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VfGH vom 02.05.2011, B1220/10

VfGH vom 02.05.2011, B1220/10

19363

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) durch Abweisung einer Schubhaftbeschwerde; rechtswidrige Verzögerung der Freilassung aus der Schubhaft

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom wurde über den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs 2 Z 2 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum Steyr bis zum , 6:45 Uhr, vollzogen.

Der dagegen vom nunmehrigen Beschwerdeführer am erhobenen Schubhaftbeschwerde wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS) mit Bescheid vom stattgegeben und die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers bis zu diesem Zeitpunkt festgestellt. Dieses Erkenntnis wurde am um 13:24 Uhr per E-Mail an die Kanzlei der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sowie an die Bezirkshauptmannschaft Schärding zugestellt.

Die Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beantragten noch am selben Tag - unter Hinweis auf die Entscheidung der belangten Behörde - per E-Mail um 16:13 Uhr sowie per Fax um 16:17 Uhr von der Bezirkshauptmannschaft Schärding die umgehende Entlassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft.

Der Beschwerdeführer wurde schließlich am , 6:45 Uhr, aus der Schubhaft entlassen. Begründet wurde dies von der Bezirkshauptmannschaft Schärding damit, dass die Amtsstunden der Bezirkshauptmannschaft Schärding am , einem Freitag, bereits um 13:00 Uhr geendet hätten. Bei der Bezirkshauptmannschaft Schärding sei kein Journaldienst, sondern lediglich ein Rufbereitschaftstelefon eingerichtet, sohin außerhalb der Amtsstunden bloß eine mündliche Erreichbarkeit gegeben. Am Montag, dem , sei sodann noch vor Beginn der Amtsstunden dieses Tages (7:00 Uhr) und vor der behördeninternen Übermittlung des per E-Mail zugestellten Bescheides der belangten Behörde durch die Poststelle an die Aufgabengruppe "Sicherheitspolizei" (um 7:12 Uhr) die Enthaftung des Beschwerdeführers verfügt worden.

Mit Schreiben vom brachte der nunmehrige Beschwerdeführer gegen seine Anhaltung in Schubhaft vom , 14:30 Uhr, bis zum , 6:45 Uhr, Beschwerde ein. Dabei brachte er vor, dass es der Bezirkshauptmannschaft Schärding zumutbar und möglich gewesen wäre, den Beschwerdeführer innerhalb einer Stunde ab Übermittlung der Entscheidung des UVS am , um 13:24 Uhr, aus der Schubhaft zu entlassen.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des UVS vom wurde die vom Beschwerdeführer erhobene Schubhaftbeschwerde abgewiesen und dem Beschwerdeführer ein Kostenersatz in der Höhe von € 426,20 vorgeschrieben.

Begründend führt der UVS im Wesentlichen Folgendes aus (Hervorhebungen wie im Original):

"3.2. Im gegenständlichen Fall steht allseits unbestritten fest, dass der Oö. Verwaltungssenat mit seinem h. Erkenntnis vom , GZ …, i.S.d. § 81 Abs 1 Z. 2 FPG festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Rechtsmittelwerbers nicht vorliegen.

Diese Entscheidung wurde - ebenfalls unstrittig - beiden Verfahrensparteien, nämlich den Rechtsvertretern des Beschwerdeführers und der belangten Behörde, noch am selben Tag und zudem zeitgleich, nämlich um 13.24 Uhr, per e-mail übermittelt.

