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VfGH vom 26.02.2002, B1161/99

VfGH vom 26.02.2002, B1161/99

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers gegen die Versagung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung mangels Legitimation; Stattgabe der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers unter Verweis auf die Vorjudikatur zur Verletzung des Grundsatzes der Volksöffentlichkeit durch Unterlassung der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung

Spruch

I. Der Erstbeschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Erstbeschwerdeführer die mit € 2143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

II. Die Beschwerde wird, soweit sie vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Vertrag vom übergab der Vater des Erstbeschwerdeführers die Grundstücke 190/1 und 191/2 aus der Liegenschaft EZ 265 GB Gries i.S. an den Zweitbeschwerdeführer sowie den restlichen Gutsbestand dieser Liegenschaft und die Liegenschaft EZ 130 GB Gries i.S. an den Erstbeschwerdeführer. Im Gegenzug räumte der Erstbeschwerdeführer seinem Vater ein Wohnrecht ein. Die Bezirks-Grundverkehrskommission Innsbruck versagte mit Bescheid vom , der lediglich an den Erstbeschwerdeführer adressiert war, diesem Vertrag die grundverkehrsbehördliche Genehmigung gemäß § 4 Abs 1 iVm § 6 und § 25 Abs 1 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996.

2. Die allein vom Erstbeschwerdeführer gegen die Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung vom - ohne Durchführung einer öffentlichen Verhandlung - abgewiesen. Dieser Bescheid wurde sowohl dem Erst- als auch dem Zweitbeschwerdeführer zugestellt.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers zulässige - Beschwerde erwogen:

Im Fall Eisenstecken gegen Österreich (Urteil vom , ÖJZ 2001/7) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - von seiner früheren Rechtsprechung abgehend - den österreichischen Vorbehalt zu Art 6 EMRK ausdrücklich als ungültig angesehen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich gehalten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen neuer Bewertung des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK zu folgen (siehe ).

Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK hat zur Folge, daß in Verwaltungsverfahren, in welchen über den "Kernbereich" von civil rights abgesprochen wird, eine (volks)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art 6 EMRK dies zuläßt.

Bei Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften steht außer Zweifel, daß es sich um Verfahren handelt, die civil rights in ihrem Kernbereich berühren (; zur Feststellung, daß grundverkehrsbehördliche Verfahren civil rights berühren, vgl. auch VfSlg. 11131/1986, 11211/1987, 12074/1989, 13209/1992 und 14109/1995).

6. Angesichts dessen war die belangte Behörde daher verpflichtet, gemäß Art 6 Abs 1 EMRK eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Für diese hat - abgesehen von den nach Art 6 Abs 1 EMRK zulässigen Ausnahmen, welche in diesem Fall nicht vorliegen - der Grundsatz der Volksöffentlichkeit zu gelten.

Da es die Landes-Grundverkehrskommission unterlassen hat, eine (volks)öffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

II. 1. Der Zweitbeschwerdeführer hat es unterlassen, die Zustellung des lediglich an den Erstbeschwerdeführer adressierten Bescheides zu verlangen bzw. den Bescheid mit Berufung zu bekämpfen. Der Zweitbeschwerdeführer hätte die Möglichkeit (gehabt), als übergangene Partei die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu begehren und diesen mittels Berufung zu bekämpfen bzw. auch bei bloßer Kenntnis des Bescheides Berufung zu erheben. Dies aber hat der Zweitbeschwerdeführer unterlassen. Eine übergangene Partei hat jedoch nicht das Recht, einen letztinstanzlichen Bescheid beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen, ehe sie nicht durch Ergreifung der ihr auf Verwaltungsebene zukommenden Rechtsmittel den Instanzenzug ausgeschöpft hat (vgl. zB ; ).

Die Beschwerde war daher, soweit sie vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, schon mangels Legitimation zurückzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Verfahrenskosten sind € 327,- an Umsatzsteuer sowie der Ersatz der gemäß § 17 a VfGG zu entrichtenden Gebühr von € 181,68 enthalten. Die darüberhinaus geltend gemachten Eingaben- und Beilagengebühren waren nicht zuzusprechen, da sie bereits durch die Pauschalgebühr von € 181,68 gemäß § 17 a VfGG abgegolten sind. Da die Beschwerde, soweit sie vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, zurückzuweisen war, ist kein Streitgenossenzuschlag zuzusprechen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz und § 19 Abs 3 Z 2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.