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OGH 28.07.2022, 10Ob19/22z

OGH 28.07.2022, 10Ob19/22z

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*, und 2. M*, beide: *, beide vertreten durch Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei J*, vertreten durch Mag. Wolfgang Leitner, Rechtsanwalt in Weiz, wegen Unterlassung (Streitwert: 20.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 143/21f-48, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 39 Cg 26/20b-43, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Berufungsgericht mit dem Auftrag übermittelt, seinen Beschluss durch einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zu ergänzen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht wies das Begehren der Kläger auf Unterlassung von vom Grundstück des Beklagten auf das von den Klägern bewohnte Grundstück einwirkenden Geruchsimmissionen, soweit dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Nutzung des von den Klägern bewohnten Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird, ab.

[2] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ohne Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[3] Besteht der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, so muss das Berufungsgericht in Rechtssachen, in denen die Wertgrenze von 5.000 EUR relevant ist, trotz des insofern zu engen Wortlauts des § 500 Abs 2 Z 1 ZPO („in seinem Urteil“) auch in den Aufhebungsbeschluss einen Bewertungsausspruch aufnehmen (7 Ob 165/14m; RIS-Justiz RS0042429 [T2, T4, T6, T7]). Der Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses ersetzt diesen Ausspruch nicht, weil die rein formale Zulässigkeit des Rechtsmittels das Überschreiten der Wertgrenze voraussetzt und der Oberste Gerichtshof zwar nicht an den Ausspruch über die Zulässigkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, wohl aber – innerhalb bestimmter Grenzen – an die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht gebunden ist (7 Ob 29/22y mwH; vgl auch RS0042429).

[4] Die Akten sind daher dem Berufungsgericht zur Ergänzung seiner Entscheidung zurückzustellen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*, und 2. M*, beide: *, beide vertreten durch Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei J*, vertreten durch Mag. Wolfgang Leitner, Rechtsanwalt in Weiz, wegen Unterlassung (Streitwert: 20.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 143/21f-48, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 39 Cg 26/20b-43, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger und der Beklagte sind unmittelbare Nachbarn und leben in einer ländlichen Gemeinde. Ihre nähere Umgebung ist von einem Nebeneinander von Wohngebieten und landwirtschaftlichen Betrieben geprägt. Das überwiegende Gemeindegebiet ist nach dem geltenden Flächenwidmungsplan der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten. Die landwirtschaftliche Nutzung beinhaltet zu einem wesentlichen Teil Viehwirtschaft.

[2] Die Kläger sind Inhaber eines Wohnungsgebrauchsrechts an einer Liegenschaft mit einem Haus, in dem sie mit ihrer Tochter wohnen. Das Schlafzimmer der Kläger liegt auf der westlichen Seite des Hauses, in Richtung des direkt angrenzenden Nachbargrundstücks, das im Eigentum des Beklagten steht.

[3] Auf dem Grundstück des Beklagten steht ein Stallgebäude, das von diesem landwirtschaftlich zur Rinderhaltung genutzt wird. Westlich des Stalls befindet sich ein Festmistlager und im Südosten des Neubaues eine Güllegrube, die mit einer Betondecke abgedeckt ist. In ihrem nördlichen Teil ist die Güllegrube geöffnet. Die Öffnung ist mit einem Metallrost mit einer Fläche von etwa 1 m² abgedeckt. Eine zweite Öffnung für das Rührwerk ist verschlossen. In unmittelbarer Nähe des von den Klägern bewohnten Hauses befinden sich zwei weitere Viehwirtschaften. Im Umkreis von bis zu ein Kilometer Abstand gibt es – inklusive jenem des Beklagten – acht Tierhaltungsbetriebe.

