OGH vom 19.01.2012, 13Os142/11y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und Dr. Bachner Foregger sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Potmesil als Schriftführer in der Strafsache gegen Nurcan T***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 erster Satz StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufungen der Angeklagten Nurcan T***** und Halis T***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 13 Hv 25/11f-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlass wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A/II, demgemäß auch im Nurcan T***** betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit ihren gegen diesen Strafausspruch gerichteten Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte Nurcan T***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten Halis T***** und der Staatsanwaltschaft, soweit sie diesen Angeklagten betrifft, werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Nurcan T***** und Halis T***** des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 (erster Satz) StGB (A/I/1) sowie der Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (Abs 5 Z 3, 4 und 5) und Abs 2 (Abs 5 Z 4) iVm § 161 Abs 1 (erster Satz) StGB (A/I/2 und 3), des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach §§ 148a Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall, 15 StGB (B/I) und der Annahme, der Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter unbarer Zahlungsmittel nach § 241b StGB (B/II), Nurcan T***** überdies des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 und Abs 2 StGB (A/II) schuldig erkannt.
Danach haben soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde und für die amtswegige Maßnahme von Relevanz in Wien
(A)I) Nurcan T***** als unternehmensrechtliche Geschäftsführerin und Halis T***** als faktischer Geschäftsführer, beide somit als leitende Angestellte (§ 74 Abs 3 StGB), der D***** GmbH
1) von 1. Jänner bis im bewussten und gewollten Zusammenwirken wiederholt einen Bestandteil des Vermögens der genannten Gesellschaft beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung deren Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert, indem sie „nicht durch Leistungen der Nurcan T***** als Geschäftsführerin begründete“ Entnahmen (für unternehmensfremde Zwecke) von insgesamt 47.940 Euro tätigten;
2) grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit der genannten Gesellschaft dadurch herbeigeführt, dass sie entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens (unter anderem)
b) übermäßigen, mit den Vermögensverhältnissen oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft in auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand trieben, indem sie trotz anhaltender Verluste ohne absehbare Änderung der Ertragssituation
aa) von 1. Jänner bis „nicht durch Leistungen der Nurcan T***** als Geschäftsführerin begründete“ Entnahmen von 46.288,74 Euro tätigten und Warenerlöse von zumindest 20.000 Euro für sich behielten;
bb) von bis Aufwendungen von 60.142,80 Euro für die Adaptierung eines von bis befristet gemieteten Lagerraums tätigten;
II) Nurcan T***** von bis als Geschäftsführerin der D***** GmbH, somit als zur Vertretung befugtes Organ einer juristischen Person, welche die Pflicht zur Einzahlung der Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung traf, solche Beiträge für den Zeitraum Oktober 2008 bis Mai 2009 von insgesamt 13.649,84 Euro dem berechtigten Versicherungsträger vorenthalten.
Mit ihrer auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde strebt die Staatsanwaltschaft die rechtliche Unterstellung des vom Schuldspruch A/I/2/b/aa erfassten Einbehaltens von zumindest 20.000 Euro aus Warenerlösen unter das Verbrechen der betrügerischen Krida und im Zusammenhalt mit dem Schuldspruch A/I/1 einen Schuldspruch nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB iVm § 161 Abs 1 erster Satz StGB an. Dies jedoch zu Unrecht.
Das Erstgericht hat die unterschiedliche Subsumtion der Entnahmen zu den Schuldsprüchen A/I/1 einerseits und A/I/2/b/aa andererseits damit begründet, dass die Angeklagten nach Eintritt und Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit Ende 2008 (US 9 f) aufgrund der „vermehrt auftretenden Gläubigerbetreibungen“ und des Umstands, dass „auch die auflaufenden neuen Verbindlichkeiten“ nicht bedient werden konnten, eine durch das inkriminierte Verhalten „bewirkte Schädigung der Befriedigung zumindest eines ihrer Gläubiger ernsthaft für möglich hielten und diese hinzunehmen gewillt waren“, während dies für den Zeitraum davor im Zweifel nicht anzunehmen gewesen sei (US 18 f).
Rechtliche Beurteilung
Dass bei den vom Schuldspruch A/I/2/b/aa erfassten Beträgen in Betreff der subjektiven Tatseite danach zu differenzieren sei, ob diese in der Buchhaltung des Unternehmens erfasst wurden (wie die auf dem Verrechnungskonto der Angeklagten Nurcan T***** verbuchten Entnahmen von 46.288,74 Euro vgl US 8 iVm US 13 f) oder nicht (nämlich die [zumindest] 20.000 Euro an einbehaltenen Warenerlösen US 8 f), ergibt sich dem Beschwerdevorbringen zuwider keineswegs zwingend aus Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS Justiz RS0118317). Das Fehlen diesbezüglicher Erwägungen bewirkt daher keine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angeklagten Nurcan T***** anhaftet, die von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) aufzugreifen war:
Das Urteil enthält nämlich keinerlei Feststellungen zum Schuldspruch A/II, was die Aufhebung desselben und des die Angeklagte Nurcan T***** betreffenden Strafausspruchs zur Folge hatte. Darauf waren diese Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren gegen diesen Strafausspruch gerichteten Berufungen zu verweisen.
Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten Halis T***** und der Staatsanwaltschaft im diesen Angeklagten betreffenden Umfang gründet sich auf § 285i StPO (teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Halis T***** „wg. § 159 Abs 1 und 2 StGB gemäß § 190 Z 2 StPO“ (ON 1 S 1) den Schuldsprüchen A/I/2 und 3, (auch) soweit sie sich gegen diesen Angeklagten richten, nicht entgegensteht. § 193 Abs 2 StPO normiert die Voraussetzungen der Fortführung durch die Staatsanwaltschaft und deren Umsetzung (mittels Anordnung) für den Bereich des Ermittlungsverfahrens. Eine entsprechende (ausdrückliche) Regelung für das Hauptverfahren enthält das Gesetz nicht. Bei Vorliegen der in § 193 Abs 2 (hier: Z 1) StPO genannten Voraussetzungen hat die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung daher nach § 263 StPO vorzugehen (vgl die entsprechende Erklärung des Staatsanwalts: ON 46 S 119 ff). Da der Angeklagte in solchen Konstellationen ausreichend Rechtsschutz genießt (vgl zu § 263 StPO: RIS-Justiz RS0098367; zur Kompetenz des Rechtsmittelgerichts, die materiellen Voraussetzungen einer Durchbrechung der Sperrkraft [§ 193 Abs 2 StPO] unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO selbständig zu prüfen: Ratz , WK StPO § 281 Rz 634), bestehen gegen die gewählte Vorgangsweise allein wegen des Fehlens einer förmlichen Anordnung der Fortführung keine Bedenken.