OGH vom 15.10.1997, 10Ob199/97f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer, Dr.Danzl und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl Ernst St*****, vertreten durch Dr.Reinhard Schäfer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei "Verein *****, vertreten durch die Obfrau Barbara K*****, diese vertreten durch Dr.Klaus-Peter Schrammel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung von Versammlungsbeschlüssen (Streitinteresse S 200.000), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom , GZ 13 R 50/97m-11, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 18. (richtig: 12.) 2.1997, GZ 20 Cg 193/96s-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 9.900,- (hierin enthalten S 1.650,- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
§ 15 der Statuten des beklagten Vereins hat - soweit entscheidungswesentlich - folgenden Wortlaut:
"Das Versöhnungsteam - Schiedsgericht
(1) In allen aus dem Vereinsverhältnis entstehenden Streitigkeiten ist zu deren Schlichtung vorerst ein Versöhnungsteam zu konstituieren.
(2)....
((3) Für den Fall, daß die Schlichtung der Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis durch das Versöhnungsteam nach maximal drei Verhandlungen nicht einvernehmlich erfolgt, hat sich das Versöhnungsteam einvernehmlich als Schiedsgericht zu erklären. ...
(4) Das Schiedsgericht... entscheidet nach bestem Wissen und Gewissen. Seine Entscheidungen sind vereinsintern endgültig.
(5)..."
Der Kläger stellte mit der am eingebrachten Klage das Begehren, auszusprechen, daß "die Generalversammlung vom des 'Vereines ***** fortgesetzt am , zur Gänze samt ihren dort gefaßten Beschlüssen nichtig ist". Zur Begründung brachte er - zusammengefaßt - vor, Obmann des genannten Vereines zu sein; die weitere Obfrau Barbara K***** habe zu den genannten Daten Zusammenkünfte einberufen, welche weder formell noch inhaltlich den Erfordernissen einer Generalversammlung des Vereins entsprächen, und hiebei die Statuten geändert, neue Mitglieder aufgenommen, den Vereinsnamen geändert und den gerade urlaubsabwesenden Kläger als Obmann abgewählt.
Die beklagte Partei erhob unter Hinweis auf die wiedergegebene Statutenbestimmung neben Sacheinwendungen auch die Einrede der (sachlichen) Unzuständigkeit.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurück. Unter Berücksichtigung des Inhaltes des Begehrens der klagenden Partei handle es sich um eine rein vereinsrechtliche Streitigkeit, für welche unter Beachtung des Zweckes der gesetzlichen Regelung des Art XII EGZPO die vorrangige Zuständigkeit des Schiedsgerichtes bestünde.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund auf. Es sprach weiters aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das im § 15 der Statuten vorgesehene Versöhnungsteam bzw Schiedsgericht sei dem § 599 Abs 2 ZPO zu unterstellen. Das Begehren auf Nichtig- bzw Unwirksamkeitserklärung von Vereinsbeschlüssen sowie die Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses gehörten vor die ordentlichen Gerichte, ohne daß eine vorherige Anrufung des Vereinsschiedsgerichtes erforderlich wäre. Die Ansicht eines Teiles der Judikatur, es müsse vorweg der vereinsinterne Instanzenzug ausgeschöpft werden, überzeuge nicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbeschlusses abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei hat nach Freistellung eine Rekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Zwar ist die Auslegung von Satzungsbestimmungen grundsätzlich eine Beurteilung des Einzelfalles (JBl 1994, 833 = GesRZ 1994, 229; für Schiedsklauseln 6 Ob 2213/96a), das Rechtsmittel ist jedoch dennoch zulässig, weil ein Fall wie der gegenständliche an den Obersten Gerichtshof noch nicht zur Entscheidung herangetragen wurde; es ist jedoch nicht berechtigt.
1. Lediglich dann, wenn das Rekursgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über eine vom Erstgericht wegen Unzuständigkeit a limine zurückgewiesene Klage aufträgt, steht dem Beklagten hiegegen kein Rekurs zu (7 Ob 1572/93 mwN). Da es sich hier um eine Entscheidung nach kontradiktorischer Verhandlung sowie um einen bloß "unechten" Aufhebungsbeschluß (nämlich im Sinne einer Abänderung) handelt (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 527; MGA ZPO14 E 11, speziell E 14, zu § 527), hängt die Zulässigkeit (und Berechtigung) des Rechtsmittels vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ab. Auf Zuständigkeitsentscheidungen, die das Verhältnis zwischen ordentlichen Gerichten und Schiedsgerichten betreffen, ist § 45 JN (Rechtsmittelausschluß bei die sachliche Zuständigkeit bejahender Entscheidung) nicht anwendbar (Mayr in Rechberger, ZPO Rz 4 zu § 45 JN;1 Ob 641/95, 1 Ob 2193/96y).