[4] Am Grundstück des Beklagten kommt es ausgehend vom Tierbestand, vom Festmistlager sowie von der Güllegrube zu Geruchsbildung, die die Geruchsschwelle überschreitet. Das bedeutet, dass der Geruch unter den dortigen Gegebenheiten (Lage der Grundstücke, Windverhältnisse) auf dem von den Klägern bewohnten Grundstück wahrnehmbar ist. Ob die vom Grundstück des Beklagten ausgehende Geruchsbelastung die Belästigungsgrenze erreicht und/oder die Nutzbarkeit des von den Klägern bewohnten Grundstücks beeinträchtigt, steht nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht fest. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte mehrmals am Tag an der Güllegrube arbeitet und/oder die Gülle täglich aufmixt, wodurch sich eine höhere Geruchsbelastung für die Kläger entwickelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte Gülle öfter ausbringt und aufrührt, als es der landwirtschaftlichen Praxis entspricht.

[5] Der Beklagte baute den Stall ab 2011 auf die jetzt vorliegende Form und Größe um. Er ersuchte am um die Erteilung der Baubewilligung. Das neue Stallgebäude schließt direkt an den Altbestand an. Vor 2011/2012 hielt der Beklagte 40 bis 45 Rinder, jetzt etwa 70 bis etwas über 80. Die Güllegrube wurde im Zuge des Umbaues errichtet. Nach einem umfangreichen Bauverfahren erteilte der Bürgermeister der Gemeinde dem Beklagten mit Bescheid vom die baubehördliche Bewilligung für den Neubau eines Rinderlaufstalles mit Güllegrube sowie den Umbau und die Änderung des Verwendungszwecks beim bestehenden Rinderstall. Der von den Klägern erhobene Einwand der unzumutbaren Geruchsbelästigung wurde als unbegründet abgewiesen. Die – unter anderem – von den Klägern erhobene Berufung gegen diesen Bescheid wies der Gemeinderat mit Bescheid vom als unbegründet ab. Dieser Bescheid wurde vom Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Beschluss vom infolge eines Rechtsmittels der Kläger aufgehoben, weil die bisherigen Geruchsimmissionsbegutachtungen mangels fehlender repräsentativer Winddaten nicht aussagekräftig seien.

[6] Obwohl der im fortgesetzten Verwaltungsverfahren beigezogene Sachverständige zum Ergebnis kam, die bebauten Areale fielen unter die Bagatellgrenze und es sei keine umweltmedizinische Begutachtung erforderlich, weil zu geringe Geruchsimmissionen zu erwarten seien, wurde eine medizinische Sachverständige beigezogen, die zum Ergebnis kam, dass weder eine Gesundheitsgefährdung noch eine unzumutbare oder das örtliche Ausmaß übersteigende Belästigung der Nachbarschaft durch Geruch zu erwarten seien. Letztlich wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Beschwerde der Kläger ab und der Verwaltungsgerichtshof die dagegen erhobene Revision der Kläger mit Beschluss vom zurück.

[7] Die Kläger begehren vom Beklagten, gestützt auf § 364 Abs 2 ABGB, jegliche von dessen Grundstück ausgehende und auf das von den Klägern bewohnte Grundstück einwirkende Geruchsimmissionen, soweit dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Nutzung des von den Klägern bewohnten Grundstücks beeinträchtigt wird, zu unterlassen. Der Rinderstall verfüge über keine mechanische Entlüftung, wodurch Geruchsimmissionen das ortsübliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung des von den Klägern bewohnten Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Die Gerüche seien auch gesundheitsbeeinträchtigend bzw -gefährdend. Das häufige Ausbringen und Aufmixen der Gülle sowie das regelmäßige Entlüften der Güllegrube führe neben einer Lärmbelästigung zu penetranten Gerüchen. De facto mache der Gestank das Grundstück für die Kläger großteils unbenützbar. Die schwer behinderte Tochter der Kläger leide extrem unter der Geruchsbelastung und an schweren gesundheitlichen Folgen (ständiges Erbrechen, „Zungenbluten“). Ungeachtet der vorliegenden baurechtlichen Bewilligung liege keine behördlich genehmigte Anlage gemäß § 364a ABGB vor. Die Nachbarrechte seien im Bauverfahren stark eingeschränkt, insbesondere sei auch die Bearbeitung, Lagerung und Ausbringung der Gülle in diesem Verfahren kein Thema.

