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OGH vom 21.10.1998, 9Ob220/98p

OGH vom 21.10.1998, 9Ob220/98p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Herbert K*****, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Taussig und Dr. Arno Brauneis, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am verstorbenen Stefanie S*****, zuletzt wohnhaft*****, und den auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten Gregor S*****, Schüler, *****, beide vertreten durch Kosch und Partner, Rechtsanwälte Kommanditpartnerschaft in Wiener Neustadt, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei und des auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 41 R 85/98y-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei und des Nebenintervenienten das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom , GZ 4 C 1340/96z-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Aufkündigung vom aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.064,32 (darin S 1.490,72 Umsatzsteuer und S 120,- Barauslagen) und dem auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten die mit S 8.334,48 (darin S 1.389,08 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist ferner schuldig, der beklagten Partei und dem auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten die mit S 5.966,92 bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz (darin S 884,48 Umsatzsteuer und S 660,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei und dem auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten die mit S 4.416,48 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 406,08 Umsatzsteuer und S 1.980,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kündigte der beklagten Partei (zunächst Stefanie S*****; seit ihrem während des Verfahrens zweiter Instanz erfolgten Ableben am deren Verlassenschaft) eine näher bezeichnete Wohnung in W***** nach § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall und Z 6 MRG auf.

In ihren Einwendungen gegen die Aufkündigung brachte die Beklagte vor, die Mietrechte gemäß § 12 MRG an den Nebenintervenienten - ihren Enkel - abgetreten zu haben, der durch mehr als zwei Jahre vorher mit ihr im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung gewohnt habe.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren des Klägers statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Ab der Zeit, als der 1979 geborene Nebenintervenient die Volksschule besuchte, verbrachten er und seine in Wiener N***** lebenden Eltern die meisten Wochenenden im Bestandobjekt. Seit 1987 ist der Nebenintervenient dort auch polizeilich gemeldet. Anfang der 90er Jahre führten massive Streitigkeiten zwischen den Eltern des Nebenintervenienten dazu, daß sein Vater immer häufiger im Bestandobjekt bei der Beklagten - bei seiner Mutter - nächtigte. Er wurde dort vom Nebenintervenienten besucht. Nach der endgültigen Trennung seiner Eltern im Jahr 1992 wurde der Nebenintervenient im Vollinternat des Theresianums aufgenommen. Über seinen Wunsch verbrachte er während der nächsten beiden Schuljahre die Nächte von Mittwoch auf Donnerstag sowie meist auch die Zeit von Samstag bis Montag bei seiner Großmutter. Seine Mutter, die nach der Scheidung in ihrer Wohnung in Wiener N***** geblieben war, hielt sich - um Kontakt zu ihrem Sohn zu halten - ebenfalls sehr häufig im Bestandobjekt auf. Der Vater kam nur mehr selten, um Zusammentreffen mit der Mutter zu vermeiden. Er schenkte dem Nebenintervenienten einen Hasen, den die Beklagte versorgte. Im Schuljahr 1994/1995 besuchte der Nebenintervenient das Halbinternat des Theresianums. Er fuhr jeden Abend zu seiner Großmutter und verbrachte auch die Wochenenden bei ihr. Seine Mutter war meist ebenfalls da. Weil seine schulischen Leistungen aber nachließen, wurde er im Herbst 1995 neuerlich im Vollinternat aufgenommen, worauf er sich - wie schon früher - regelmäßig von Mittwoch Abend bis Donnerstag Früh und von Samstag bis Montag bei der Beklagten aufhielt. Gemeinsam mit seiner Mutter benützte er zum Schlafen das Kabinett, in dem auch seine nicht im Internat benötigten Sachen untergebracht waren. In der früheren elterlichen Wohnung verblieb nur Wäsche. Der Nebenintervenient wurde bei der Beklagten von anderen Verwandten besucht, nicht aber von Freunden. Während der Ferien war er nur selten in Wien. Meist unternahm er mit den Eltern Reisen oder fuhr zu seinem Cousin. Die Beklagte kochte für ihn und für alle anderen Besucher. Sie wusch auch die kleine Wäsche; die große Wäsche wurde in die Putzerei getragen. Später nahm die Mutter des Nebenintervenienten die Wäsche zum Waschen mit in ihre Wohnung. Für das Putzen sorgte in den letzten Jahren eine Bedienerin, die meist auch das Heizmaterial in die Wohnung trug. Ab und zu sorgten dafür auch der Nebenintervenient oder dessen Mutter. Der Nebenintervenient unterstützte seine Großmutter gelegentlich auch bei schweren Einkäufen. Infolge immer häufiger werdender Auseinandersetzungen mit ihrem Enkel bzw. dessen Mutter entschloß sich die Beklagte, die überdies etwas kränklich war, im August 1995, in ein Pensionistenheim zu gehen. Ende 1995 wurde sie dort aufgenommen. Erst jetzt erhielt der Nebenintervenient von ihr einen Wohnungsschlüssel; bis dahin hatte er keinen gehabt, weil die Beklagte nicht gewollt hatte, daß er einfach in die Wohnung könne. Anfang 1996 unterfertigte die Beklagte über Drängen ihres Sohnes eine Erklärung, in der sie die Abtretung der Mietrechte an der Wohnung an den Nebenintervenienten bestätigte.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Nebenintervenient mangels Führung eines gemeinsamen Haushaltes mit der Beklagten nach deren Auszug nicht iS § 12 MRG in die Mietrechte eingetreten sei. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG - nicht aber der Kündigungsgrund der Nichtbenützung der Wohnung - sei daher gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Wenn auch bei großen altersbedingten Unterschieden zwischen dem bisherigen Hauptmieter und dem eintrittsberechtigten Angehörigen keine strengen Anforderungen für die Beurteilung eines gemeinsamen Haushaltes anzulegen seien, müßten dennoch auch in solchen Fällen die Kriterien einer gemeinsamen Haushaltsführung vorliegen. Hier könne von einem gemeinsamen Wohnen der Beklagten und des Nebenintervenienten nicht gesprochen werden, weil dieser während seiner im Internat verbrachten Zeit nur einmal während der Woche und an den Wochenenden im Bestandobjekt übernachtet und dort nur fallweise die Mahlzeiten mit seiner Großmutter eingenommen habe, auf deren Bedürfnisse er in keiner Weise eingegangen sei. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil von der ständigen Rechtsprechung nicht abgewichen worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten und des Nebenintervenienten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung der Klage abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Zwar hängt die Beurteilung des gemeinsamen Haushaltes zwischen Hauptmieter und Eintrittsberechtigten wegen der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten im allgemeinen von den Umständen des Einzelfalles ab, sodaß beispielgebende Entscheidungen im allgemeinen nicht zu treffen sind (Ris-Justiz RS0043702; zuletzt 1 Ob 333/97w). Dies gilt aber dann nicht, wenn - wie hier - die von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen überschritten werden.

