TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 22.06.1989, B1160/88

VfGH vom 22.06.1989, B1160/88

Sammlungsnummer

12100

Leitsatz

Versagung einer Ausfuhrbewilligung für Kupferschrott; Eigentumsbeschränkung; verfassungskonforme Auslegung des § 8 Abs 1 AußenhandelsG 1984 im Sinn der Berücksichtigung des Allgemeininteresses an der Abwendung schwerer wirtschaftlicher Schäden; Verletzung des Eigentumsrechtes und des Rechtes auf Erwerbsausübungsfreiheit

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit ihres Eigentums sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 27.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten den Antrag der nunmehr beschwerdeführenden Partei E Elektrodrahterzeugung GesmbH, auf Erteilung der Ausfuhrbewilligung für Kupferdrahtabfall, den die beschwerdeführende Partei der Firma P Montan-Handelsgesellschaft in die Bundesrepublik Deutschland zu verkaufen beabsichtigte, gemäß den §§3, 6 und 8 Abs 1 Außenhandelsgesetz 1984, BGBl. 184 idF BGBl. 663/1987, abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihre Verweigerung der Ausfuhrbewilligung damit, daß nach den Kupferdrahtabfällen der Firma E"ständig Nachfrage im Inland von Seiten der Firma Montanwerke B" bestehe. Fehlende Schrottmengen müßten von diesem Verarbeitungsbetrieb laufend aus dem Ausland zugekauft werden, da diese Firma ihre Kapazität mit dem im Inland anfallenden Schrott nicht auslasten könne, aus Kostengründen jedoch auf eine volle Kapazitätsauslastung angewiesen und daher über die Basisschrottversorgung aus dem Inland hinaus von Importen abhängig sei. Ein Export in der beantragten Höhe würde - auf ein Jahr hochgerechnet - für diese Firma einen Entfall von ca. 16 % der inländischen Kupferschrottzulieferungen bedeuten. Zur Deckung dieser Fehlmengen wären zusätzliche Importe zu den vom Ausland jeweils diktierten Preisen erforderlich. Durch Exporte aufgezwungene Preissteigerungen beim Ausgangsmaterial würden die Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Verarbeitungsbetriebes mit den hinlänglich bekannten Folgen bewirken. Ausdrücklich wird dann im angefochtenen Bescheid gegenüber der beschwerdeführenden Gesellschaft ausgeführt:

"Ihrer privatwirtschaftlich gesehen legitimen Absicht, durch Ausnützung eines Preisunterschiedes zwischen Österreich und der BRD Gewinne zu ziehen, steht die Gefährdung der Versorgung der Firma Montanwerke B mit einem erstklassigen Ausgangsmaterial gegenüber. Bei Bescheiderlassung mußten aber die wirtschaftlichen Schäden für die Montanwerke B im Hinblick auf den Entfall von 16 % an Zulieferungen als ungleich größer gewichtet werden als der Nachteil für ihre Firma bei Verweigerung der Ausfuhrbewilligung."