[8] Der Beklagte wandte insbesondere ein, dass von seinem Stall keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende und die ortsübliche Benützung der von den Klägern bewohnten Liegenschaft wesentlich beeinträchtigende Geruchsbelastung ausgehe. Ihm sei eine rechtskräftige Baubewilligung erteilt worden, innerhalb deren Grenzen er sich bewege. Der Wohnort der Kläger sei stark ländlich geprägt, das Auftreten landwirtschaftlicher Gerüche sei ortsüblich. Infolge der vorliegenden Baubewilligung sei von einer behördlich genehmigten Anlage im Sinn des § 364a ABGB auszugehen. Im Baubewilligungsverfahren hätten die Kläger als Nachbarn bereits Immissionen aus der Nutztierhaltung abwehren können.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwar ergebe sich hier nicht allein aus dem Baubewilligungsbescheid das Vorliegen einer behördlich genehmigten Anlage im Sinn des § 364a ABGB. Dennoch sei im konkreten Fall von einer solchen Anlage auszugehen, weil die Kläger im vorangehenden Verfahren Parteistellung gehabt hätten und die von der Zuchttierhaltung ausgehenden Immissionen genau geprüft worden seien. Schon daher komme dem Unterlassungsbegehren keine Berechtigung zu. Darüber hinaus seien die vom Grundstück des Beklagten ausgehenden Immissionen nicht ortsunüblich. Die Benützung des von den Klägern bewohnten Grundstücks werde nicht wesentlich beeinträchtigt.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Das Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung habe noch nicht das Vorliegen einer behördlich genehmigten Anlage im Sinn des § 364a ABGB zur Folge. Daran ändere der Umstand, dass das Steiermärkische Baugesetz, LGBl 1995/59 (stmk BauG), nach der Novelle LGBl 2008/88 den Nachbarn im Verfahren einen gewissen Immissionsschutz gewähre, nichts. Da landwirtschaftliche Tierhaltungsbetriebe keine gemeinwichtigen Anlagen seien, müsste die Verfahrensbeteiligung der Nachbarn besonders stark ausgebaut sein, damit die Baubewilligung „Sperrwirkung“ entfalte. Dies sei aber nicht der Fall: Im Katalog der abschließend aufgezählten Nachbarrechte (§ 26 stmk BauG) finde sich kein umfassender Immissionsschutz. Lediglich § 13 Abs 12 stmk BauG ermögliche Nachbarn das Recht auf Vorschreibung größerer Abstände, wenn der Verwendungszweck eine unzumutbare oder das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gesundheitsgefährdung erwarten lasse. Aber nur Grundeigentümer und Bauberechtigte seien Nachbarn im Sinn der Steiermärkischen Bauordnung, nicht jedoch Mieter und Pächter. Der öffentlich-rechtliche Schutz laufe überdies auf eine Prognoseentscheidung hinaus, die anhand abstrakter Kennzahlen getroffen werden müsse. Ob die im Verwaltungsverfahren abgegebene Prognose stimme, stelle sich erst heraus, wenn die Anlage in Betrieb sei. Zwar ermögliche das stmk BauG ähnlich der Gewerbeordnung die nachträgliche Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen, aber auch diese Möglichkeit schaffe nur beschränkt Abhilfe. Die Bauvorschriften böten daher keinen dem privaten Nachbarrecht vergleichbaren Immissionsschutz, sodass die Kläger einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend machen könnten. Ob dieser zu Recht bestehe, könne nach den bisher getroffenen Feststellungen jedoch noch nicht beurteilt werden, sodass das Verfahren ergänzungsbedürftig sei.

[11] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es mit der Begründung zu, dass sich der Oberste Gerichtshof zwar bereits mit den Bestimmungen des stmk BauG im vorliegenden Zusammenhang befasst habe, nicht jedoch mit der durch die Novelle LGBl 2008/88 geschaffenen Rechtslage, womit ein Bewilligungsverfahren geschaffen worden sei, das den Bestimmungen der Gewerbeordnung in Ansehung der Nachbarrechte und der Abwehr unzumutbarer Einwirkungen ebenbürtig sei, sodass von einer behördlich genehmigten Anlage im Sinn des § 364a ABGB auch im gegebenen Zusammenhang ausgegangen werden könne.