Die Revision ist auch berechtigt.

Gemäß § 12 Abs 1 MRG darf der Hauptmieter einer Wohnung, der die Wohnung verläßt, seine Hauptmiete ua einem Verwandten in gerader Linie abtreten, falls dieser die letzten zwei Jahre mit dem Hauptmieter im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung gewohnt hat. Ein dringender Bedarf des eintretenden Mieters ist - im Gegensatz zu § 14 Abs 2 MRG und dem Schutz gegen den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4, 1. Fall MRG bei bloß faktischer Überlassung an einen Eintrittsberechtigten - nicht erforderlich (Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 7 zu § 12 MRG).

Die hier allein strittige Voraussetzung des gemeinsamen Haushaltes besteht im gemeinsamen Wohnen und Wirtschaften (Würth/Zingher aaO Rz 9 zu § 12 MRG und Rz 15 zu § 14 MRG), wobei es im Falle der Anwendung des § 12 MRG bei Einhaltung der dort geforderten Mindestzeiten - anders als nach § 14 MRG - nicht darauf ankommt, ob die Haushaltsgemeinschaft auf Dauer beabsichtigt war (Würth/Zingher aaO Rz 9 zu § 12 MRG und Rz 15 zu § 14 MRG). Der nahe Angehörige muß seinen Lebensschwerpunkt in der Wohnung gehabt haben (Würth/Zingher aaO Rz 15 zu § 14 MRG; Ris-Justiz RS0069534). Gemeinsames Wirtschaften setzt im allgemeinen voraus, daß die Bedürfnisse des täglichen Lebens auf gemeinsame Rechnung befriedigt werden, wobei Art und Intensität jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängen (Würth/Zingher aaO Rz 15 zu § 14 MRG; Ris-Justiz RS0069759). Die Annahme gemeinsamer Wirtschaftsführung wird aber bei großen Einkommens- oder Altersunterschieden nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Teil die gesamten Kosten trägt und der andere nichts beiträgt, sodaß etwa im Verhältnis zwischen Großeltern und Enkelkindern kein so strenger Maßstab anzulegen ist, wie in anders gelagerten Fällen (Würth/Zingher aaO Rz 15 zu § 14 MRG; Ris-Justiz RS0069759; zuletzt 1 Ob 333/97w). Ein bestehender gemeinsamer Haushalt wird durch gewisse, durch Lebensumstände bedingte, auf nicht allzu lange Zeit berechnete Unterbrechungen des Zusammenlebens (auswärtige Aufenthalte auch zu Studien- und Unterrichtszwecken, Krankenhaus- und Erholungsaufenthalte etc.) nicht beendet, solange die Rückkehrabsicht stets bestand und ehestmöglich wahrgenommen wurde (Würth/Zingher aaO, Rz 17 zu § 14 MRG; Ris-Justiz RS0069712).