Nach der Fiktion des § 37 Abs 1 zweiter Satz ZustG - die nach

h. Auffassung mangels eines gegenteiligen Hinweises im Gesetzestext analog auch für jene Fälle heranzuziehen ist, in denen einer Behörde die Funktion einer Verfahrenspartei zukommt und somit ihr selbst Schriftstücke zuzustellen sind - gilt diese Entscheidung somit zwar als mit diesem Zeitpunkt beiden Parteien zugestellt. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zusätzlich auch die Bestimmung des § 13 AVG zu beachten. Danach können einer Behörde schriftliche ('Anbringen', also auch) Erledigungen grundsätzlich in jeder technisch möglichen Form - und damit prinzipiell auch per e-mail - übermittelt werden (§13 Abs 2 AVG); die Behörde ist jedoch nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegen zu nehmen und ihre Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, wobei die Amtsstunden im Internet und durch Anschlag an der Amtstafel bekannt zu machen sind (§13 Abs 5 AVG). Bei Anbringen, die außerhalb dieser Amtsstunden eingebracht werden, beginnen behördliche Entscheidungsfristen gemäß § 13 Abs 5 letzter Satz AVG erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen. Diese Bestimmungen - wie bereits ausgeführt: mangels eines gegenteiligen gesetzlichen Hinweises - auf die Konstellation einer Behörde als Verfahrenspartei analog angewendet führen im gegenständlichen Fall nun dazu, dass die Amtsstunden der belangten Behörde im Internet wie folgt kundgemacht waren (und sind):

Montags und Donnerstags von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr sowie von 12.30 Uhr bis 17.00 Uhr;

Dienstags von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr;

Mittwochs von 7.00 Uhr bis 12.30 Uhr; und

Freitags von 7.00 Uhr bis 13.00 Uhr

(vgl. www.bh-schaerding.gv.at [Homepage Verwaltung Bezirkshauptmannschaft BH Schärding Kommunikation mit der Bezirkshauptmannschaft Schärding]).

Das am Freitag den der belangten Behörde per e-mail zugestellte h. Erkenntnis zu GZ … ist bei dieser um 13.24 Uhr und damit erst nach dem Ende der do. Amtsstunden (um 13.00 Uhr) eingelangt. Dies hatte nach § 13 Abs 5 letzter Satz AVG die Konsequenz, dass die in § 67c Abs 3 letzter Satz positivierte Frist, den dem vorzitierten Erkenntnis des UVS entsprechenden Rechtszustand 'unverzüglich' herzustellen, erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden und sohin am Montag, den um 7.00 Uhr zu laufen begonnen hat.

Dem entsprechend erweist sich daher die ohnehin bereits zuvor, nämlich um 6.45 Uhr des letztgenannten Tages verfügte formlose Freilassung des Beschwerdeführers auch nicht als rechtswidrig.

3.3. Entgegen der Auffassung des Rechtsmittelwerbers enthalten weder das AVG noch auch (im Wege einer allfälligen, auf Art 11 Abs 2 B-VG gegründeten Sonderbestimmung) das FPG eine generelle oder zumindest eine spezifische Verpflichtung für die Fremdenpolizeibehörden, einen Journaldienst zu dem Zweck einzurichten, dass in dem Fall, dass vom Unabhängigen Verwaltungssenat die Anhaltung eines Fremden festgestellt wurde, dieser umgehend freigelassen werden kann; auch aus Art 5 Abs 4 EMRK (Anspruch auf Beantragung eines Verfahrens, 'in dem ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird') und aus Art 6 Abs 1 PersFrSchG (Recht auf ein Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit die Freilassung angeordnet wird, wobei die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat) lässt sich Derartiges nicht ableiten.

Dass Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG insofern lediglich eine Maximalfrist festlegt, und zwar dergestalt, dass dem Fremden die Entscheidung darüber, ob seine Anhaltung rechtmäßig ist oder nicht, jedenfalls innerhalb dieser einen Woche zugestellt sein muss (vgl. z. B. = VfSlg 13893/1994 und vom , B83/95 = VfSlg 14193/1995), woraus umgekehrt folgt, dass dies i.d.R. tunlichst schon früher, d.h. grundsätzlich raschestmöglich zu erfolgen hat, bedeutet dem gegenüber aber keinen verfassungsrechtlichen Auftrag, der so weit geht, dass auch die Enthaftung selbst noch innerhalb dieser Woche vorzunehmen ist und davon ausgehend die Behörde auch außerhalb der von ihr festgelegten Amtsstunden eine dementsprechende Handlungspflicht trifft.

Auch § 80 Abs 1 FPG, wonach die Behörde dazu angehalten ist, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wir möglich dauert, steht einer derartigen Sichtweise nicht entgegen. Zudem wird in der Praxis die Maximalfrist des Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG i.V.m.

