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VfGH vom 29.09.2007, B1150/07

VfGH vom 29.09.2007, B1150/07

Sammlungsnummer

18224

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens durch die mit der Zurückweisung eines Asylantrags verbundene Ausweisung aufgrund nicht zu beanstandender Interessenabwägung; Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer geordneten Einreise und Befolgung der österreichischen Gesetze über die Behauptungen über familiäre Beziehungen bzw Beschäftigung im Inland

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der 1968 geborene Beschwerdeführer ist serbischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo. Dem vorliegenden Verfahren liegt folgender - sich aus dem Verwaltungsakt ergebender - Sachverhalt zu Grunde:

1. Am heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin Michaela S. Sein in der Folge über die österreichische Botschaft in Belgrad gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Ehe mit Michaela S. eine Scheinehe gewesen sei. Im Jahr 1996 wurde dem Beschwerdeführer schließlich eine Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Student" erteilt. Der Beschwerdeführer reiste daraufhin im September 1996 nach Österreich ein.

Nach seinen Angaben studierte der Beschwerdeführer bis zum Jahr 2000 an der Johannes Kepler Universität Linz, ohne allerdings das Studium abzuschließen. Einen am neuerlich gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Student" zog der Beschwerdeführer am zurück, nachdem er am die österreichische Staatsbürgerin Romana S. geheiratet hatte. Auf Grund dieser Ehe wurde dem Beschwerdeführer am eine Niederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" mit Gültigkeitsdauer bis erteilt.

Frau Romana S. gab gegenüber der Fremdenpolizei am an, dass es sich um eine Scheinehe handle, die geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer eine aufenthalts- und arbeitsrechtliche Bewilligung zu verschaffen. Für die Zustimmung zur Eheschließung habe sie einen Betrag von ATS 90.000,-- erhalten. Schließlich räumte der Beschwerdeführer selbst ein, dass es sich bei dieser Ehe um eine Scheinehe handle. Noch im Jahr 2002 wurde die Ehe wieder geschieden.

2. Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Linz gemäß § 48 Abs 1 iVm §§37 und 39 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75 idF BGBl. I 142/2001, gegen den Beschwerdeführer ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gab der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom keine Folge.

3. Am stellte der Beschwerdeführer einen (ersten) Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom abgewiesen wurde (Spruchpunkt I). Ferner wurde festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo, zulässig sei (Spruchpunkt II). Mit Spruchpunkt III wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die Berufung gegen diesen Bescheid wurde vom unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) am abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom ab.

4. Am selben Tag stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Einvernahme brachte er vor, sein Fluchtgrund habe sich nicht geändert. Bei seinen Einvernahmen am 17. und wiederholte er im Wesentlichen diese Darstellung. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am trotz anwaltlicher Vertretung die in der Beschwerde behauptete mehrjährige Beziehung zu seiner nunmehrigen Lebensgefährtin und deren Kindern aus erster Ehe, mit denen er im Übrigen nicht im gemeinsamen Haushalt wohnt, noch nicht erwähnt hatte, sondern erst im Rahmen der Einvernahme am .

Das BAA wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I) und wies den Beschwerdeführer neuerlich aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien, Provinz Kosovo, aus (Spruchpunkt II). Die dagegen erhobene Berufung wurde vom UBAS mit Bescheid vom abgewiesen.

II. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

1. Die Beschwerde trägt keine Argumente zur Frage der Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache vor. Auch im Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass der belangten Behörde hinsichtlich des Spruchpunktes I in die Verfassungssphäre reichende Fehler unterlaufen wären.

2. Hingegen wird in der Beschwerde ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletze:

Der Beschwerdeführer halte sich seit September 1996 ununterbrochen in Österreich auf und sei hier gut integriert. Er verfüge schon auf Grund seines Studiums an der Johannes Kepler Universität Linz über gute Deutschkenntnisse. Seine Schwester habe bereits die österreichische Staatsbürgerschaft erworben. Er wohne mit ihr im selben Haus. Auf Grund der österreichischen Staatsbürgerschaft der Schwester hätten die gemeinsamen Eltern eine Niederlassungsbewilligung als Angehörige erhalten. Er versorge die 1937 und 1938 geborenen Eltern, da sie auf Grund ihres relativ hohen Alters schon sehr gebrechlich und pflegebedürftig seien. Auch kümmere er sich um die Kinder der Schwester.

Er lebe seit vier Jahren mit seiner Lebensgefährtin, Nepa F., einer österreichischen Staatsbürgerin, zusammen, die drei Kinder aus erster Ehe habe, zu denen er eine entsprechende Nahebeziehung habe. Er beabsichtige, seine Lebensgefährtin demnächst zu heiraten. Seit 2001 arbeite er bei einem inländischen Unternehmen und sei dort als verlässlicher und fleißiger Mitarbeiter bekannt.

Aus all diesen Umständen ergebe sich, dass die von der Behörde verfügte Ausweisung gegen Art 8 EMRK verstoße.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erk. VfSlg. 17.340/2004 ausführte, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Diese Rechtsansicht entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR; vgl. die Urteile des EGMR , Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; , Fall Aristimuño Mendizabal, Appl. 51.431/99, newsletter 2006, 18 u.a.).

3. Der EGMR hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR , Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; , Fall Ghiban, Appl. 11.103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR , Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; , Fall Al-Nashif, Appl. 50.963/99, ÖJZ 2003, 344; , Fall X, Y und Z, Appl. 21.830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR , Fall Boultif, Appl. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR , Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; , Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; , Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch ; , 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR , Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; , Fall Useinov, Appl. 61.292/00) für maßgeblich erachtet.

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR , Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; , Fall Solomon, Appl. 44.328/98; , Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

4. Bei Abwägung der maßgebenden Kriterien zeigt sich, dass der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden kann, wenn sie auf Grund der Umstände des Falles in der Ausweisung keine Verletzung des Art 8 EMRK sah:

Der Beschwerdeführer ist erst im Erwachsenenalter (28 Jahre) nach Österreich eingereist. Bereits während seines Studienaufenthaltes, der im Übrigen zu keinem Studienabschluss führte, musste ihm klar gewesen sein, dass er auf der Grundlage seines auf Studienzwecke beschränkten Aufenthaltstitels nicht dauernd in Österreich würde verbleiben können. Seit der Verhängung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 2002 war sein Aufenthalt rechtswidrig oder er wurde durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Anträge ermöglicht. Der Beschwerdeführer schloss zwei Ehen bloß zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels und befolgte nicht das Aufenthaltsverbot. Wenn daher die belangte Behörde unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an einer geordneten Einreise und an der Befolgung österreichischer Gesetze höher wertet als seinen langjährigen tatsächlichen Aufenthalt im Inland, die (bloßen) Behauptungen über seine familiären Beziehungen und seine Beschäftigung im Inland, begeht sie keinen in die Verfassungssphäre reichenden Fehler. Art 8 EMRK ist somit durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in anderen - von ihm nicht geltend gemachten - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.