2. In ihrer dagegen gemäß Art 144 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde erachtet sich die beschwerdeführende Gesellschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht, sowie in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der freien Erwerbsausübung und der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz als verletzt. Die beschwerdeführende Gesellschaft erläutert in ihrer Beschwerde, daß sich durch die Verweigerung der Ausfuhrbewilligung aus den unterschiedlichen Kaufanboten für ihre Kupferdrahtabfälle im In- und im Ausland ein Mindererlös von jährlich nahezu S 1,5 Millionen ergebe. Diese Differenz erklärt sich nach Meinung der beschwerdeführenden Gesellschaft daraus, daß der inländische Abnehmer der Kupferdrahtabfälle dafür nur eine bestimmte Quote des Kupfer-Börsenpreises anbiete, während ansonsten "der Handel, wie z. B. P, grundsätzlich vom Börsenkurs ausgeht und nur einen betragsmäßigen Abzug für Schrott vornimmt, welcher jedoch viel geringer ist". Diese Preisdifferenz sei die logische Folge der bisherigen Ausfuhrbeschränkungen und auch nur mit diesen zu erklären. "Eine Ausfuhrfreigabe hätte zur Folge, daß die Montanwerke entweder den inländischen Verkäufern einen höheren (marktgerechten) Preis anbieten, oder mehr importieren und für diese zusätzlichen Importe ebenfalls die höheren Marktpreise zahlen müssen." Eine für die Beurteilung wesentliche Tatsache sei, "daß sowohl Primär- als auch Sekundärkupfer am Weltmarkt jederzeit vorhanden und verfügbar ist". Von einer Knappheit des Rohstoffes könne man "weder für die unmittelbare Vergangenheit noch für die absehbare Zukunft" sprechen. Die Annahme vom Ausland "diktierter" Kupferpreise lasse sich ökonomisch mit Rücksicht auf deren Charakter als Börsenpreise nicht rechtfertigen.

Einen verfassungswidrigen Eigentumseingriff sieht die beschwerdeführende Gesellschaft in der Verweigerung der Ausfuhrbewilligung deshalb, weil "die vom Außenhandelsgesetz verfolgten Ziele, also das gesetzlich geforderte 'öffentliche Interesse', im vorliegenden Fall nicht am Spiele stehen." Eine Gefährdung der Rohstoffversorgung liege nicht vor und der höhere Preis für Kupferschrott im Ausland bilde keinen Grund für die Versagung der Ausfuhrbewilligung, weil "das Außenhandelsgesetz ... sicherlich nicht den einseitigen Schutz einzelwirtschaftlicher Interessen im Auge (hat) und ... auch keine Abwägung von Einzelinteressen vor(sehe)". "Zudem könnte ein Einzelinteresse niemals einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsrecht eines anderen rechtfertigen. Ein Gesetz, welches Eigentumseingriffe zugunsten von Einzelinteressen zuließe, wäre verfassungswidrig, daher ist eine solche Auslegung des AHG denkunmöglich."

Die Verletzung des verfassungsgesetzlich geschützten Rechts auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird damit begründet, daß das einem Unternehmen auferlegte Verbot, seine Waren dem Meistbieter zu verkaufen (wenn dieser seinen Sitz im Ausland hat), auch die Freiheit der Erwerbsausübung beschränkt und eine derartige Beschränkung nur im öffentlichen Interesse zulässig sei.

Gleichheitswidrig ist der angefochtene Bescheid nach Meinung der beschwerdeführenden Gesellschaft, weil dadurch ohne sachliche Begründung einem Unternehmen Nachteile auferlegt würden, um einem anderen Unternehmen Vorteile zu sichern. Die Sicherung der Rohstoffversorgung für die Montanwerke B stelle in Wahrheit nur einen Scheingrund dar, da es in Wirklichkeit nur um den Preis des Rohstoffes gehe. Eine meßbare gesamtwirtschaftliche Auswirkung habe das Ausfuhrverbot nicht. Lediglich einzelwirtschaftlich werde der inländische Verkäufer (E) dadurch geschwächt und der inländische Einkäufer (A) gegenüber seinen jeweiligen ausländischen Mitbewerbern gestärkt.

Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragt daher die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. In seiner Gegenschrift beantragt der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die Abweisung der Beschwerde mit der Begründung, daß angesichts des "hohen Anteils der zum Export beantragten Menge in Relation zur von den Montanwerken B im Jahre 1987 eingeschmolzenen Menge sehr wohl eine Gefährdung der Rohstoffbasis eines inländischen Industriezweiges gesehen (wird). Daß dieser sich lediglich in Gestalt eines Betriebes darstellt, ist in diesem Zusammenhang nicht erheblich und reicht vor allem nicht aus, um ein nicht schützenswertes 'Einzelinteresse' argumentativ zu untermauern." Eine Verletzung der Erwerbsfreiheit liegt nach Ansicht der belangten Behörde im Beschwerdefall nicht vor, "zumal die Beschränkung, abgesehen von dem schon erwähnten öffentlichen Interesse, die Erwerbsausübung des Beschwerdeführers nicht schlechthin unmöglich machte". Die behauptete Ungleichbehandlung der beschwerdeführenden Gesellschaft findet nach Meinung der belangten Behörde im Grundsatz der Abwendung schwerer wirtschaftlicher Schäden für den Inlandserzeuger eine ausreichende Deckung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid hat privatrechtsgestaltende Wirkung, weil er ein bestimmtes Rechtsgeschäft der beschwerdeführenden Partei unmöglich macht. Er greift sohin in das verfassungsgesetzlich geschützte Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Gesellschaft ein.

Dieser Eingriff in das unter Gesetzesvorbehalt garantierte Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Gesellschaft ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10.356/1985, 10.482/1985) dann verfassungswidrig, wenn die Verweigerung der Ausfuhrbewilligung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte. Einer denkunmöglichen Anwendung eines Gesetzes ist gleichzuhalten, wenn die Anwendung auf einer verfassungswidrigen Auslegung des Gesetzes beruht, also insbesondere dann, wenn die Behörde dem angewendeten Gesetz einen Inhalt unterstellt, der, hätte ihn das Gesetz, dieses Gesetz - weil das Grundrecht selbst verletzend - verfassungswidrig machen würde. (So z.B. VfSlg. 8765/1980, 10.386/1985 - unter Berufung auf Spielbüchler, Grundrecht und Grundrechtsformel, Festschrift Floretta, 1983, 306 f., sowie VfGH B688/88 v. zur Erwerbsfreiheit; und VfSlg. 10700/1985 sowie VfGH B847/87 v. zur Meinungsäußerungsfreiheit).

Der durch die Verweigerung der Ausfuhrbewilligung bewirkte Eingriff in das Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Gesellschaft verletzt das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung ihres Eigentums gemäß Art 5 StGG und Art 1 Abs 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur MRK.

Die Verweigerung der Ausfuhrbewilligung bildet eine Eigentumsbeschränkung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu VfSlg. 6780/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur; VfSlg. 9189/1981) gilt der erste Satz des Art 5 StGG ebenso für Eigentumsbeschränkungen, auf die sich allerdings auch der im zweiten Satz des zitierten Artikels festgelegte Gesetzesvorbehalt erstreckt: Der Gesetzgeber kann daher verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unverletzlichkeit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (vgl. VfSlg. 9189/1981) und soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. VfSlg. 9911/1983, 11.402/1987).

Zwar stützt sich der durch die Verweigerung der Ausfuhrbewilligung bewirkte Eingriff auf § 8 Außenhandelsgesetz 1984, demzufolge bei der Erteilung der Bewilligung neben anderen - hier nicht in Betracht kommenden Voraussetzungen - auf "die Abwendung schwerer wirtschaftlicher Schäden" Bedacht zu nehmen ist. Auch die mit der Verweigerung einer Ausfuhrbewilligung verbundene Eigentumsbeschränkung ist jedoch gemäß dem zweiten Absatz des Art 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur MRK nur "in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse" zulässig (VfSlg. 9911/1983). In verfassungskonformer Auslegung des § 8 Abs 1 Außenhandelsgesetz 1984 kann es sich sohin bei den "schweren wirtschaftlichen Schäden", die durch Verweigerung einer Ausfuhrbewilligung abgewendet werden sollen, nur um solche handeln, deren Vermeidung im Allgemeininteresse liegt, die sohin gesamtwirtschaftlicher Natur sind. Bereits in VfSlg. 1853/1949 hat der Verfassungsgerichtshof formuliert, "daß ein Gesetz mit der Verfassung in Widerspruch geraten würde, wenn es eine Entziehung oder Schmälerung des Eigentums zu einem Zwecke zulassen würde, der nicht dem öffentlichen Wohle, sondern nur dem Interesse eines einzelnen oder einer Personengruppe entspricht." Eine Auslegung des § 8 Abs 1 Außenhandelsgesetz 1984 die eine Verweigerung einer Ausfuhrbewilligung lediglich im "Interesse eines einzelnen" und damit zu Lasten des verfassungsgesetzlich geschützten Eigentumsrechtes eines anderen zuläßt, widerspricht mithin dem Eigentumsrecht gemäß Art 5 StGG und Art 1 Abs 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur MRK.

Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung nicht widerlegten Beschwerdevorbringens geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß bei Verweigerung der Bewilligung der beantragten Ausfuhr von Kupferschrott als Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens zum damaligen Zeitpunkt in Österreich weder eine Gefährdung der Versorgung mit Kupfer oder Kupferschrott vorlag, noch für ausländischen Kupferschrott marktunabhängige, von wem auch immer "diktierte Preise" (wie die belangte Behörde meint) zu bezahlen waren. Die einzige Folge des Exports von inländischem Kupferschrott bestand darin, daß ein inländischer Abnehmer diesen zu Weltmarktpreisen hätte kaufen müssen. Zwar mag ein österreichisches Unternehmen, das Kupferschrott zu den international üblichen Marktpreisen zu kaufen gezwungen ist, dadurch einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden. Diesem Nachteil steht aber - gesamtwirtschaftlich betrachtet - nicht nur der Vorteil gegenüber, den umgekehrt österreichische Unternehmungen, die Kupferschrott exportieren, wie beispielsweise die beschwerdeführende Gesellschaft, durch höhere Exporterlöse genießen. Sondern die belangte Behörde konnte darüber hinaus auch nicht dartun, daß der mit der Bezahlung des international üblichen Kaufpreises für Kupferschrott für dessen österreichischen Abnehmer bewirkte wirtschaftliche Nachteil zu "schweren wirtschaftlichen Schäden" im Sinne des - verfassungskonform ausgelegten - § 8 Abs 1 Außenhandelsgesetz 1984 führen würde. Zwar mag es auf Grund dieser Bestimmung ausnahmsweise zulässig sein, ein bestimmtes inländisches Unternehmen aus gesamtwirtschaftlichen Gründen, sohin im Allgemeininteresse zu Lasten anderer wirtschaftlicher Unternehmungen vor "schweren wirtschaftlichen Schäden" zu bewahren (vgl. etwa den VfSlg. 10.275/1984 zugrundeliegenden Sachverhalt). Für den beschwerdegegenständlichen Sachverhalt hat die belangte Behörde aber nicht einmal den Versuch unternommen, ein derartiges gesamtwirtschaftliches Interesse auszumachen.

Da die belangte Behörde § 8 Abs 1 Außenhandelsgesetz 1984 in seiner verfassungskonformen, das Allgemeininteresse an der Abwendung schwerer wirtschaftlicher Schäden berücksichtigenden Bedeutung verkannt hat und dieser Gesetzesbestimmung einen Inhalt beigemessen hat, der es mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Eigentums unvereinbar erscheinen läßt, hat sie die beschwerdeführende Gesellschaft in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.

2. Mit der Verweigerung einer Ausfuhrbewilligung wird der beschwerdeführenden Gesellschaft der Erwerbszwecken dienende Export von Kupferdrahtabfällen verwehrt. Der angefochtene Bescheid greift sohin auch in den Schutzbereich des Grundrechts der Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art 6 StGG ein und verletzt dieses mit Rücksicht auf die dargestellte verfassungswidrige Auslegung des angewendeten Gesetzes (vgl. VfSlg. 10.413/1985, 10.386/1985). Der Bescheid war daher auch aus diesem Grunde aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 4.500,- auf die Umsatzsteuer.