OGH vom 10.03.2008, 10Ob2/08d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Karl S*****, ÖBB-Bediensteter, *****, gegen die Antragsgegnerin Mag. Katharina S*****, Studentin, *****, vertreten durch die Dr. Helene Klaar Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom , GZ 2 R 42/07z-24, womit infolge Rekurses des Antragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts Zwettl vom , GZ 10 Fam 7/06y-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Karl S***** ist als Vater der am geborenen Mag. Katharina S***** schuldig, in Abänderung der am vor der Bezirkshauptmannschaft Z***** vereinbarten Unterhaltsleistung von 399,70 EUR beginnend mit nur noch einen Unterhaltsbeitrag von monatlich 372 EUR zu bezahlen.
Das darüber hinausgehende Begehren auf Enthebung von der Unterhaltsverpflichtung wird abgewiesen."
Text
Begründung:
Die am geborene Antragsgegnerin ist die eheliche Tochter des Antragstellers. Die Ehe des Antragstellers mit Maria S*****, der Mutter der Antragsgegnerin, ist geschieden. In einer am vor dem Jugendwohlfahrtsträger abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung hat sich der Antragsteller verpflichtet, zum Unterhalt der Antragsgegnerin ab bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit einen Unterhaltsbeitrag von 5.500 ATS (399,70 EUR) zu bezahlen.
Die Antragsgegnerin hat im März 2005 an der Universität Wien das Diplomstudium der Rechtswissenschaften abgeschlossen und wurde mit Bescheid der Universität Wien vom zum Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften zugelassen. Seit ist sie als Kanzleiangestellte in einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei beschäftigt, wo sie ein monatliches Einkommen von 210 EUR bezieht. Einschließlich anteiliger Sonderzahlungen beläuft sich das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen auf 245 EUR. Die Antragsgegnerin benötigt keine Betreuungsleistung eines haushaltsführenden Elternteils mehr („Eigenpflege"). Ihr monatlicher Gesamtunterhaltsbedarf liegt bei 773 EUR.
Der Antragsteller hat im Jahr 2006 einschließlich anteiliger Sonderzahlungen durchschnittlich 1.961,72 EUR netto verdient. Er ist für seine geschiedene Gattin, die Mutter der Antragsgegnerin, sorgepflichtig. Diese ist einkommenslos; ihr monatlicher Unterhaltsanspruch gegenüber dem Antragsteller beträgt 508,70 EUR.
Der Antragsteller hat am die Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung ab beantragt; die Antragsgegnerin sei spätestens ab diesem Zeitpunkt als selbsterhaltungsfähig anzusehen.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Unterhaltsenthebungsantrags im Hinblick auf das von ihr ernsthaft und zielstrebig betriebene Doktoratsstudium, das ihre Berufschancen verbessere.
Das Erstgericht wies den Unterhaltsenthebungsantrag ab. Die Antragsgegnerin sei noch nicht als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Stehe ein Kind in Eigenpflege, hätten die (in diesem Fall zu Geldunterhalt verpflichteten) Eltern den Bedarf des Kindes anteilig zu tragen; das Ausmaß richte sich nach den jeweiligen Lebensverhältnissen. Unter Berücksichtigung des monatlichen Gesamtunterhaltsbedarfs der Antragsgegnerin von 773 EUR und ihres Eigeneinkommens von 245 EUR monatlich, des Einkommens und des Existenzminimums des Vaters, seiner weiteren Sorgepflicht für seine geschiedene Gattin sowie deren Einkommens (in Form des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Antragsteller) und Existenzminimums ergebe sich, dass die bisher festgesetzte Unterhaltsleistung durchaus den Einkommensverhältnissen des Vaters entspreche, weshalb sein Herabsetzungsantrag unberechtigt sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab auf 323 EUR herab. Es bestätigte die Ansicht des Erstgerichts, dass die Klägerin noch nicht selbsterhaltungsfähig sei und dem Antragsteller eine Alimentierung während des Doktoratsstudiums zumutbar sei.
