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OGH vom 08.10.2008, 9Ob19/08x

OGH vom 08.10.2008, 9Ob19/08x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj A***** D*****, geboren am , *****, Russische Föderation, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters Albert M*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Karlheinz de Cillia und Mag. Michael Kalmann, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 360/07v-U25, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 2 P 235/06a-U20, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden teilweise bestätigt, teilweise dahin abgeändert, dass sie insgesamt wie folgt zu lauten haben:

„1) Der Vater Albert M*****, geboren *****, Angestellter, *****, ist schuldig, seinem am geborenen Sohn A***** D***** zu Handen seiner Mutter Nadezhda D***** an Unterhalt

a) für die Zeit vom bis 15.093 EUR und

b) ab dem monatlich 550 EUR sowie

c) einen Sonderunterhalt von 6.202,69 EUR

spesenfrei zu zahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die in Zukunft fällig werdenden Unterhaltsbeträge am ersten eines jeden Monats im Vorhinein.

2) Das Mehrbegehren des Kindes und dessen Wertsicherungsbegehren werden abgewiesen."

Text

Begründung:

Der mj A***** ist russischer Staatsbürger und lebt in Moskau. Der Vater ist österreichischer Staatsbürger und lebt in Österreich. Er hat keine weiteren Sorgepflichten. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen betrug sein monatliches Nettoeinkommen (unter Abzug der halben Taggelder) im Jahr 2003 4.758,38 EUR, im Jahr 2004 4.434,05 EUR, im Jahr 2005 7.345,98 EUR, im Jahr 2006 9.313,20 EUR und im Jahr 2007 9.227,85 EUR. Der Vater hat bislang für den Minderjährigen noch keine Unterhaltsleistungen erbracht.

Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Unterhaltsfestsetzung nach russischem Recht zu erfolgen hat. Nach den Art 80 ff des Familiengesetzbuches der Russischen Föderation (in der Folge: FGB) hat das Gericht die Höhe des von einem Elternteil zu zahlenden Unterhaltsbeitrags grundsätzlich mit einem Viertel des Einkommens dieses Elternteils festzusetzen (Art 81 Abs 1 FGB). Nach Art 81 Abs 2 FGB kann die Höhe dieses Anteils vom Gericht unter Berücksichtigung der materiellen oder familiären Lage der Parteien und anderer berücksichtigenswerter Umstände herabgesetzt oder erhöht werden. Nach Art 83 FGB ist das Gericht berechtigt, ua dann, wenn der betreffende Elternteil einen Verdienst in ausländischer Währung bezieht, den Unterhalt in einem festen Geldbetrag festzusetzen. Dieser ist ausgehend von der höchstmöglichen Wahrung des früheren Versorgungsniveaus des Kindes unter Berücksichtigung der materiellen und familiären Lage der Parteien und anderer berücksichtigenswerter Umstände festzusetzen.

Die Mutter des Minderjährigen begehrte, den Vater zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands für die Zeit vom bis von 82.238,76 EUR, von laufenden monatlichen Unterhaltsbeträgen von 1.958,06 EUR ab und eines Sonderbedarfs von 6.202,69 EUR (Rechtsanwaltskosten, Übersetzungsgebühren) zu verpflichten.

Das Erstgericht gab diesem Antrag teilweise statt und verpflichtete den Vater für die Zeit vom bis zum zur Zahlung von 66.848,29 EUR, zu laufenden monatlichen Unterhaltsbeträgen von 1.958,06 EUR ab und zur Zahlung des begehrten Unterhaltssonderbedarfs von 6.202,69 EUR. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren (Unterhaltsrückstand von weiteren 9.197,78 EUR) wies es ab. Es berief sich auf die Art 81 ff FGB und errechnete die vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeträge jeweils mit 25 % seines im entsprechenden Zeitraum erzielten anrechenbaren Einkommens.

Das nur vom Vater angerufene Rekursgericht änderte diesen Beschluss ab und verpflichtete den Vater für die Zeit vom bis zur Zahlung von 34.117 EUR und für die Zeit ab zu monatlichen Unterhaltsbeträgen von 1.100 EUR. Der Zuspruch des beantragten Sonderbedarfs wurde vom Rekursgericht bestätigt.

