OGH vom 11.06.2015, 12Os121/14g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Strafsache gegen Richard G***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom , GZ 11 Hv 56/14s 144, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Teils in Stattgebung, teils aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hat, im schuldig sprechenden Teil, demzufolge auch im Strafausspruch, im Kostenpunkt und in der Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg gemäß § 366 Abs 2 StPO aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wels verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch des Angeklagten enthaltenden Urteil wurde Richard G***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (A./), des Vergehens (richtig: der Vergehen) der Begünstigung eines Gläubigers nach § 158 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 erster Satz StGB (B./) und der Vergehen nach § 122 Abs 1 Z 1 und 4 GmbHG (C./) schuldig erkannt.
Danach hat er (zu ergänzen:) in E***** als Geschäftsführer der O***** GmbH
A./ von September 2002 bis Februar 2003 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung „gleichartiger, auch schwerer Betrugshandlungen“ (§ 147 Abs 2 StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in zahlreichen Angriffen andere durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die diese mit einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, indem er durch die wahrheitswidrige Vorgabe, „er bzw die O***** GmbH“ seien zahlungswillige und zahlungsfähige Vertragspartner, Verfügungsberechtigte von dreihundertunddrei im Urteil namentlich genannten Unternehmen zur Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen im Gesamtwert von 6.391.778,50 Euro veranlasste;
B./ von September 2002 bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der O***** GmbH als deren leitender Angestellter, nämlich als Geschäftsführer nach Eintritt ihrer Zahlungsunfähigkeit Gläubiger begünstigt und dadurch die anderen Gläubiger oder wenigstens einen von ihnen benachteiligt, indem er Verbindlichkeiten gegenüber der G***** KG von 1.503.210,02 Euro (1./) und der T***** G***** von 153.771,20 Euro (2./) bezahlte;
C./ als deren Geschäftsführer die Verhältnisse der O***** GmbH oder erhebliche Umstände, auch wenn sie nur einzelne Geschäftsfälle betrafen, unrichtig wiedergegeben, indem er
1./ zum Stichtag in Berichten, Darstellungen und Übersichten betreffend die genannte Gesellschaft, die an die Öffentlichkeit oder an die Gesellschafter gerichtet waren, und zwar im Jahresabschluss für das Wirtschaftsjahr 1998/1999 keine Wertberichtigung der gegenüber der M***** d.o.o. bestehenden Forderung in Höhe von ca 1.030.000 Euro vornahm;
2./ (zu ergänzen:) zu den Stichtagen , , und in Auskünften, die nach § 272 UGB einem Abschlussprüfer der Gesellschaft zu geben sind, eine unrichtige Vollständigkeitserklärung abgab, indem er den Prüfern der K***** GmbH keine Information darüber erteilte, dass betreffend M***** d.o.o. fingierte Ein- und Ausgangsrechnungen verbucht worden waren.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 8, 9 lit a und b sowie Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Aus deren Anlass war die dem Schuldspruch A./ anhaftende, vom Angeklagten nicht geltend gemachte und sich zu seinem Nachteil auswirkende materielle Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Unmittelbare Täterschaft setzt bei Betrug voraus, dass der Täter allenfalls in Form arbeitsteiligen Zusammenwirkens mit anderen selbst in irgendeiner Phase der Tat bis zu deren Vollendung Ausführungshandlungen setzt, insbesondere also dem Opfer gegenüber durch eigene Täuschungshandlungen in Erscheinung tritt (RIS Justiz RS0089399; 13 Os 121/12m). Dabei genügt es schon, wenn das Opfer tatplangemäß infolge der Weitergabe (zumindest konkludent) tatsachenwidriger Behauptungen durch (gutgläubige) Mittelsmänner getäuscht wird (RIS Justiz RS0094550 [T2], RS0089453; Kirchbacher in WK 2 StGB § 146 Rz 8 und 20 ff).