2. Da die Rechtsbeziehungen zwischen Vereinen und ihren Mitgliedern privatrechtlicher Natur sind (SZ 51/154, JBl 1993, 597 = EvBl 1993/117; Aicher in Rummel, ABGB2 I Rz 46 aE zu § 26; Rechberger/Frauenberger, Der Verein als "Richter", ecolex 1994, 5 [7]), können Entscheidungen von Vereinsorganen über diese Rechtsbeziehungen grundsätzlich gerichtlich voll überprüft werden (JBl 1993, 597 = EvBl 1993/117 mwN, SZ 51/154). Dies gilt an sich auch für die Nichtig- bzw Unwirksamerklärung von Vereinsbeschlüssen (Fessler/Keller, Vereinsrecht5, 82 mwN; 4 Ob 8/66, 6 Ob 161/67, 1 Ob 235/67, 5 Ob 125/68). Nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung (EvBl
1975/266, SZ 51/154 = JBl 1981, 212 [zustimmend F.Bydlinski], SZ
58/178 = EvBl 1986/132, JBl 1994, 833 = GesRZ 1994, 229 [samt
ausführlicher Auseinandersetzung mit dem dagegen opponierenden Schrifttum]; Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 599; Fessler/Keller, aaO 85; zuletzt Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, Das Recht der Vereine, 137 f; für den Genossenschaftsbereich auch Keinert, Österr Genossenschaftsrecht, Rz 701 sowie SZ 42/163) verlangt die Anrufung der ordentlichen Gerichte zwar die vorherige Ausschöpfung eines vereinsinternen Instanzenzuges (bzw umso mehr - argumentum a majori ad minus - : überhaupt die Anrufung des vereinsintern berufenen Schiedsgerichtes). Darauf ausgerichtete Satzungsbestimmungen werden deswegen für zulässig und wirksam und auch zweckmäßig erachtet, weil sie geeignet sind, die ordentliche Gerichtsbarkeit zu entlasten, damit allerdings auch zu einem "temporären" - nämlich bis zur Entscheidung durch das statutenmäßig vorgesehene Schiedsorgan wirkenden - Ausschluß der Anrufbarkeit der ordentlichen Gerichte führen (Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, aaO 138; Keinert, Zur prinzipiellen Funktion statutarischer Vereinsschiedsgerichte, in FS Frotz 783 [789], spricht insoweit durchaus treffend von einer "Schlichtungsvorsorge" im VereinsG). Der Oberste Gerichtshof begründete diese Rechtsprechung damit, daß "nicht voreilig in die Selbsverwaltung eines Vereins [durch die Gerichte] eingegriffen werden dürfe" (JBl 1994, 833, JBl 1995, 649; gleichermaßen auch SZ 42/163 hinsichtlich der "genossenschaftlichen Selbstverwaltung).
3. Ohne auf die Kritik der Lehre an dieser Rechtsprechung, welche die Anrufung der ordentlichen Gerichte erst nach Befassung vereinsinterner Instanzen überwiegend ablehnt, im einzelnen und näher eingehen zu müssen, handelt es sich im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senates nicht um einen (wie in den bereits zitierten jeweiligen Anlaßentscheidungen großteils zugrundeliegenden) Fall typischer interner Selbstverwaltung, wo vereinsinterne Schlichtungsorgane zunächst streitbeilegend zu befassen waren (zumeist ging es um den geradezu "klassischen" Anrufungsfall eines behauptetermaßen ungerechtfertigten Ausschlusses eines Mitgliedes aus einem Verein), sondern vielmehr um Beschlüsse und Entscheidungen, die sich allesamt auf die nach außen und innen wirkende Struktur und Organisation des beklagten Vereines erstrecken. In einem solchen Fall, wo also (wie auch die Beklagte in ihrer Klagebeantwortung im grundsätzlichen ausdrücklich zugesteht), die tragenden Statuten geändert, neue Vereinsmitglieder aufgenommen und alte Organwalter abberufen wurden - der Verein also völlig umstrukturiert wird -, handelt es sich beim Streit darum nicht (mehr) um eine bloße, die innere Autonomie des Vereins betreffende Angelegenheit, sondern vielmehr um eine solche, bei der die volle Überprüfung der Gerichte sogleich Platz zu greifen hat. Insoweit liegt einer jener Ausnahmefälle vor, in denen auch schon bisher von der Rechtsprechung eine sofortige Anrufung der ordentlichen Gerichte für zulässig erachtet wurde (vgl JBl 1994, 833, SZ 42/163, 9 Ob 501/96; vgl hiezu auch BGH in NJW 1960, 2143 sowie Reichert/Dannecker, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts5 Rz 1705).
4. Aus all diesen Gründen erachtet es der Oberste Gerichtshof daher als dem Kläger nicht zumutbar, vor Beschreitung des Rechtsweges das "Versöhnungsteam" laut Statuten zur "Schlichtung" anrufen zu müssen, zumal absehbar ist, daß dieses (als teilweise auch vom neuen, vom Kläger gerade nicht als statutenmäßig eingesetzten Vorstand zu bestellendes Gremium: § 15 Abs 2 der Statuten) den Streitfall keinesfalls "vereinsintern endgültig" erledigen wird können ("fair trial" - Art 6 MRK).
5. Dem Revisionsrekurs konnte daher aus all diesen Erwägungen keine Folge gegeben werden.
Die Kostenentscheidung ist in §§ 41, 50 ZPO begründet, weil der zwischen den Parteien behängende Zwischenstreit nunmehr endgültig erledigt ist.