Das Rekursgericht berief sich ebenfalls auf die Art 81 ff FGB und ging davon aus, dass sich die Unterhaltsfestsetzung mangels eines früheren Versorgungsniveaus des Minderjährigen an der materiellen und familiären Lage der Parteien und den konkret gegebenen berücksichtigungswerten Umständen zu orientieren habe. Der Vater beziehe ein weit überdurchschnittliches Einkommen. Sein Sohn sei berechtigt, an diesem Wohlstand teilzuhaben. Er brauche sich nicht auf den durchschnittlichen Lebensbedarf eines gleichaltrigen Kindes in Moskau beschränken lassen. Allerdings würde die Bemessung des Unterhalts mit einem Viertel des väterlichen Einkommens zu einer beträchtlichen Überalimentierung führen, die vom russischen Unterhaltsrecht nicht beabsichtigt und auch nicht dem Wohl des Kindes förderlich sei. Der Minderjährige solle durch den vom Vater zu leistenden Unterhalt in die Lage versetzt werden, in besonders guten, gehobenen Lebensumständen zu leben (zB Besuch eines speziellen, eventuell fremdsprachigen Kindergartens, einer Privatschule, Wohnung in guter Lage etc). Das sei aber mit Unterhaltsbeträgen erreichbar, die deutlich unter dem vom Gesetz genannten Viertel des väterlichen Einkommens liegen. Das Rekursgericht erachte daher für 2003 und 2004 monatliche Unterhaltsbeträge von 700 EUR, für 2005 solche von 900 EUR und für die Zeit ab 2006 wegen des deutlich gestiegenen Einkommens Unterhaltsbeträge von 1.100 EUR als angemessen.

Den erstgerichtlichen Zuspruch des begehrten Sonderbedarfs habe der Vater in seinem Rekurs trotz einer entsprechenden Anfechtungserklärung inhaltlich nicht bekämpft. Insofern sei das Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt. Abgesehen davon halte das Rekursgericht diesen Zuspruch für zutreffend, weil der Vater durch seine Haltung vor und während des Verfahrens die Beiziehung eines Rechtsanwalts unvermeidbar gemacht habe.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil zur Anwendung der Art 80 ff FGB, die angesichts der steigenden Mobilität der Bevölkerung in Zukunft auch in Österreich steigende Bedeutung erlangen könnten, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, ihn im Sinne der Herabsetzung des ab vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrags auf 300 EUR und des Unterhaltsrückstands für die Zeit vom bis auf 11.400 EUR abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Minderjährige beantragte, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof - obzwar er die Auslegung des russischen Rechts durch das Rekursgericht billigt - gegen die Ausmessung des Unterhaltsbeitrags im konkreten Fall erhebliche Bedenken hat. Der Revisionsrekurs ist teilweise auch berechtigt.

Die Auslegung der Art 81 ff des FGB durch das Rekursgericht wird im Revisionsrekurs im Wesentlichen nicht bestritten. Dass - wie im Revisionsrekurs geltend gemacht wird - das russische Recht für die Berechnung des Unterhalts keinen fixen Prozentsatz des Einkommens des Unterhaltsschuldners bindend vorschreibt, sondern - wenn auch ausgehend vom grundsätzlich als Maßstab angeordneten Viertel des Einkommens - die Berücksichtigung der familiären Lage und anderer berücksichtigenswerter Umstände (und damit auch des Bedarfs des Kindes) vorsieht, hat das Rekursgericht ohnedies erkannt. Unter Hinweis auf diese Auslegung hat es ja auch mit den von ihm ausgemessenen Unterhaltsbeträgen den in Art 81 Abs 1 FGB normierten Prozentsatz unterschritten.

Den Ausführungen in der Revisionsrekursbeantwortung ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Ob - wie darin unter Hinweis auf ein Schreiben eines russischen Rechtsanwalts ausgeführt wird - ein hohes väterliches Einkommen kein Grund ist, den Unterhaltsbeitrag unter dem gesetzlichen Richtwert festzusetzen, braucht nicht näher erörtert zu werden (s aber die gegenteiligen Ausführungen in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Russische Föderation, 32m). Unstrittig ist jedenfalls, dass zu den nach russischem Recht zu berücksichtigenden Umständen auch der Bedarf des Kindes zählt und dass daher die Unterhaltsfestsetzung nicht völlig unabhängig von den Bedürfnissen des Kindes erfolgen kann.

