22/10y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Annabelle T*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung, Bezirk 10, 1100 Wien, Van der Nüll Gasse 20), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 454/09d-38, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 40 P 36/08f-U-26, teilweise abgeändert wurde, den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die minderjährige Annabelle ist das eheliche Kind der Andrea T***** und des Tunde Anthony T*****. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom im Einvernehmen geschieden. In einem vor dem Erstgericht anlässlich der Ehescheidung abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Vater unter anderem zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge in Höhe von 100 EUR für seine Tochter ab . Diesem Vergleich lag ein „nachgewiesenes Einkommen des Vaters von ca 660 EUR monatlich netto einschließlich anteiliger Sonderzahlungen“ zugrunde. Es wurde im Vergleich weiters festgehalten, dass zur AZ 40 P 36/08f ein Unterhaltsverfahren anhängig sei, in dem ein höheres (erzielbares) Einkommen des unterhaltspflichtigen Vaters behauptet werde.

In diesem Unterhaltsverfahren verpflichtete das Erstgericht den Vater mit Beschluss vom , GZ 40 P 36/08f-U-5, seiner Tochter ab einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 270 EUR zu leisten. Dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit Beschluss vom , AZ 44 R 564/08d, keine Folge.

Mit Schriftsatz vom beantragte die Minderjährige daraufhin die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 270 EUR monatlich, weil die Exekutionsführung im Hinblick auf das unter dem Existenzminimum liegende Einkommen des Vaters aussichtslos erscheine und dieser während der letzten sechs Monate keinen Unterhalt geleistet habe.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom , GZ 40 P 36/08f-S-6, wurde dem Scheidungsvergleich vom die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erteilt, wobei eine Beschlussausfertigung am auch dem „Magistrat der Stadt Wien MA 11, AJF-R Bezirk 10, Van der Nüll-Gasse 20, 1100 Wien“ als gesetzlichen Vertreter der Minderjährigen zugestellt und von einem Postbevollmächtigten des Jugendamts übernommen wurde. Dieser Beschluss ist mit in Rechtskraft erwachsen.

Am ersuchte das Erstgericht das Jugendamt um Stellungnahme zum Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, wobei es auf die Divergenz zwischen dem Vergleich vom (Unterhaltshöhe 100 EUR) und dem Titel vom (Unterhaltshöhe 270 EUR) hinwies. Der Akt langte am beim „Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung Bezirk 10“ ein. Das Jugendamt teilte daraufhin in seiner Stellungnahme vom mit, den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in voller Höhe aufrecht zu erhalten und verwies auf die am eingetretene Rechtskraft des am ergangenen Beschlusses über die Unterhaltsbemessung in Höhe von 270 EUR monatlich.

Das Erstgericht gewährte daraufhin der Minderjährigen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 270 EUR monatlich für den Zeitraum bis und verpflichtete den Unterhaltsschuldner zur Tragung der Pauschalgebühr in Höhe von 135 EUR. Es begründete seine Entscheidung mit dem Vorliegen des rechtskräftigen Titels vom , der den Unterhaltsschuldner zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 270 EUR verpflichte sowie der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung.

Das Rekursgericht gab dem vom Vater dagegen erhobenen Rekurs teilweise Folge, indem es der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 100 EUR monatlich gewährte und das Mehrbegehren von 170 EUR monatlich abwies. Weiters verpflichtete es den Unterhaltsschuldner zur Zahlung einer Pauschalgebühr von 50 EUR. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der am geschlossene Scheidungsvergleich im Umfang seiner Unterhaltsregelung durch die am erteilte pflegschaftsgerichtliche Genehmigung Wirksamkeit erlangt habe. Damit sei auch die Verpflichtung des Vaters zur Erbringung eines monatlichen Unterhalts an seine Tochter von 100 EUR wirksam geworden. Durch die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Unterhaltsvergleichs sei gleichzeitig der frühere Titel, nämlich die vom Pflegschaftsgericht mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom mit 270 EUR monatlich festgesetzte Unterhaltsverpflichtung, abgeändert worden. Da Unterhaltsvorschüsse nur bis zur Höhe des gültigen Titels gewährt werden könnten, sei der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen der nunmehr wirksame Vergleich über eine Unterhaltsverpflichtung des Vaters von 100 EUR monatlich zugrundezulegen. Nur in diesem Umfang erweise sich der Antrag der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen als berechtigt.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Über Antrag der Minderjährigen änderte es seinen Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses abzuändern.

Die anderen Verfahrensparteien haben keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, der Beschluss über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Scheidungsvergleichs sei ihrer gesetzlichen Vertreterin nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, weshalb die erteilte Genehmigung nicht wirksam geworden sei. Der Unterhaltsbemessungsbeschluss des Erstgerichts vom sei daher der spätere Titel. Bei Vorhandensein mehrerer Unterhaltstitel gelte grundsätzlich der spätere Titel, sodass vom Vorliegen eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Unterhaltstitels über den Betrag von 270 EUR monatlich auszugehen sei.

Diesen Ausführungen ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Behauptung, die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Scheidungsvergleichs sei der „Regionalstelle Soziale Arbeit mit Familie, 10. Bezirk“ zugestellt worden, durch den Akteninhalt zweifelsfrei widerlegt ist. Nach dem im Akt befindlichen Rückschein wurde der Beschluss über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Scheidungsvergleichs richtigerweise dem „Magistrat der Stadt Wien MA 11, AJF-R Bezirk 10, Van der Nüll-Gasse 20, 1100 Wien“ als gesetzlichen Vertreter der Minderjährigen zugestellt und von einem Postbevollmächtigten dieser Dienststelle übernommen. Die Zustellung des Beschlusses über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung war somit rechtswirksam.

Mit der rechtskräftigen Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht wurde aber die im Scheidungsvergleich vom enthaltene Unterhaltsvereinbarung rückwirkend, also ebenfalls mit , voll wirksam (vgl Rummel in Rummel , ABGB³ § 865 Rz 9; 5 Ob 57/02x ua). Bei dem weiteren im Unterhaltsfestsetzungsverfahren geschaffenen Unterhaltstitel vom handelt es sich somit im Vergleich dazu um den jüngeren Titel. Bei Vorhandensein mehrerer Unterhaltstitel gilt grundsätzlich der jüngere Titel. Im vorliegenden Fall wurde daher der durch den Scheidungsvergleich geschaffene Unterhaltstitel durch den jüngeren Unterhaltstitel vom ersetzt bzw abgeändert. Dieser Unterhaltstitel vom über eine Unterhaltsverpflichtung des Vaters von 270 EUR monatlich bildet daher auch den für die Höhe der Unterhaltsvorschüsse maßgebenden Exekutionstitel iSd §§ 3 Z 1 und 5 Abs 1 UVG.

Es war somit in Stattgebung des Revisionsrekurses der Minderjährigen die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.