OGH vom 13.09.2017, 10Ob19/17t

OGH vom 13.09.2017, 10Ob19/17t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj W*****, geboren am ***** 2004, vertreten durch das Land Wien als Träger der Kinder- und Jugendhilfe (Amt für Jugend und Familie-Rechtsvertretung Bezirk *****), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 625/16d-28, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 1 Pu 47/16x-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

W***** wurde in Wien geboren und lebt bei seiner Mutter in Wien.

Mit Erkenntnis vom , GZ D13 260104-0/2008/1E, gewährte der Asylgerichtshof dem Kind gemäß § 10 Abs 2 AsylG 1997, BGBl I 1997/76 idF BGBl I 2003/101 Asyl. Der Asylgerichtshof sprach weiters aus, dass dem Kind damit gemäß § 12 AsylG 1997 kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. In der Begründung führte der Asylgerichtshof aus, dass den Eltern des Kindes mit zwei weiteren Erkenntnissen des Asylgerichtshofs vom gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt wurde. Aus diesem Grund und weil keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass den Eltern des Kindes ein Familienleben mit dem Kind in einem anderen Staat möglich wäre, sei dem Kind gemäß § 10 Abs 2 AsylG Asyl zu gewähren. Die Flüchtlingseigenschaft komme dem Kind kraft Gesetzes zu.

Am stellte das Bundesamt für Fremdenwesen/Asyl dem Kind einen Reisepass (Konventionsreisepass) mit einer Gültigkeitsdauer bis aus. Dieser Reisepass gilt für alle Staaten der Welt, ausgenommen die Ukraine.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom (ON 4) wurde der Vater als Unterhaltsschuldner ab zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 390 EUR gegenüber dem Kind verpflichtet.

Das Erstgericht bewilligte dem Kind über dessen Antrag für den Zeitraum bis gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG einen monatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 390 EUR.

Das Rekursgericht gab dem vom Bund nur im Umfang der Zuerkennung von Unterhaltsvorschüssen für den Zeitraum bis erhobenen Rekurs nicht Folge. Dem Kind sei, wie sich aus dem vorgelegten Erkenntnis des Asylgerichtshofs ergebe, Asyl gewährt worden. Ihm komme daher kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention komme einem Flüchtling das für den familienrechtlichen Bereich maßgebliche inländische Personalstatut zu, sodass das Kind gleich einem österreichischen Staatsbürger berechtigt sei, Unterhaltsvorschüsse zu beziehen.

In jedem Vorschussgewährungsbeschluss sei die längst mögliche Dauer festzulegen. Die gesetzliche Obergrenze müsse zwar nicht zwingend ausgeschöpft, solle aber doch nicht aus übertriebener Vorsicht unterschritten werden. Sei nicht konkret zu erwarten, dass die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung früher wegfallen, habe die Vorschussgewährung für einen Zeitraum von fünf Jahren zu erfolgen. Dies sei hier nicht der Fall, weil ein Konventionsreisepass maximal für fünf Jahre ausgestellt werde. Gehe aber der Asylstatus verloren, seien gewährte Unterhaltsvorschüsse ohnedies einzustellen.

Infolge der Zulassungsvorstellung des Bundes änderte das Rekursgericht nachträglich seinen Zulassungsausspruch und sprach aus, dass der (ordentliche) Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob Vorschüsse trotz fehlendem bescheidmäßigen Nachweis der Flüchtlingseigenschaft in voller Dauer zu gewähren seien, fehle.

Gegen den angefochtenen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, mit dem dieser im Ergebnis anstrebt, dass dem Kind Unterhaltsvorschüsse nur von bis Dezember 2020 gewährt werden.

Das Kind beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Der Bund macht geltend, dass ein Konventionsreisepass nur ein Passersatz sei, der Flüchtlingen im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention ausgestellt werde. Dabei handle es sich um kein Reisedokument. Der Konventionsreisepass sei daher kein Nachweis der Flüchtlingseigenschaft seines Inhabers. Schon mangels Vorliegens eines Asylbescheids im maßgeblichen Beschlusszeitpunkt müsse daher die Gültigkeit des Konventionsreisepasses als Endtermin für die Vorschussbewilligung gelten. Der Hinweis des Rekursgerichts auf § 8 UVG gehe mangels Nachweises der Flüchtlingseigenschaft ins Leere.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

1. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, dass Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl 1955/55, GFK) und dem Flüchtlingsprotokoll (BGBl 1974/78) österreichischen Staatsbürgern im Sinn des § 2 Abs 1 UVG gleichzustellen sind und demnach Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben, ist zutreffend (10 Ob 46/10b ua) und wird vom Revisionsrekurswerber nicht in Frage gestellt.