Diese Rechtslage deckt sich daher weitestgehend mit der gesicherten österreichischen Rechtsprechung zum sogenannten „Mischunterhalt". Nach dieser Rechtsprechung müssen Unterhaltsbeiträge, die im Ausland lebenden Kindern zufließen, einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft in ihrem Heimatland stehen. Andererseits sollen aber die unterhaltsberechtigten Kinder am Lebensstandard des in Österreich lebenden Verpflichteten teilnehmen. Demnach ist in solchen Fällen ein „Mischunterhalt" zuzusprechen, der sich einerseits nach dem Bedarf des Unterhaltsberechtigten im Ausland, andererseits aber auch nach dem Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen in Österreich richtet und das Kind so an den (besseren) Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilhaben lässt (RIS-Justiz RS0111899; zuletzt etwa 7 Ob 118/07i; 1 Ob 112/04h).

Das Rekursgericht hat diese Rechtslage grundsätzlich richtig erkannt und daraus den richtigen Schluss gezogen, dass angesichts der notorisch niedrigeren Lebenshaltungskosten in Russland der Unterhaltsbeitrag deutlich unter dem in Art 81 FGB normierten Richtwert von einem Viertel des väterlichen Einkommens festzusetzen ist. Beizupflichten ist dem Rekursgericht andererseits auch darin, dass die vom Revisionsrekurswerber angestrebte, an durchschnittlichen russischen Einkommensverhältnissen orientierte Festsetzung des Unterhaltsbetrags mit etwa 15 % des im FGB normierten Richtwerts nicht in Betracht kommt, weil damit der Minderjährige nicht mehr in ausreichendem Maße an den gehobenen Lebensverhältnissen des Vaters teilhaben würde. Ausgaben, wie sie das Rekursgericht zu Recht hervorhebt (spezieller [allenfalls fremdsprachiger] Kindergarten, Privatschule, gehobenes Wohnen) wären mit diesem Betrag auch in Russland nicht zu finanzieren. Auf die von ihm in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (FamRZ 2002, 66) kann sich der Revisionswerber schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil sie zum deutschen und nicht zum russischen Unterhaltsrecht ergangen ist.

Allerdings erachtet auch der Oberste Gerichtshof den vom Rekursgericht ausgemessenen Unterhaltsbetrag aus folgenden Gründen als deutlich überhöht.

Die österreichische Rechtsprechung begrenzt bei überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen den von diesem zu leistenden Unterhaltsbeitrag zur Vermeidung einer dem Kindeswohl nicht förderlichen Überalimentierung mit der sogenannten „Luxusgrenze", die im Allgemeinen mit etwa dem 2,5-fachen des Regelbedarfs bemessen wird (RIS-Justiz RS0117017 3 Ob 95/08d; 6 Ob 117/06g). Angesichts des Umstands, dass die Lebenshaltungskosten in Österreich notorisch höher sind als in Russland, können daher auch die vom Rekursgericht hervorgehobenen Überlegungen und der Umstand, dass der Minderjährige an den gehobenen Lebensverhältnissen des Vaters teilhaben soll, einen diese „Luxusgrenze" übersteigenden Unterhaltsbeitrag nicht rechtfertigen, zumal ein derart hoher Unterhaltsbeitrag auf eine vom Bedarf des in Russland lebenden Kindes völlig abgekoppelte und für sein Wohl nicht mehr wünschenswerte Überalimentierung hinauslaufen würde.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist daher der monatliche Unterhaltsbetrag für den mj A***** für die Zeit vom bis Ende 2005 mit 400 EUR monatlich und für 2006 mit 410 EUR monatlich festzusetzen. Damit ergibt sich für die Zeit vom bis zum ein Unterhaltsrückstand von 15.093 EUR.

Der laufende Unterhaltsbetrag ab ist demnach mit 550 EUR monatlich auszumessen.

In teilweiser Stattgebung des Revisionsrekurses war der angefochtene Beschluss in diesem Sinne abzuändern.

Gegen den Zuspruch des begehrten Sonderbedarfs hat der Vater in zweiter Instanz inhaltlich keine Einwände erhoben. Die insoweit unterlassene Rechtsrüge kann er in seinem Rechtsmittel nicht mehr nachtragen.