OGH vom 31.01.2013, 12Os119/12k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pausa als Schriftführerin in der Strafsache gegen Edith K***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 16 Hv 76/11s 18, nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Angeklagte Edith K***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 und 148 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie im Zeitraum vom bis (zumindest) in G***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in 69 Angriffen Bedienstete des Magistrats Graz Sozialamt bei Beantragung von Leistungen der Sozialhilfe durch das Verschweigen einer Lebensgemeinschaft zu Horst M***** getäuscht und dadurch zur Auszahlung von Sozialhilfe in einer Gesamthöhe von 59.288,53 Euro verleitet, wodurch „Berechtigte des Magistrates Graz“ in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurden.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Angeklagten Edith K***** gegen dieses Urteil aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt zutreffend auf, dass das Bestehen einer Lebensgemeinschaft für sich den Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs nach § 4 Abs 1 Steiermärkisches Sozialhilfegesetz (nachfolgend kurz: StSHG) nicht ohne weiteres hindert. Denn dieser setzt (unter anderem) voraus, dass der Hilfsbedürftige den Lebensbedarf für sich und unterhaltsberechtigte Angehörige nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln und Kräften beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Eine gesetzliche Grundlage (Art 18 Abs 1 B VG) für die beim Magistrat der Stadt Graz geübte (rechtlich nicht maßgebliche) auch dem Ersturteil zu Grunde gelegte Praxis der generellen Anrechnung des Einkommens des Lebensgefährten auf die „eigenen Mittel“ des Hilfsbedürftigen lässt sich aus dem letzten Halbsatz dieser Bestimmung indes nicht ableiten. Ob bei einer Lebensgemeinschaft der Lebensbedarf des (vermeintlich) Hilfsbedürftigen ausreichend gesichert ist und solcherart ein Anspruch nach §§ 4 ff StSHG nicht besteht, hängt allein vom Vorliegen tatsächlicher, bedarfsmindernder Zuwendungen des Lebensgefährten ab. Wenngleich die Wirtschaftsgemeinschaft als Teil der Lebensgemeinschaft (vgl US 5) derartige Zuwendungen indiziert, sind diese dennoch im Einzelnen festzustellen (vgl ua AZ 98/03/0079, und AZ 2007/10/0043, je zum WSHG; AZ 97/08/0510, und AZ 2001/11/0075, je zum SSHG).
Fallbezogen wird der Angeklagten (der Sache nach) zur Last gelegt, über die in § 4 Abs 1 StSHG geregelte Ausnahme von der Gewährung der Sozialhilfe trotz fehlender eigener Mittel zur Sicherung des Lebensbedarfs, nämlich dessen Deckung durch den Lebensgefährten Horst M*****, getäuscht zu haben. Eine verlässliche Beurteilung der für diesen Ausnahmetatbestand entscheidenden Frage, ob und in welcher Höhe Horst M***** bedarfsmindernde Zuwendungen an die Angeklagte tatsächlich geleistet hat, ist aber auf Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen, die sich im Wesentlichen auf das Bestehen einer Lebensgemeinschaft und die (wie erwähnt nicht entscheidungsrelevante) „Verwaltungspraxis“ des Magistrats der Stadt Graz beschränken (US 4 bis 7), nicht möglich. Zur Annahme eines (zur Gänze) rechtsgrundlosen Sozialhilfebezugs zufolge der Täuschung über die ausreichende Sicherung des Lebensbedarfs der Angeklagten durch Horst M***** hätte es aber derartiger Feststellungen bedurft.
Aufgrund des dem Erstgericht somit unterlaufenen Rechtsfehlers mangels Feststellungen war das angefochtene Urteil in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde im gesamten Schuldspruch sowie demzufolge auch im Straf und Kostenausspruch und in der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche (RIS Justiz RS0100493, RS0101303; Ratz , WK StPO § 289 Rz 7) aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e erster Satz StPO).
Die Angeklagte war mit ihrem weiteren Beschwerdevorbringen ebenso auf diese Entscheidung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung.
Im fortgesetzten Verfahren wird zu beachten sein, dass der Angeklagten nach der Aktenlage richtsatzgemäße Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 8 StSHG) in Höhe von 53.752,99 Euro und spezifisch bedarfserhöhend Krankenhilfe (§ 10 StSHG) in Höhe von 6.994,56 Euro gewährt worden sind (vgl ON 15 S 3). Diese (bisher unterlassene) Differenzierung wird auch hinsichtlich (allfälliger) bedarfsmindernder Zuwendungen seitens Horst M***** vorzunehmen und bei der Berechnung der Vermögensschädigung zu berücksichtigen sein.
Fundstelle(n):
VAAAD-79499