2.1 Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Flüchtlingseigenschaft vom Gericht jeweils selbständig als Vorfrage zu prüfen (10 Ob 46/10b mwN; RIS-Justiz RS0110397; RS0037183; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 2 UVG Rz 16 mwN; Verschraegen in Rummel³ § 9 IPRG Rz 6; kritisch Wendehorst, Inzidentprüfung der Flüchtlingseigenschaft im Unterhaltsprozess – Zur Bindung der Zivilgerichte an verwaltungsrechtliche Feststellungen [Anm zu 6 Ob 183/98z], IPRax 1999, 276).

2.2 In der Entscheidung 6 Ob 183/98z wurde dazu näher ausgeführt, dass die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft in einem Asylgewährungsbescheid nur ein starkes Indiz bilde. Das Gericht könne in der Regel von einer weiteren selbständigen Prüfung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte absehen, wenn eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren erst kurze Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung, in der die Flüchtlingseigenschaft eine Vorfrage darstelle, erfolgt sei. Dies sei aber anders zu beurteilen, wenn seit der Feststellung ein geraumer Zeitraum verstrichen sei und sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Flüchtlings wesentlich geändert haben (damals: die Öffnung und Demokratisierung der ehemaligen „Ostblockstaaten“).

2.3 Allerdings hatte die „Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren“ nach der der Entscheidung 6 Ob 183/98z noch zugrunde liegenden alten Rechtslage – Bundesgesetz über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1968/126 – zu erfolgen. Nach § 1 BGBl 1968/126 war Flüchtling ein Fremder, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wurde, dass er die Voraussetzungen des Art 1 Abschnitt A GFK erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach der GFK vorlag (Wendehorst, IPRax 1999, 276, bezieht sich in ihrer Besprechung der Entscheidung 6 Ob 183/98z nicht auf diese Rechtslage, sondern nimmt bereits zur – noch darzustellenden, aber im damaligen Fall nicht anwendbaren –Bestimmung des § 12 AsylG 1997, BGBl I 1997/76, Stellung).

3.1 Die in der Entscheidung 6 Ob 183/98z dargestellte Rechtslage änderte sich bereits mit dem AsylG 1991 (BGBl 1992/8). Gemäß § 3 AsylG 1991 wurde Asyl auf Antrag des Asylwerbers gewährt. Die Behörde hatte einem Asylantrag stattzugeben, wenn nach dem AsylG 1991 glaubhaft war, dass der Asylwerber Flüchtling und die Gewährung von Asyl nicht gemäß § 2 Abs 2 und 3 AsylG 1991 ausgeschlossen sei. In den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung (ErläutRV 270 BlgNR 18. GP 13) heißt es dazu: „Diese Bestimmung sieht nun nicht mehr eine bescheidmäßige Feststellung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft vor, vielmehr ist ausschließlich über die Frage der Asylgewährung abzusprechen. Gegenstand des behördlichen Abspruchs ist somit ausschließlich die Asylgewährung auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens, wobei die Feststellung, ob der Asylwerber Flüchtling ist oder nicht, als Vorfrage gemäß § 38 AVG zu beurteilen ist.“

3.2 Neuerlich änderte sich die Rechtslage mit dem AsylG 1997, BGBl I 1997/76, das auch der Asylgerichtshof im konkreten Fall (idF BGBl I 2003/101) angewandt hat. Gemäß § 12 AsylG 1997 (nunmehr § 3 Abs 5 AsylG 2005, BGBl I 2005/100) war die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, aufgrund Asylantrags oder aufgrund Asylerstreckungsantrags Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. In Übereinstimmung damit normierte § 3 Abs 1 Satz 2 AsylG 1997, dass ein gesonderter Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gar nicht mehr zulässig war.

3.3 Die gemäß § 12 AsylG 1997 zu treffende Feststellung, dass dem Asylberechtigten Flüchtlingsstellung zukommt, hat daher – anders als nach der noch in der Entscheidung 6 Ob 183/98z anzuwendenden Rechtslage – nur mehr deklarativen Charakter. Die Flüchtlingseigenschaft kommt dem Asylberechtigten, wie das Rekursgericht zutreffend dargestellt hat, ex lege zu. Damit übereinstimmend bestimmte auch § 14 Abs 2 AsylG 1997 (nunmehr § 7 Abs 4 AsylG 2005), dass die Behörde in den Fällen der Aberkennung des Asyls (deklarativ) festzustellen hat, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.