Nach den von den Tatrichtern zu Schuldspruch A./ getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte als Geschäftsführer der O***** GmbH (im Folgenden kurz O*****) trotz Kenntnis von deren Zahlungsunfähigkeit zum von September 2002 bis Februar 2003 „eine Vielzahl weiterer Bestellungen von Waren und Leistungen getätigt bzw. hat er keine Vorkehrungen getroffen, dass Mitarbeiter der O***** keine weiteren derartigen Bestellungen mehr tätigen. Er hat auch nicht veranlasst, dass die Lieferanten und sonstigen Kreditoren der O***** Mitteilung über die Zahlungsunfähigkeit der O***** erhalten“ (US 42; vgl auch US 88, US 92 f und US 95 zum „Weiterlaufenlassen der Bestellmaschinerie“).
Aus dem Urteil geht nicht hervor, gegenüber welchen der zu Schuldspruch A./ genannten dreihundertunddrei Vertragspartner der O***** der Angeklagte selbst Bestellungen getätigt (und damit Ausführungshandlungen nach § 12 erster Fall StGB gesetzt) hat. Feststellungen, dass er im inkriminierten Zeitraum oder bereits zuvor in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der GmbH tatplangemäß zur Täuschung der Vertragspartner der Gesellschaft deren Mitarbeiter zur Vornahme von Bestellungen veranlasst hat, fehlen im angefochtenen Urteil.
Ohne ein solches auch aktive Elemente umfassendes Gesamtverhalten kommt eine Strafbarkeit des von den Tatrichtern angenommenen „Weiterlaufenlassens der Bestellmaschinerie“ (US 95) durch Unterlassen einer Anweisung des Angeklagten an die Mitarbeiter der Gesellschaft, gegenüber deren Vertragspartnern keine weiteren Bestellungen mehr vorzunehmen, aber nur unter den Voraussetzungen des § 2 StGB (allenfalls in Form eines [rechtlich gleichwertigen] sonstigen Tatbeitrags) in Betracht, wobei die Frage, ob der jeweils die Bestellung vornehmende Mitarbeiter seinerseits gut oder schlechtgläubig gehandelt hat, auch insoweit ohne rechtliche Relevanz ist (vgl Hilf in WK 2 StGB § 2 Rz 159 ff; Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 17, 91 und 95).
Konstatierungen zur Beurteilung der Garantenstellung des Angeklagten gegenüber den Vertragspartnern der O***** und der rechtlichen Gleichwertigkeit der Unterlassung der Erfolgsabwendung durch das Unterbleiben von entsprechenden Anweisungen an die Mitarbeiter dieser Gesellschaft (vgl RIS Justiz RS0094297 [T3]; Kirchbacher in WK 2 StGB § 146 Rz 23 ff) sowie die weiters erforderlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (RIS Justiz RS0089546; vgl Hilf in WK 2 StGB § 2 Rz 135 ff) sind dem Urteil (vgl US 43 und US 95 f) jedoch nicht zu entnehmen.
Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen gereichen dem Angeklagten zum Nachteil und zwingen mangels ausreichender Sachverhaltsgrundlage für die Prüfung des Vorliegens sämtlicher Tatbestandselemente in jedem individualisierten und daher rechtlich selbständigen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 568) Einzelfall zur Aufhebung von Schuldspruch A./, womit sich ein Eingehen auf das weitere (ausschließlich) dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen erübrigt.
Im Ergebnis zutreffend zeigt die gegen Schuldspruch B./ gerichtete Mängelrüge (Z 5 zweiter [nominell fünfter] Fall) auf, dass die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Ansehung des auf Benachteiligung zumindest eines Gläubigers gerichteten (Eventual )Vorsatzes (US 44 f) durch den Verweis auf die Verantwortung des Angeklagten, der „hierzu ausdrücklich auf einen Wegfall der Bereicherung der begünstigten Gläubiger und nicht auf eine fehlende Benachteiligung anderer Gläubiger Bezug genommen“ habe (US 101), mangelhaft begründet sind. Der Beschwerdeführer hat sich nämlich in der Hauptverhandlung am ausdrücklich dahin verantwortet, dass aus seiner Sicht deswegen „kein Nachteil für andere Gläubiger eingetreten sein kann“, weil für die unter anderem an die G***** KG geleisteten (zu B./ inkriminierten) Zahlungen Haftungen bestanden hätten, weshalb es nur zu einem „Austausch vom Konto O***** zu den abgegebenen Haftungen“ gekommen sei (ON 79 S 2 [vgl auch ON 77 S 37 ff; zur Verlesung dieser Angaben ON 135 S 2]), worauf die Tatrichter nicht eingegangen sind.