[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von den Klägern beantwortete Rekurs des Beklagten, mit dem er die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt.

[13] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

[14] Der Beklagte macht im Rekurs geltend, dass die Kläger im Baubewilligungsverfahren umfassend Parteistellung gehabt hätten, dies insbesondere auch hinsichtlich der Fragen der Geruchsimmissionen und der behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigung. Seit der Novelle LGBl 2008/88 biete das stmk BauG insbesondere in § 13 Abs 12 und § 26 den Nachbarn ausreichende Rechte, um sich gegen Geruchsimmissionen zu wehren. Ihr rechtliches Gehör sei in diesem Zusammenhang umfassend gewahrt worden. Darin liege der wesentliche Unterschied zu dem zu 9 Ob 48/12t entschiedenen Sachverhalt, wonach die damaligen Nachbarn keine Einwendungen erhoben hätten. Der Tierhaltungsbetrieb des Beklagten sei infolge der erteilten Baubewilligung als behördlich genehmigte Anlage im Sinn des § 364a ABGB anzusehen.

Dem kommt keine Berechtigung zu:

Rechtliche Beurteilung

[15] 1.1 Bei der Bestimmung des § 364a ABGB hatte der Gesetzgeber in erster Linie die Genehmigung einer Betriebsanlage nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung im Auge, auch wenn dies im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck kommt, der lediglich allgemein auf die behördliche Genehmigung einer (Betriebs-)Anlage abstellt (zur Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung 4 Ob 619/74 = SZ 48/15). Unterlassungsansprüche gemäß § 364 Abs 2 ABGB sind regelmäßig nur dort ausgeschlossen, wo der Bewilligung ein Verfahren zugrunde lag, in welchem die Berücksichtigung der Interessen der Nachbarn in derselben oder in gleich wirksamer Weise vorgesehen war wie im Verfahren zur Genehmigung von Betriebsanlagen nach der Gewerbeordnung (RIS-Justiz RS0010682).

[16] 1.2 Nach der ständigen, vom Berufungsgericht beachteten Rechtsprechung ist § 364a ABGB nicht anzuwenden, wenn nur eine baubehördliche Genehmigung für eine Anlage vorliegt, denn die privatrechtlichen Beziehungen werden von ihr nicht geregelt (RS0010503; RS0010685). In der Entscheidung 9 Ob 48/12t bejahte der Oberste Gerichtshof Unterlassungsansprüche von benachbarten Betreibern einer Gastwirtschaft gegen die von einem Mastschweinebetrieb ausgehenden Geruchsbelästigungen. Zu beurteilen war die Zulässigkeit solcher Ansprüche trotz baubehördlicher Bewilligung der Bestandserweiterung durch den Neubau eines Mastschweinestalls mit Güllegrube und Ganzkornsilo im Anwendungsbereich des Steiermärkischen Baugesetzes noch vor der Novelle LGBl 2008/88. Der Oberste Gerichtshof führte aus, dass ein solcher baubehördlich genehmigter Neubau keine behördlich genehmigte Anlage im Sinn des § 364a ABGB darstellt. Beim Baubewilligungsverfahren steht die bauliche Anlage im Vordergrund, um deren Bewilligung vom Bauwerber angesucht wird, und nicht ein umfassendes, den Individualrechtsschutz ausschließendes Immissionsschutzkonzept wie es in § 364a ABGB iVm § 74 Abs 2 Z 2 GewO 1994 verfolgt wird (zustimmend Egglmeier-Schmolke, Baubehördliche genehmigte Anlage; Immissionsschutz, bbl 2013, 259; Kleewein, Geruchsimmissionen eines baubehördlich bewilligten Schweinemastbetriebs, RdU 2014/23, 38; ablehnend Engel/Strauss [am Verfahren beteiligt], Zum Anlagenbegriff des § 364a ABGB im Hinblick auf baubewilligte Nutztierstallungen, RdU 2014/137, 236).