Bei Eigenpflege des Kindes errechne sich sein Unterhaltsanspruch in der Weise, dass vom Nettoeinkommen jedes Elternteils zunächst das Unterhaltsexistenzminimum nach § 291b EO (635 EUR) abgezogen und der Gesamtunterhaltsbedarf im Verhältnis der Resteinkommen aufgeteilt werde. Die Rechtsprechung gehe bei der Ausmessung der Unterhaltsleistung eines Elternteils, dessen Kind sich in Eigenpflege befinde, nach folgender Berechnungsregel vor: Geldunterhaltsbedarf mal (Unterhaltsbemessungsgrundlage des Vaters abzüglich Unterhaltsexistenzminimum) dividiert durch (Unterhaltsbemessungsgrundlage des Vaters abzüglich Unterhaltsexistenzminimum) plus (Unterhaltsbemessungsgrundlage der Mutter abzüglich Unterhaltsexistenzminimum). Die durch die üblichen Prozentquoten vom Nettoeinkommen angegebenen relativen Leistungsgrenzen dürften dabei aber nicht überschritten werden. Ausgehend von dieser Formel errechne sich der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin mit 854,32 EUR. Nach der Prozentwertmethode (22 % abzüglich 3 % wegen des Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Gattin = 19 %) ergebe sich ein Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin von 372 EUR. Deren Regelbedarf betrage bis 465 EUR und ab 475 EUR monatlich.
Nach ständiger Rechtsprechung sei bei einfachen Lebensverhältnissen das Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes auf die Leistungen des geldunterhaltspflichtigen und des betreuenden Elternteils im Verhältnis zwischen dem Durchschnittsbedarf der Altersgruppe des Kindes und dessen Differenz zur Mindestpensionshöhe anzurechnen. Diese Formel biete nur eine erste Orientierungshilfe, die nach den besonderen Umständen des Einzelfalls nach oben oder unten korrigiert werden könne. Da der nach der Prozentmethode ermittelte Betrag den Regelbedarf unterschreite, sei von einfachen Lebensverhältnissen auszugehen. Nach der von der Judikatur herausgebildeten Richtwertformel ergebe sich ein Unterhaltsbeitrag des Antragstellers von 323 EUR; dieser Betrag entspreche der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vaters.
Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei. Den über Antrag der Antragsgegnerin nachträglich abgeänderten Zulässigkeitsausspruch begründete es damit, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bemessung der Unterhaltshöhe eines in Eigenpflege befindlichen Unterhaltsberechtigten in dem Fall fehle, in dem ein Elternteil infolge eines unter dem Existenzminimum liegenden Einkommens nicht in der Lage sei, seiner (Geld-)Unterhaltsverpflichtung nachzukommen.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung der antragsabweisenden Entscheidung des Erstgerichts.
Der Vater hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht in der Entscheidung über die Zulassungsvorstellung genannten Grund zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.
Die Argumentation der Antragsgegnerin in ihrem Revisionsrekurs lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Die vom Rekursgericht angewandte Berechnungsmethode sei in zweifacher Richtung unrichtig. Bei der Heranziehung der Formel für die Aufteilung des Unterhaltsbedarf des in Eigenpflege befindlichen Unterhaltsberechtigten auf beide Elternteile werde nicht berücksichtigt, dass im vorliegenden Fall die Mutter nicht über ein über dem Existenzminimum liegendes Einkommen verfüge. Die Anrechnung des Eigeneinkommens erst nach Begrenzung des Unterhaltsbedarfs durch den Prozentunterhalt lasse außer Acht, dass diese Formel die Betreuung des Kindes durch einen Elternteil voraussetze. Die unzutreffende Übertragung der beiden Formeln auf die hier gegebene Fallkonstellation führe zu einer zweifachen Kürzung des Unterhaltsanspruchs, die nicht zu rechtfertigen sei.
Dazu hat der Senat erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass die angefochtene Entscheidung nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0006810; 6 Ob 178/07f).