Im Sinne des zuletzt dargestellten Rechtssatzes steht der Umstand, daß sich der Nebenintervenient seit 1992 einen erheblichen Teil der Woche im Internat aufhielt, der Annahme eines gemeinsamen Haushaltes nicht entgegen. Erweist sich das in der verbleibenden Zeit im Bestandobjekt praktizierte Zusammenleben zwischen der Beklagten und dem Nebenintervenienten als gemeinsames Wohnen und Wirtschaften im dargestellten Sinn, kann das Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes nicht deshalb verneint werden, weil sich der Nebenintervenient einen Teil der Woche - zu Unterrichtszwecken - in einem Internat aufhielt.

Sieht man aber vom Internatsaufenthalt des Nebenintervenienten ab, lag sein Lebensschwerpunkt seit 1992 im Bestandobjekt, in dem er - jedenfalls während des Schuljahres - immer dann wohnte, wenn er nicht im Internat nächtigte. Auch in den Ferien gab es nach den Feststellungen keinen anderen Lebensmittelpunkt des Nebenintervenienten, zumal er in diesen Zeiten auf Reisen oder zu Besuch bei seinem Cousin war, sich aber dennoch manchmal - wenn auch nur selten - im Bestandobjekt aufhielt. Im Schuljahr 1994/95, in dem der Nebenintervenient das Halbinternat besuchte und deshalb jeden Abend bei der Beklagten nächtigte, zeigt sich besonders deutlich, daß deren Wohnung als sein Lebensschwerpunkt anzusehen ist. Daß er sich im darauf folgenden Schuljahr wieder nur von Mittwoch auf Donnerstag und an den Wochenenden dort aufhielt, lag ausschließlich daran, daß sich seine schulischen Leistungen verschlechtert hatten und er daher wieder im Vollinternat aufgenommen wurde.

In den Zeiten, in denen sich der Nebenintervenient im Bestandobjekt aufhielt, wurde er dort von der Beklagten verköstigt, die auch - jedenfalls solange sie in der Lage war - für das Waschen seiner "kleinen Wäsche" sorgte. Auch Besuche (wenn auch nur von Verwandten) empfing er im Bestandobjekt, in dem sich auch sein ihm vom Vater geschenktes Haustier befand, das von der Beklagten betreut wurde. Einen finanziellen Beitrag leistete der Nebenintervenient offenkundig nicht, er trug aber ab und zu Heizmaterial in die Wohnung und unterstützte seine Großmutter gelegentlich bei schweren Einkäufen. Berücksichtigt man die oben wiedergegebene Rechtsprechung, wonach die Annahme gemeinsamer Wirtschaftsführung bei großen Einkommens- oder Altersunterschieden (etwa im Verhältnis zwischen Großeltern und Enkelkindern) nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß ein Teil die gesamten Kosten trägt und der andere nichts beiträgt, ist daher seit 1992 von einem gemeinsamen Haushalt zwischen der Beklagten und dem Nebenintervenienten auszugehen.

Im Gegensatz zur Meinung der Vorinstanzen war daher die Übertragung der Mietrechte am Bestandobjekt an den Nebenintervenienten rechtswirksam, so daß die Beklagte zum Zeitpunkt der Erlassung der Aufkündigung nicht mehr passiv legitimiert war.

In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen wie im Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Nach der zwingenden Bestimmung des § 10 Abs 2 lit c RATG beträgt der Wert des Streitgegenstandes in Bestandstreitigkeiten bei Wohnungen mit einer 60 m2 nicht übersteigenden Nutzfläche lediglich S 6.000,--. Da weder behauptet noch bescheinigt wurde, daß die Nutzfläche der Wohnung 60 m2 übersteigt, ist von dieser Bemessungsgrundlage auszugehen (MietSlg 39.736).