[17] 2. Die zentralen Aussagen der Entscheidung 9 Ob 48/12t lassen sich auch für die Rechtslage nach der Novelle des Steiermärkischen Baugesetzes LGBl 2008/88 aufrecht erhalten:

[18] 2.1 Das Untersagungsrecht des durch Immissionen beeinträchtigten Nachbarn gemäß § 364 Abs 2 ABGB ist die Regel. Die Rechtsprechung gesteht es neben dem Eigentümer der Liegenschaft etwa auch dem Bestandnehmer einer Liegenschaft zu (RS0010644, RS0010655). Der Ausschluss dieses Untersagungsrechts im Fall einer Beeinträchtigung durch eine Bergwerksanlage oder eine behördlich genehmigte Anlage im Sinn des § 364a ABGB ist die Ausnahme, sodass eine Anwendung der Bestimmung des § 364a ABGB über den Bereich gewerblicher Anlagen hinaus zwar in bestimmten Fällen bejaht wird (ausführlich 8 Ob 128/09w; 1 Ob 47/15s ua; vgl RS0010689), nicht aber bereits durch jede andere behördliche Genehmigung einer Anlage gerechtfertigt ist (grundlegend 4 Ob 619/74 SZ 48/15; 5 Ob 41/75 SZ 48/45).

[19] 2.2.1 § 26 Abs 1 stmk BauG enthält auch nach der Novelle LGBl 2008/88 (und weiteren bis zur baubehördlichen Bewilligung im vorliegenden Fall ergangenen Novellen LGBl 2010/49, LGBl 2011/13) keine umfassende, sondern eine taxative – und damit beschränkte – Aufzählung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte (vgl VwGH 2013/06/0018). Darüber hinausgehende privatrechtliche Einwendungen sind im Bauverfahren an sich unbeachtlich (so bereits VwGH 2003/06/0089). Dem trägt auch § 26 Abs 3 stmk BauG Rechnung, der lautet: „Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet, das im Privatrecht begründet ist (privatrechtliche Einwendung), so hat die Behörde zunächst eine Einigung zu versuchen. Kommt keine Einigung zustande, so ist der Beteiligte mit seinen privatrechtlichen Einwendungen auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen.“

[20] 2.2.2 Der Katalog des § 26 Abs 1 stmk BauG enthält daher kein Recht auf umfassenden Immissionsschutz (Kleewein, RdU 2014/23, 41), insbesondere normiert er kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht zur Abwehr von Geruchsimmissionen. Genannt ist in § 26 Abs 1 stmk BauG etwa der Schallschutz (Z 3) sowie Belästigungen oder Beeinträchtigungen aus Abwässern, sonstigen Abflüssen, Abgasen von Feuerstätten und Ableitung solcher Abgase sowie die Veränderung des Geländes (Z 5 mit Verweis auf die jeweils anwendbaren Normen des stmk BauG).

[21] 2.2.3 Immissionen allgemein sind lediglich in § 26 Abs 1 Z 1 stmk BauG genannt: Diese Bestimmung – die insofern unverändert bereits seit der StF LGBl 1995/59 in Geltung steht und von der Novelle LGBl 2008/88 nicht berührt wurde – bezieht sich aber nur auf die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist. Nach § 26 Abs 1 Z 1 stmk BauG hat der Nachbar nur insoweit ein subjektiv-öffentliches Recht darauf, dass die Widmungskategorie eingehalten wird, als diese auch einen Immissionsschutz gewährleistet (VwGH 2000/06/0205 ua).