Nach herrschender Ansicht (Gitschthaler, Unterhaltsrecht [2001] Rz 26; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3 [2004] 13) errechnet sich der Geldunterhaltsanspruch des Kindes gegenüber beiden Elternteilen bei Eigenpflege folgendermaßen:
a) Zunächst sind die Unterhaltsbemessungsgrundlagen der beiden Unterhaltspflichtigen zu errechnen.
b) Als Unterhaltsexistenzminimum ist der um ein Viertel verminderte erhöhte allgemeine Grundbetrag iSd § 291a Abs 2 Z 1 EO heranzuziehen (= Wert in der ersten Reihe der ersten Spalte der Tabelle 2b m der Existenzminimumtabelle).
c) Der Gesamtunterhaltsbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes ist um sein Eigeneinkommen zu verringern.
d) Der Geldunterhaltsanspruch gegenüber jedem Elternteil (hier gegenüber „Elternteil 1") errechnet sich nach folgender Formel:
Gesamtunterhaltsbedarf mal (Unterhaltsbemessungsgrundlage Elternteil 1 abzüglich Unterhaltsexistenzminimum) dividiert durch die Summe aus (Unterhaltsbemessungsgrundlage Elternteil 1 abzüglich Unterhaltsexistenzminimum) und (Unterhaltsbemessungsgrundlage Elternteil 2 abzüglich Unterhaltsexistenzminimum).
e) In jedem Fall darf der Unterhalt nicht höher festgesetzt werden als es der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach der Prozentwertmethode entspricht; allfälliges Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes ist dabei nicht abzuziehen.
Wie vom Rekursgericht ermittelt errechnet sich der Unterhalt rein nach der Prozentwertmethode mit 372 EUR (19 % von 1.961,72 EUR = 372,73 EUR).
In dem hier vorliegenden Fall ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass ein Geldunterhaltsanspruch gegenüber der Mutter ausscheidet, weil deren Einkommen unter dem Unterhaltsexistenzminimum liegt. In einem solchen Fall ist im Nenner der unter d) genannten Formel der Wert für den zweiten Summanden (Unterhaltsbemessungsgrundlage Elternteil 2 abzüglich Unterhaltsexistenzminimum) mit Null anzusetzen und nicht mit einem negativen Wert. Damit reduziert sich die Unterhaltsbemessung nach den unter a) - d) angeführten Schritten darauf, dass nur mehr der um das Eigeneinkommen reduzierte Unterhaltsbedarf relevant wird, dieser allerdings begrenzt durch die (im Prozentwert ausgedrückte) jeweilige Leistungsfähigkeit der geldunterhaltspflichtigen Elternteile.
Mit anderen, „nicht-mathematischen" Worten kann der Bemessungsvorgang folgendermaßen erklärt werden: Das Kind, das infolge „Eigenpflege" gegenüber beiden Elternteilen grundsätzlich einen Geldunterhaltsanspruch hat, kann keinen Unterhalt geltend machen, der über seinem Unterhaltsbedarf liegt (hier: 773 EUR im Monat). Dieser Unterhaltsbedarf wird teilweise durch Eigeneinkommen (hier: 245 EUR im Monat) abgedeckt, sodass die Antragsgegnerin im konkreten Fall - ausgehend von ihrem Unterhaltsbedarf - gegenüber beiden Elternteilen einen Unterhaltsanspruch von höchstens 528 EUR haben kann. Bei der Aufteilung auf die beiden geldunterhaltspflichtigen Elternteile muss deren Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. Da das Einkommen der Mutter unter ihrem eigenen Unterhaltsexistenzminimum liegt, besteht gegen sie kein Unterhaltsanspruch. Der Geldunterhaltsanspruch gegen den Vater ist durch seine Leistungsfähigkeit (ausgedrückt im Prozentwert) nach oben begrenzt, wobei hier das Eigeneinkommen der Tochter (mangels Einflusses auf die Leistungsfähigkeit des Vaters) nicht anzurechnen ist.
In diesem Sinn ist von einem Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin in Höhe von 372 EUR auszugehen.