VfGH vom 10.06.2002, B1171/99
Sammlungsnummer
16497
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht wegen verfassungswidriger Auslegung einer Befreiungsbestimmung im Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz infolge Unterlassung von Feststellungen hinsichtlich der Auswirkung der Endbesteuerung bei der Beschwerdeführerin bei Vorschreibung von Erbschaftssteuer für ein Geldlegat; Erfordernis der Steuerfreiheit endbesteuerten Vermögens im Nachlaß aufgrund verfassungskonformer Interpretation des Befreiungstatbestandes (siehe Vorjudikatur)
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Am verstarb E S. Der Nachlaß enthielt nach den Feststellungen des nunmehr angefochtenen Bescheides Aktiva von
S 988.470,73, die "endbesteuert" waren, dh. einer Steuerabgeltung unterlagen, wie sie in § 15 Abs 1 Z 17 Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz 1955 BGBl. 141 (in der Folge: ErbStG) umschrieben ist. "An Bargeld oder nicht endbesteuertem Vermögen" befanden sich unter den Aktiva nur ein Guthaben in einem Seniorenheim und eine Forderung aus einer Bestattungsvorsorgeversicherung in der Höhe von S 66.472,62; diese Mittel wurden zum Großteil zur Abdeckung der Todfallskosten verwendet.
Der Nachlaß fiel an einen Großneffen des Erblassers. Der Beschwerdeführerin hatte der Erblasser einen nicht wertgesicherten Barbetrag von S 300.000,- vermacht.
Die Abgabenbehörde erster Instanz berücksichtigte einen Freibetrag von S 1.500,- (§14 Abs 1 Z 3 ErbStG) und schrieb der Beschwerdeführerin eine 18 %-ige Erbschaftssteuer in Höhe von S 53.730,- vor.
2. Die Finanzlandesdirektion für Kärnten wies eine Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab. Sie wies auf die Lehre und auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin und führte aus, Geldlegate fielen nicht unter die Befreiungsbestimmung des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG.
3. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Die Beschwerdeführerin beruft sich, wie schon im Verwaltungsverfahren, auf die Erbschaftssteuerbefreiung des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG und verweist nun zusätzlich auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15428/1999.
4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
1.2. Damit ist sie im Ergebnis im Recht:
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erk. VfSlg. 15428/1999 (vgl. auch VfSlg. 15474/1999, 15556/1999), auf das sich die Beschwerde auch beruft, ausführlich dargelegt, welche Erwerbsvorgänge unter die Befreiungsbestimmung des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG fallen, dies (auch) unter dem Aspekt verfassungskonformer Interpretation.
Danach gilt zunächst, daß die Erbschaftssteuer insoweit abgegolten ist, als endbesteuertes Vermögen als Erbschaft anfällt oder als Vermächtnis ausgesetzt wurde. Abgegolten ist die Steuer aber auch dann, wenn in Abgeltung des Pflichtteilsanspruchs oder im Zuge der Erbauseinandersetzung endbesteuertes Nachlaßvermögen zugewiesen wird. Ebenso ist schließlich vorzugehen, wenn ein (Geld-)Vermächtnis mittels endbesteuerten Nachlaßvermögens erfüllt wird. In all diesen Fällen hängt die Steuerfreiheit freilich davon ab, daß dem Steuerpflichtigen tatsächlich endbesteuertes Vermögen zugewendet wird. Dem Erben bleibt die Begünstigung auch dann erhalten, wenn er zwecks Entrichtung von (Bar-)Vermächtnissen oder des Pflichtteils endbesteuertes Vermögen verwertet.
Übersteigt jedoch das im Nachlaß enthaltene endbesteuerte Vermögen den Wert dessen, was dem Erben (gemeinsam mit anderen Empfängern derartigen Vermögens) verbleibt, dann steht es der Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn der Erbschaftssteuerpflichtige zwar nicht selbst endbesteuertes Vermögen erwirbt, sein Erwerb sich aber von endbesteuertem Vermögen ableitet, an seine Stelle tritt und die Leistung endbesteuerten Vermögens ersetzt; denn im Ergebnis muß der Nachlaß in jenem Umfang steuerfrei bleiben, in dem er aus endbesteuertem Vermögen besteht. Pflichtteilsberechtigte und Vermächtnisnehmer können dann den überschießenden Steuervorteil für sich in Anspruch nehmen, und zwar gleichgültig, ob und in welchem Maße der Erbe zur Erfüllung des Pflichtteils oder zur Entrichtung des Legats endbesteuertes Vermögen "realisiert" oder auf andere Nachlaßgegenstände oder nicht aus dem Nachlaß stammendes Vermögen greift. Kommen solcherart für die Abgeltungswirkung endbesteuerten Vermögens mehrere Personen in Betracht, so ist ihnen die unverbraucht gebliebene Begünstigung anteilig zu gewähren.
1.3. Nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides befanden sich im Nachlaß "endbesteuerte" Aktiva von S 988.470,73 sowie "Bargeld oder nicht endbesteuertes Vermögen", das zum Großteil zur Abdeckung der Todfallskosten verwendet wurde. Es ist daher davon auszugehen, daß das endbesteuerte Vermögen den dem Erben verbleibenden Nachlaß übersteigt, der ja mit einem Legat von S 300.000,- belastet war. Daher kann dahingestellt bleiben, ob der Erbe der Beschwerdeführerin tatsächlich endbesteuertes Vermögen (zB ein Sparbuch) zugewendet oder ihr Geld ausgezahlt hat. Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen getroffen; sie scheint jedoch davon auszugehen, daß der Beschwerdeführerin Bargeld zugekommen ist.
Die belangte Behörde hat ihren Bescheid ausschließlich damit begründet, Geldlegate fielen nicht unter die Befreiungsbestimmung des § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG. Damit hat sie dem Gesetz einen Inhalt unterstellt, der - wie sich aus den bisherigen Darlegungen ergibt - verfassungswidrig wäre. Ausgehend davon hat sie Feststellungen darüber unterlassen, ob und inwieweit die wegen der Endbesteuerung anzunehmende Abgeltung der Erbschaftssteuer bei der Beschwerdeführerin zum Tragen kommt. Dies schließt ein Urteil darüber aus, ob der Erwerb durch die Beschwerdeführerin nach § 15 Abs 1 Z 17 ErbStG (teilweise) steuerfrei zu bleiben hätte. Durch diese Unterlassung hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
1.4. In ihrer Gegenschrift bringt die belangte Behörde erstmals eine Liegenschaft ins Spiel, die im Nachlaß enthalten gewesen sei. Daran anknüpfend versucht sie darzutun, daß das im Nachlaß enthaltene endbesteuerte Vermögen den Wert dessen, was dem Erben verblieb, nicht übersteige, sodaß die Beschwerdeführerin keinen Steuervorteil in Anspruch nehmen könne. Auf dieses Vorbringen war nicht einzugehen, weil Behauptungen in der Gegenschrift im verfassungsgerichtlichen Verfahren fehlende Tatsachenfeststellungen in der Bescheidbegründung nicht nachtragen und ersetzen können (VfSlg. 13377/1993; ).
1.5. Der Bescheid war daher aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind € 327,- an Umsatzsteuer und die entrichtete Gebühr gemäß § 17 a VfGG von € 181,68 enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.