[22] 2.3.1 Novelliert wurde mit LGBl 2008/88 die auch in der Entscheidung 9 Ob 48/12t erwähnte Bestimmung des § 13 Abs 12 Satz 1 stmk BauG. Dieser lautet seither: „(12) Lässt der Verwendungszweck von baulichen Anlagen eine unzumutbare oder das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gesundheitsgefährdung der Nachbarn erwarten oder ist dies zum Schutz des Ortsbildes erforderlich, hat die Behörde größere Abstände vorzuschreiben.“ Mit dieser Bestimmung sind Immissionen gemeint, die durch die Verwendung einer baulichen Anlage hervorgerufen werden können (VwGH 2009/06/0098). Um einen effizienteren Immissionsschutz für die nichtlandwirtschaftliche Wohnbevölkerung vor Tierhaltungsbetrieben zu ermöglichen, stellt diese Bestimmung nach den Gesetzesmaterialien nicht mehr auf das „ortsübliche Ausmaß“, sondern auf das von der GewO 1994 her bekannte (§ 77 Abs 1 und 2, § 360 Abs 4 GewO 1994) Maß der „unzumutbaren Belästigung“ ab (XV. GPStLT IA AB EZ 1672/4, 2 zu stmk LGBl 2008/88).

[23] 2.3.2 Mit der Novelle LGBl 2008/88 wurde in diesem Zusammenhang auch § 114 stmk BauG (seit der Novelle LGBl 2011/13: § 95 stmk BauG) über die Planung, Genehmigung und Ausführung landwirtschaftlicher Betriebsanlagen geschaffen. Landwirtschaftliche Betriebsanlagen sind danach so zu genehmigen, dass das Leben oder die Gesundheit der Nachbarinnen/Nachbarn nicht gefährdet wird (§ 95 Abs 1 Z 1 stmk BauG) und diese durch Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung, Gestank oder Lästlinge nicht unzumutbar oder das ortsübliche Ausmaß übersteigend belästigt werden (§ 95 Abs 1 Z 2 stmk BauG). Eine landwirtschaftliche Anlage ist zu genehmigen, wenn in diesem Sinn voraussehbare Gefährdungen vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen auf ein zumutbares Maß beschränkt werden (§ 95 Abs 2 stmk BauG). § 95 Abs 3 stmk BauG lautet: „(3) Ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des Abs. 1 zumutbar sind, ist danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen auswirken.“

[24] 2.4 Flankierend wurden mit der Novelle LGBl 2008/88 in § 29 stmk BauG neue Absätze 6 bis 8 eingefügt. Diese Bestimmungen ermöglichen es Nachbarn, bei bestehenden landwirtschaftlichen Betrieben nachträgliche Auflagen – vergleichbar § 79 GewO 1994 – zu beantragen, um die in § 95 Abs 1 stmk BauG genannten Interessen zu wahren (vgl die Gesetzesmaterialien, XV. GPStLT IA EZ 1672/1, 1 und AB EZ 1672/4, 1f). Bezogen auf landwirtschaftliche Betriebe – die (nach wie vor) nicht der Gewerbeordnung unterliegen (9 Ob 48/12t) – ist dies allerdings erst ab einer „Geruchszahl“ (§ 4 Z 32 stmk BauG) von 20 anzuwenden (§ 29 Abs 6 stmk BauG; dies entspricht etwa der Haltung von 110 Mastschweinen, vgl Urteil des Berufungsgerichts, S 20; ursprünglich war eine Geruchszahl von 10 vorgesehen, dies hätte einer Größe zur Haltung von 80 Mastschweinen oder 75 Rindern entsprochen, XV. GPStLT AB EZ 1672/2, 3). Darüber hinaus ist ein solcher Antrag auf nachträgliche Auflagen erst zulässig, wenn seit der vollständigen Fertigstellungsanzeige oder der Rechtskraft der Benützungsbewilligung schon mehr als 10 Jahre vergangen sind (§ 29 Abs 6 stmk BauG). Die Behörde kann für die Erfüllung solcher Auflagen im Rahmen einer Interessenabwägung eine Frist von bis zu höchstens fünf Jahren einräumen (§ 29 Abs 7 stmk BauG), sie kann von einer Änderung oder Ergänzung der ursprünglichen Auflagen auch absehen, wenn der finanzielle Aufwand im Vergleich zum angestrebten Nutzen unverhältnismäßig hoch ist (§ 29 Abs 8 stmk BauG).