Wie der Beschwerdeführer hinreichend deutlich aufzeigt, macht die fehlende Erörterung dieser im Widerspruch zu den Annahmen der Tatrichter stehenden - Angaben die getroffenen Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten auf Benachteiligung zumindest eines Gläubigers der O***** bereits aus formalen Gründen mangelhaft, weil bei sonstiger Unvollständigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) der Grund anzugeben gewesen wäre, warum die eine Annahme der Gläubigerbenachteiligung bestreitende Verantwortung des Angeklagten das Gericht nicht überzeugen konnte (RIS Justiz RS0098646, RS0118316).
Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere auf Schuldspruch B./ bezogene Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde.
Mit Blick auf den nächsten Rechtsgang ist jedoch anzumerken, dass worauf das Erstgericht hinweist für die Subsumtion unter § 158 StGB die Gläubigerbenachteiligung zwar keine dauernde sein muss ( Kirchbacher in WK 2 § 158 Rz 6), dem angefochtenen Urteil jedoch keine Konstatierung zu entnehmen ist, wonach es überhaupt zu einer Benachteiligung eines Gläubigers kam (vgl US 44). Die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand, „der Angeklagte hielt es zwar ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass die Zahlungen an die G***** KG und T G, die zu einer Saldoreduktion führten, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erfolgten und damit die G***** KG sowie T G begünstigt wurden und wenigstens ein anderer Gläubiger dadurch benachteiligt wurde“ (US 44 f), bleiben betreffend die Gläubigerbenachteiligung ohne Sachverhaltsbezug (RIS Justiz RS0119090). Soweit das Schöffengericht ausführt, die Verantwortung des Angeklagten, „die Liquidität wäre wieder an die Ob***** zurückgeführt worden“, sei nicht geeignet, den Tatbestand nach § 158 StGB „entfallen zu lassen“ (US 97 f), ist auf den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue nach § 167 StGB hinzuweisen (vgl Rainer in SK § 158 Rz 18). Im nächsten Rechtsgang wird weiters festzustellen sein, ob es sich bei den inkriminierten Zahlungen an die beiden genannten Gesellschaften um angemessene Zug um Zug Entgelte für erbrachte Leistungen handelte, welche den Aktiven der O***** zugute kamen (vgl 14 Os 40/99, 80/99; Kirchbacher in WK 2 StGB § 158 Rz 4; US 96 ff).
Der oben dargestellte Begründungsmangel zwingt zur Aufhebung von Schuldspruch B./ sowie zur Kassation von Schuldspruch C./ (§ 289 StPO), weil im Fall des Unterbleibens von (neuerlichen) Schuldsprüchen zu A./ und (oder) B./ die Schuldspruch C./ zugrunde liegenden Taten verjährt sein könnten:
Ausgehend vom Abschluss der mit Strafe bedrohten Falschdarstellungen zum Stichtag (US 45 f, wären die Taten bei der nach dem Wegfall der Schuldsprüche A./ und B./ erforderlichen isolierten Betrachtung derselben am verjährt (vgl RIS Justiz RS0116876), wenn nicht entsprechend § 58 Abs 3 Z 2 StGB idF vor BGBl I 2007/93 davor (wegen dieser Taten iSd historischen Sachverhalts) ein Strafverfahren bei Gericht anhängig gemacht ( Marek in WK 2 StGB § 58 Rz 14 und 16) oder entsprechend § 58 Abs 3 Z 2 StGB idgF die Verjährung hemmende Maßnahmen getroffen wurden (vgl dazu Marek in WK 2 StGB § 58 Rz 21e ff). Da das Urteil keine Feststellungen enthält, wonach es in Ansehung dieser Taten nach einer der genannten Bestimmungen innerhalb deren Geltungszeitraums durch die Ergreifung der entsprechenden Verfolgungsmaßnahmen zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist kam, ist diesbezüglich eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich.
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war somit in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; teils auch gemäß § 289 StPO) das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in seinem schuldigsprechenden Teil, damit auch im Strafausspruch, im Kostenpunkt und in der Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg gemäß § 366 Abs 2 StPO aufzuheben, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Landesgericht Wels zu verweisen (§ 285e StPO).
Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00121.14G.0611.000