§83 Abs 2 Z. 2 FPG regelmäßig (wie auch hier) ohnehin gerade dadurch unterschritten, dass für den Fall, dass sich eine Anhaltung in Schubhaft als offenkundig rechtswidrig erweist, eine der postalischen vorangehende (Vorab )Zustellung per e-mail erfolgt, um auch die faktische Freilassung des Fremden tatsächlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu gewährleisten. (So wurde hier die Schubhaft seitens der Behörde am angeordnet, die Beschwerde am eingebracht, die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Anhaltung am zugestellt und der Rechtsmittelwerber - nur wegen des dazwischen liegenden Wochenendes - am 5. Juli enthaftet, wobei offensichtlich ist, dass dessen tatsächliche Freilassung naturgemäß bereits früher erfolgt wäre, wenn er seine Schubhaftbeschwerde nicht erst an einem Donnerstag, also kurz vor Beginn des Wochenendes, sondern [zumindest einen Tag] früher eingebracht hätte.)

3.4. Aus den zuvor genannten Gründen liegt daher die vom Rechtsmittelwerber monierte Rechtswidrigkeit nicht vor; die gegenständliche Beschwerde war daher gemäß § 67c Abs 3 AVG abzuweisen."

3. Gegen diesen die Schubhaftbeschwerde abweisenden Bescheid des UVS vom richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Ablehnung, in eventu die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art 1 ff. des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (im Folgenden: PersFrSchG) und durch Art 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg. 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).

2. Dies ist dem UVS im vorliegenden Fall vorzuwerfen:

2.1. Gemäß Art 6 Abs 1 PersFrSchG hat jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird.

2.2. Im vorliegenden Fall wurde mit Bescheid des UVS vom Freitag, dem , festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht vorliegen. Diese Entscheidung wurde der Bezirkshauptmannschaft Schärding noch am selben Tag um 13:24 Uhr per E-Mail übermittelt. Die endgültige Freilassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft fand jedoch erst am Montag, dem , um 6:45 Uhr statt.

2.3. Eine weiterhin andauernde Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers war ab der Entscheidung des UVS vom , welche das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft verneinte, im Hinblick auf Art 6 Abs 1 PersFrSchG somit nur mehr insoweit zulässig, als sie im Zuge der Vollstreckung der Entscheidung unvermeidlich war und sich auf ein Minimum beschränkte (zu Art 5 EMRK vgl. auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4, 2009, § 21 Rz 32).

Der zulässige Zeitraum bis zur Freilassung des Inhaftierten erlaubt zwar auch die bei einer Behörde durch zwingende äußere Umstände begründeten Verzögerungen zu berücksichtigen; eine unnötige Verzögerung der Freilassung ist jedoch zu vermeiden (vgl. zum zulässigen Zeitablauf die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg. 11.781/1988 und 11.146/1986 mwH).

2.4. Im vorliegenden Fall musste der Beschwerdeführer, nachdem festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen für seine weitere Anhaltung nicht vorliegen, noch mehr als zwei Tage und 17 Stunden in Schubhaft verbringen; dies im Wesentlichen aus dem Grund, dass die Bezirkshauptmannschaft Schärding außerhalb der Amtsstunden bloß eine Rufbereitschaft eingerichtet hatte. Die Beendigung der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft hätte aber ab Vorliegen der diese für rechtswidrig erklärenden Entscheidung des UVS ohne weitere Verzögerungen eingeleitet werden müssen (zur Rechtswidrigkeit einer Verzögerung der Freilassung, weil der zuständige Beamte nicht Dienst hatte, vgl. EGMR , Fall Labita gg. Italien, Appl. 26.772/95, Z 172).

Dabei kann dahinstehen, auf welche Weise die Bezirkshauptmannschaft Schärding eine unverzögerte Behandlung von Haftsachen auch an Wochenenden durch unerlässliche organisatorische und personelle Maßnahmen sicherstellt, kommt es bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung doch bloß darauf an, dass mit dem Argument einer bloßen Rufbereitschaft eine Verzögerung in diesem Ausmaß nicht begründet werden kann.

2.5. Dadurch, dass die belangte Behörde im Lichte des Art 6 Abs 1 PersFrSchG bzw. Art 5 Abs 4 EMRK die Anhaltung des Beschwerdeführers bis zum , 6:45 Uhr, für rechtmäßig erklärt hat, hat sie den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.