[25] 3.1 Beruhend auf dieser Rechtslage entscheidet der Verwaltungsgerichtshof, dass § 13 Abs 12 stmk BauG dem Nachbarn „im Ergebnis einen gewissen Immissionsschutz, der unabhängig von der Flächenwidmung gegeben ist“ einräumt (VwGH 2013/06/0127; 2010/06/0159 ua). Der Immissionsschutz wird nach dieser Rechtsprechung im Bauverfahren daher dem Nachbarn nur eingeschränkt gewährt: Insbesondere räumt § 13 Abs 12 stmk BauG dem Nachbarn letztlich nur die Möglichkeit ein, größere Abstände zu einem landwirtschaftlichen Betrieb zu erreichen. Darüber hinaus erfolgt die Beurteilung des Immissionsschutzes im Bauverfahren prognostisch. Sie orientiert sich nicht an den konkreten Verhältnissen des Nachbarn, sondern an jenen eines „gesunden, normal empfindenden Menschen“ (§ 95 Abs 3 stmk BauG). Stellt sich nach geraumer Zeit nach Rechtskraft der Benützungsbewilligung (oder der vollständigen Fertigstellungsanzeige) – es müssen mehr als zehn Jahre vergangen sein, § 26 Abs 6 stmk BauG – heraus, dass die ursprünglich erteilten Auflagen zur Vermeidung beeinträchtigender (Geruchs-)Immissionen nicht genügen, kann der Nachbar zwar nachträgliche Auflagen beantragen. Dies ist aber nur ab einer gewissen Größe des Betriebs möglich („Geruchszahl 20“) und die Behörde hat im Rahmen einer gesetzlichen Interessensabwägung einen relativ weiten Ermessensspielraum, solche Auflagen zeitnah oder erst bis zu höchstens fünf Jahren später oder überhaupt nicht zu erteilen. Im Verfahren über nachträgliche Auflagen wird die ursprünglich erteilte Baubewilligung nicht mehr überprüft, sodass auch diese Möglichkeit nicht genügt, die Interessen von Nachbarn an der Vermeidung beeinträchtigender Immissionen im Bauverfahren als gleichwertig geschützt wie gemäß § 364 Abs 2 ABGB anzusehen (vgl 4 Ob 137/03f).

[26] 3.2 Anders als nach der für die Entscheidung 9 Ob 48/12t maßgeblichen Rechtslage räumt zwar das Steiermärkische Baugesetz seit der Novelle LGBl 2008/88 den Nachbarn Parteirechte zur Wahrung eines gewissen Immissionsschutzes ein. Allerdings umfasst der Begriff des „Nachbarn“ gemäß § 4 Z 44 stmk BauG lediglich den Eigentümer oder Inhaber eines Baurechts (Bauberechtigter) der an den Bauplatz angrenzenden Grundflächen und weiterer hier nicht relevanter Grundflächen. Der vom Erstgericht hervorgehobene Umstand, dass die Kläger – obwohl nur Wohnungsgebrauchsberechtigte im Sinn der §§ 504, 521 ABGB – dennoch Parteistellung im Bauverfahren hatten, ändert nichts daran, dass insbesondere der Bestandnehmer kein Nachbar im Sinn des § 4 Z 44 stmk BauG ist und daher – anders als wie ausgeführt nach § 364 Abs 2 ABGB – seine Interessen als Nachbar im Bauverfahren nicht wahrnehmen kann. Auch unter diesem Aspekt bietet das Verfahren nach dem Steiermärkischen Baugesetz kein dem § 364a ABGB iVm § 74 Abs 2 Z 2 GewO 1994 vergleichbares Immissionsschutzkonzept.

[27] 4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die vom Beklagten verursachten Geruchsimmissionen auch nach Maßgabe der Rechtslage nach der Novelle des Steiermärkischen Baugesetzes LGBl 2008/88 nicht von einer behördlich genehmigten Anlage im Sinn des § 364a ABGB ausgehen, ist daher zutreffend. Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414 [T7]). Dem Rekurs der Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.

[28] Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO.

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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00019.22Z.0728.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAD-79881