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VfGH vom 12.10.2002, B1200/01

VfGH vom 12.10.2002, B1200/01

Sammlungsnummer

16691

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Die Beschwerdeführerin, die nach ihren Angaben keinen gesetzlichen Versicherungsschutz genießt, leistete im Jahr 1998 Beiträge zu einer freiwilligen Krankenversicherung iHv insgesamt ATS 55.327,--.

1.2. In diesem Jahr bezog die Beschwerdeführerin ferner aus Leibrentenverträgen, die sie in den Jahren 1989, 1990, 1995 und 1996 unter Hingabe jeweils von Einmalerlägen bei verschiedenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen hatte, Rentenzahlungen.

2.1. Im Verfahren betreffend Einkommensteuer 1998 beantragte die beschwerdeführende Partei, die von ihr im Jahr 1998 geleisteten Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung in vollem Umfang als Sonderausgaben gemäß § 18 EStG 1988 zu berücksichtigen. Alternativ wurde der Antrag gestellt, den Betrag als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1988 zu berücksichtigen.

2.2. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich wurden diese Beiträge zwar als Sonderausgabe, jedoch lediglich im Ausmaß von ATS 10.000,-- berücksichtigt. Zur Begründung führt die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung nur im Rahmen des "Sonderausgabenviertels" berücksichtigt werden könnten. Da im vorliegenden Fall die strittigen Beiträge zur privaten Krankenversicherung als Sonderausgaben zu werten seien, sei die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen.

Für die im Verfahrenszeitraum bezogenen Rentenzahlungen wurde der beschwerdeführenden Partei Einkommensteuer vorgeschrieben; zur Begründung führt die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß die Rentenzahlungen aus den beiden ältesten Verträgen den kapitalisierten Wert der Rente gemäß § 16 Abs 2 BewG 1955 inzwischen erreicht hätten und daher Einkommensteuerpflicht nach § 29 Z 1 EStG 1988 gegeben sei.

3. In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. 1. Soweit die Beschwerde eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Steuerpflichtigen behauptet, welche die von ihnen entrichteten Krankenversicherungsbeiträge als Werbungskosten bzw. als Betriebsausgabe steuerlich absetzen können, ist ihr zu entgegnen, daß eine derartige steuerliche Berücksichtigung voraussetzt, daß einerseits Einkünfte vorhanden sind, mit denen diese Beiträge in Zusammenhang stehen, und es sich andererseits um Beiträge zu einer gesetzlichen Krankenversicherung handeln muß. Nach der ständigen Judikatur des Gerichtshofes ist es - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht unsachlich, daß der Gesetzgeber aufgrund eines Aktes freier Entschließung zu leistende Krankenversicherungsbeiträge einkommensteuerrechtlich anders behandelt als Beiträge aufgrund gesetzlichen Zwanges (vgl. hiezu etwa VfSlg. 8472/1978, 8622/1979, 10.101/1984 und 10.584/1985).

2. Der Gerichtshof kann auch nicht finden, daß die belangte Behörde § 18 Abs 3 Z 2 EStG 1988 denkunmöglich interpretiert hat, wenn sie die von der Beschwerdeführerin geleisteten Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung nur im Rahmen des dort genannten Höchstbetrages berücksichtigt und nicht den davon ausgenommenenen Beiträgen zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung gleichstellt.

3. Auch hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastung iSd § 34 EStG 1988 zu berücksichtigen gewesen wären, sind der belangten Behörde keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler vorzuwerfen.

III. Insofern die Beschwerde aber rügt, daß die derzeit geltende Regelung der Besteuerung von privaten Gegenleistungsrenten den Gleichheitsgrundsatz verletze, weil die herangezogenen Kapitalisierungsfaktoren des § 16 BewG 1955 nicht auf aktuellen Grundlagen betreffend die durchschnittliche Lebenserwartung beruhten, so daß es zu einer Besteuerung von Beträgen käme, die in Wahrheit bloß eine Vermögensumschichtung - und kein Einkommen - darstellten, ist sie gerechtfertigt:

1. Der Verfassungsgerichtshof leitete aus Anlaß dieser Beschwerde mit Beschluß vom gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des 4. Satzes des § 29 Z 1 EStG 1988, BGBl. 400, in der Fassung BGBl. I 106/1999, sowie des § 16 Abs 2 und 3 BewG 1955, BGBl. 148, in der Fassung BGBl. 172/1971, ein.

2. Mit Erkenntnis vom , G112, 113/02, hob der Verfassungsgerichtshof den Klammerausdruck "(§16 Abs 2 und 4 des Bewertungsgesetzes 1955)" im 4. Satz des § 29 Z 1 EStG 1988, BGBl. 400, in der Fassung BGBl. I 106/1999, sowie § 16 Abs 2 und 3 BewG 1955, BGBl. 148, in der Fassung BGBl. 172/1971, als verfassungswidrig auf.

3. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher - wegen Untrennbarkeit seines Spruches zur Gänze - aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr iHv € 181,68 und Umsatzsteuer iHv € 327,-- enthalten.

V. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.