OGH vom 20.04.2022, 13Os137/21b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. SetzHummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher, BA, in der Strafsache gegen Z* D* wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 146 Hv 21/21k77, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Z* D* des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W* gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB, US 8) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verfügungsberechtigte der Pensionsversicherungsanstalt und der Magistratsabteilung 40 der Stadt W* durch Täuschung über Tatsachen, indem er als Sachwalter (nunmehr: Erwachsenenvertreter) des P* D* wiederholt (US 5 ff) wahrheitswidrig vorgab, dieser habe seinen tatsächlichen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt in W* (US 7 f und 19), zu fortlaufenden monatlichen (US 7) Zahlungen in der Höhe von insgesamt 93.973,18 Euro verleitet, wodurch die genannten Institutionen in einem 5.000 Euro (US 8) übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurden, und zwar
(I) die Pensionsversicherungsanstalt zur Auszahlung von 51.574,92 Euro, davon
1) vom bis zum 38.933,60 Euro Pflegegeld und
2) vom bis zum 12.641,32 Euro Ausgleichszulage, sowie
(II) die Magistratsabteilung 40 der Stadt W* vom bis zum zur Auszahlung von 42.398,26 Euro Mindestsicherung.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) reklamiert eine Verletzung des § 159 Abs 3 StPO zufolge Vernehmung der M* D* als Zeugin in der Hauptverhandlung ohne Belehrung über die Befreiung von der Pflicht zur Aussage (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 248 Abs 1 StPO).
[5] M* D* gab nach der Aktenlage eingangs ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung am an (ON 55 S 63 f), mit dem Bruder des Angeklagten (P* D*) verheiratet gewesen, aber (noch) nicht geschieden zu sein, weil am das Scheidungsurteil ergangen, aber dessen Rechtskraft noch nicht eingetreten sei. Der Angeklagte führte dazu aus (ON 55 S 64), bei der diesbezüglichen Verhandlung dabei gewesen zu sein, aber (als Sachwalter seines Bruders) keine Entscheidungsausfertigung erhalten zu haben.
[6] Zur Beurteilung der insoweit entscheidenden Sachverhaltsgrundlage im Zeitpunkt der Vernehmung der Zeugin M* D* holte der Oberste Gerichtshof hinsichtlich des in Rede stehenden Scheidungsverfahrens (AZ 1 C 10/21i des Bezirksgerichts Donaustadt) das Verhandlungsprotokoll, eine Urteilsausfertigung sowie die diesbezüglichen Zustellnachweise ein (dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 49). Sämtliche Urkunden wurden der Verteidigung zur allfälligen Äußerung zugestellt (vgl Ratz, WKStPO § 285f Rz 8), die in ihrer Stellungnahme vom das diesbezügliche Beschwerdevorbringen aufrecht hielt. Die tatsächlichen Aufklärungen über die behauptete Formverletzung ergaben, dass die mündliche Verhandlung am stattfand, das Urteil schriftlich erging, den Parteien am sowie am zugestellt wurde und solcherart mit Ablauf des unbekämpft in Rechtskraft erwuchs, womit das Angehörigenverhältnis der Schwägerschaft (§ 72 Abs 1 StGB) zwischen dem Angeklagten und der Zeugin M* D* im Zeitpunkt deren Vernehmung () nicht mehr bestand. Demnach war auch der Aussagebefreiungsgrund des § 156 Abs 1 Z 1 StPO nicht gegeben.
[7] Die Generalprokuratur weist zwar zutreffend darauf hin, dass schon diesbezügliche Zweifel für die Annahme eines Befreiungsgrundes streiten. Die Beurteilung der insoweit entscheidenden Sachverhaltsgrundlage (bezogen auf den Aussagezeitpunkt) kommt aber dem Rechtsmittelgericht zu (erneut Ratz,WKStPO § 281 Rz 49). Erachtet dieses – wie hier – den Befreiungsgrund in tatsächlicher Hinsicht als nicht gegeben, stellt sich die Frage nach einem auf einen solchen bezogenen Verfahrensfehler gar nicht. In diesem Sinn betont auch die Judikatur, dass das objektive Vorliegen eines Sachverhalts, der einer Nichtigkeit begründenden Vorschrift subsumierbar ist, , sondern zur Verwirklichung eines Verfahrensmangels – darüber hinaus – eine prozessrechtliche Pflichtverletzung ([hier] der Vorsitzenden) vorliegen muss (RIS-Justiz RS0120127, vgl auch RISJustiz RS0113610 [arg „von vornherein“]). Nichtigkeitsbegründend ist in diesem Zusammenhang also nur eine durch mangelnde Beobachtung der in Rede stehenden Pflicht Verletzung einer nichtigkeitsbewehrten Norm (Ratz,WKStPO § 281 Rz 37).
[8] Die Mängelrüge (Z 5) erschöpft sich, indem sie aus erörterten Verfahrensergebnissen andere Schlussfolgerungen zieht als die Tatrichter, deren Begründung sie als „denkunmöglich“ bezeichnet, in Beweiswürdigungskritik nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.
[9] Die Konstatierungen zur Zeichnungsberechtigung des Angeklagten am Konto des P* D* und zur Verwendung der inkriminierten Sozialleistungen (US 7) sind weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage von Bedeutung und daher nicht entscheidend (RIS-Justiz RS0117264). Soweit die Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 vierter Fall) diesbezüglich ein Begründungsdefizit behauptet, verlässt sie schon deshalb den Anfechtungsrahmen (RIS-Justiz RS0117499).
[10] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Feststellungen zur subjektiven Tatseite bestreitet, verfehlt sie den – im festgestellten Sachverhalt gelegenen (RISJustiz RS0099810) – Bezugspunkt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[12] Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00137.21B.0420.000 |
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