3.4 In den Gesetzesmaterialien zu § 3 AsylG 1997 (ErläutRV 686 BlgNR 20. GP 16 f) heißt es dazu: „An sich ist jeglicher Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft unzulässig. Solche Anträge wären daher zurückzuweisen. Allerdings haben die Asylbehörden gemäß § 12 des Entwurfs im Interesse der Rechtssicherheit eine Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages oder auf Grund Asylerstreckungsantrags Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Behörden haben daher die Flüchtlingseigenschaft eines Fremden stets dann bescheidmäßig festzustellen, wenn dem Fremden Asyl gewährt wird und zwar unabhängig davon, ob dies wegen Vorliegens der Voraussetzungen nach Art 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, wegen einer Asylerstreckung oder wegen der Erfüllung einer Kontingentverpflichtung erfolgt. Im Falle der Abweisung des Asylantrages entfällt auch die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft. Die Behörde soll insbesondere nicht verpflichtet sein, sich inhaltlich mit einem solchen Antrag eines abgewiesenen Asylwerbers auseinanderzusetzen.

Die Flüchtlingseigenschaft eines Fremden ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention von materieller Natur. Die Asylgewährung ist gemäß § 3 Abs 1 an die Voraussetzungen des Art 1 der Genfer Flüchtlingskonvention gebunden, so dass sich in diesen Fällen zwangsläufig auch die Flüchtlingseigenschaft nach diesen Kriterien richtet. Flüchtlinge im Sinne dieses Bundesgesetzes können sowohl Flüchtlinge nach Art 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, Kontingentflüchtlinge oder Asylberechtigte kraft Asylerstreckung sein, wenn den betreffenden Personen rechtskräftig mit Bescheid Asyl gewährt oder auf die betreffenden Personen rechtskräftig Asyl erstreckt wurde. Die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist mit der Asylgewährung oder Asylerstreckung untrennbar verbunden und bildet daher insgesamt einen einzigen Verfahrensgegenstand.“

4.1 Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Rekursgerichts im konkreten Fall zutreffend. Entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs lag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Erstgerichts das oben wiedergegebene Erkenntnis des Asylgerichtshofs bereits vor, aus dem sich ergibt, dass dem – damals vierjährigen – Kind Asyl bereits 2008 gewährt wurde. Daraus folgt, worauf das Rekursgericht hingewiesen hat, dass dem Kind ex lege seither Flüchtlingsstellung zukam. Eine Aberkennung oder einen Verlust der Flüchtlingseigenschaft des Kindes behauptet der Revisionsrekurswerber nicht. Unstrittig hat das Kind seinen Wohnsitz in Österreich, sodass selbst in dem Fall, dass es kein der Flüchtlingskonvention unterliegender Flüchtling wäre gemäß § 9 Abs 3 IPRG österreichisches Sachrecht zur Anwendung käme (dazu näher Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 2 UVG Rz 15 mwH). Näher muss auch darauf nicht eingegangen werden, weil der Revisionsrekurs keine dahingehenden Rechtsausführungen enthält.

4.2 Ein Konventionsreisepass ist gemäß § 94 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 2005/100, einem Fremden auf Antrag auszustellen, dem in Österreich der Status eines Asylberechtigten zukommt. Vor dem Hintergrund der bereits dargestellten Rechtslage ergibt sich daher schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass sie keine Aussage über die – hier allein maßgebliche – Flüchtlingseigenschaft eines Fremden enthält: Diese ergibt sich vielmehr ex lege aus seinem von § 94 Abs 1 FPG vorausgesetzten Status als Asylberechtigter. Ein Fremder, dem in Österreich rechtskräftig der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, hat gemäß § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 (für das Kind im vorliegenden Fall im Weg der Übergangsbestimmung des § 75 Abs 5 AsylG 2005 anwendbar) das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht in Österreich. Der Konventionsreisepass ermöglicht ihm lediglich (zusätzlich) das Reisen und räumt ihm ein Rückkehrrecht bis zu fünf Jahren (§ 90 FPG) ein (vgl ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 25, abgedruckt bei Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [Stand: ], 1309). Solange der Status als Asylberechtigter andauert, besteht ein subjektives Recht auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses auf Antrag (Filzwieser ua, Asyl- und Fremdenrecht, 1310 K 1). Gemäß § 90 Abs 3 FPG ist eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer nicht zulässig, sondern ist ein neuerlicher Antrag auf Ausstellung eines Reisedokuments bei der Behörde zu stellen (Filzwieser ua, Asyl- und Fremdenrecht, 1298 K 5).

4.3 Der Umstand, dass die Gültigkeitsdauer des Konventionsreisepasses des Kindes bereits im Dezember 2020 endet, hat daher keine Auswirkung auf seinen Status als Asylberechtigter und damit ex lege verbunden auf seine Flüchtlingseigenschaft. Andere Gründe, aus denen zu erwarten wäre, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse früher als nach der von den Vorinstanzen gemäß § 8 UVG vorgesehenen Höchstdauer von fünf Jahren wegfallen könnten, macht der Bund nicht geltend.

Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00019.17T.0913.000
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1 Generalabonnement,20 Unterhaltsrechtliche Entscheidungen

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