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VfGH vom 08.06.1999, B1148/98

VfGH vom 08.06.1999, B1148/98

Sammlungsnummer

15496

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Versagung der Anerkennung gewinnmindernder Verluste aufgrund Einstufung der Betätigung als "Liebhaberei"; keine Bedenken gegen die Zusammensetzung der Berufungssenate

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in einem sonstigen Recht verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen Bescheid des Berufungssenates der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland wurde eine Berufung gegen Bescheide betreffend Einkommensteuer 1987 bis 1989, die Verluste des Beschwerdeführers aus Vermietung und Verpachtung eines 1975 angekauften Alpengasthofs als Appartementhaus nicht anerkennen, weil es nach der bis dahin vorgelegenen Wirtschaftsführung zu keinem Gewinn kommen könne und die Betätigung daher als "Liebhaberei" einzustufen sei, als unbegründet abgewiesen.

Die dagegen erhobene Beschwerde rügt die Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und Entscheidung durch ein unabhängiges Tribunal (Gericht) sowie die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, Unversehrtheit des Eigentums und Freiheit der Erwerbsbetätigung.

Diesen Vorwürfen tritt die belangte Behörde entgegen. II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Unter dem Titel der Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erhebt die Beschwerde zunächst allgemeine Vorwürfe gegen die Einrichtung der Berufungssenate und die Gestaltung des Abgabenverfahrens.

a) Vorweg nimmt die Beschwerde (unter Hinweis auf Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht8, Rz 704) Anstoß daran, daß Mitglieder der Berufungssenate nach der Bundesabgabenordnung von den gesetzlichen Berufsvertretungen entsendet werden. Die Zahl der Berufungssenate und die Zahl ihrer Mitglieder sei ferner nicht gesetzlich vorherbestimmt, die Zusammensetzung der Berufungssenate und deren Geschäftsverteilung werde vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion bestimmt, der zugleich Vorsitzender des Berufungssenates sei, weshalb der Steuerpflichtige nicht absehen könne, wie sich der konkrete Berufungssenat zusammensetze, und der vom obersten Organ der Finanzverwaltung ernannte Präsident auch einen um so größeren Spielraum in der Zusammensetzung der Berufungssenate habe, je größer die Zahl der zur Verfügung stehenden Senatsmitglieder sei (Hinweis auf Lang, Berufungssenate gesetzwidrig zusammengesetzt?, SWK 1998, 42 ff.). Bedenke man,

"daß im Abgabenverfahren einander zwei Parteien gegenüberstehen, nämlich der Steuerzahler und die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzverwaltung, dann kann ein derart maßgeblicher Einfluß von Organen der Finanzverwaltung auf die Zusammensetzung des konkreten Berufungssenats fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprechen. Mißliebige Personen aus der Liste 1 können ausgeschaltet werden und damit das Entsendungsrecht gegenstandslos machen. Mißliebige Personen aus Liste 2 können von dieser gestrichen und nicht wiederbestellt werden. Für den Steuerzahler ist die Zusammensetzung des Berufungssenats unabsehbar. Sie wird ihm erst in der Berufungsverhandlung bekanntgegeben, wodurch auch sein Recht auf Ablehnung von Senatsmitgliedern praktisch ausgehöhlt wird."

Dazu komme das Recht des Präsidenten der Finanzlandesdirektion, gegen die Entscheidung des Berufungssenates seinerseits Berufung an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben (selbst wenn er im Senat den Vorsitz geführt habe), was wiederum dem Bundesminister die Möglichkeit der Klaglosstellung (des Präsidenten) eröffne. Das Ergebnis sei

"ein Rechtszug, der keinem gesetzlich geordneten zweiseitigen Verfahren unterliegt und geeignet ist, die programmatische Weisungsfreiheit der Mitglieder der Berufungssenate (§271 Abs 1 BAO) zu problematisieren."

Schließlich sei der Bundesminister für Finanzen berechtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechts Berufungsentscheidungen (aus den in § 299 Abs 1, 2 und 4 BAO genannten Gründen) aufzuheben. Das sei aber

"mit dem rechtsstaatlichen Prinzip und einem Tribunal- oder Gerichtscharakter des Entscheidungsorgans nicht vereinbar (Art6 Abs 1 EMRK und Art 177 EV).

Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs zum rechtsstaatlichen Prinzip gipfelt darin,

'daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen werden ... (und) ... die hier unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen ...'

(VerfGH vom , G295/92, G99-101/93, G102/93)."

Diese Gebote seien durch die dargestellten Besonderheiten der Zusammensetzung der Berufungssenate und den faktisch einseitigen Rechtszug an das Bundesministerium für Finanzen nicht erfüllt.

b) Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Die Bedenken gegen die Entsendung von Mitgliedern der Berufungssenate durch die gesetzlichen Berufsvertretungen (§263 Abs 2 BAO) gründen sich - wie das Zitat erweist - einerseits darauf, daß das B-VG im Bereich der Verwaltung keine "entsendeten" Organwalter kenne (Art20 spricht nur von "gewählten" oder "ernannten" Organen), und andererseits auf die Ernennungsprärogative des Bundespräsidenten (Art65 Abs 2 lita B-VG). Wie sich indes aus seiner (in der Literatur auch ausgewiesenen) Rechtsprechung ergibt, teilt der Verfassungsgerichtshof diese Bedenken nicht: Art 20 B-VG schließt die gesetzliche Betrauung seitens einer gesetzlichen Berufsvertretung entsendeter Personen mit Verwaltungsaufgaben ebensowenig aus wie die Betrauung solcher Körperschaften mit Verwaltungsaufgaben oder die Verwaltungsführung durch vertraglich verpflichtete Dienstnehmer (vgl. VfSlg. 5985/1969, 6061/1969 und 8136/1977 sowie Art 21 Abs 2 B-VG - nunmehr Art 21 Abs 1 B-VG).

Auch die Möglichkeit der Einflußnahme von Verwaltungsorganen auf die Zusammensetzung der Berufungssenate hält der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für verfassungsrechtlich unbedenklich. In VfSlg. 3752/1960 hat er (zu den im wesentlichen gleichartigen Berufungskommissionen und - senaten nach dem Abgabenrechtsmittelgesetz) betont, daß der Grundsatz des Art 87 Abs 3 B-VG, demzufolge die Geschäfte unter die Richter eines Gerichts für eine bestimmte Zeit im voraus zu verteilen sind, ins Abgabenverfahren nicht übernommen wurde. Das gilt auch weiterhin und ungeachtet der inzwischen verfügten Weisungsfreiheit der Mitglieder dieser Senate, die vielmehr ihrerseits im Hinblick auf das Prinzip der Verantwortlichkeit der obersten Organe der Vollziehung einer Verfassungsbestimmung bedarf (§271 Abs 1 BAO).

Es ist keine Verfassungsbestimmung ersichtlich, die im Bereich der Verwaltung allgemein ähnliches verlangen würde wie Art 87 Abs 3 B-VG im Bereich der Gerichtsbarkeit. Art 6 EMRK, aus dem derartiges abzuleiten wäre, findet auf die Abgabeneinhebung keine Anwendung. Soweit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf die zuständige staatliche Behörde als solche bezogen ist, garantiert es nicht bestimmte Organwalter, sondern das Verfahren vor eben dieser Behörde. Daß die Zuständigkeit der Berufungssenate selbst nicht hinreichend deutlich sei, behauptet die Beschwerde nicht und kann auch der Gerichtshof nicht finden, für ihre jeweilige Zusammensetzung gilt - soweit nicht besondere Vorschriften bestehen - dasselbe wie für die Bestimmung der Organwalter sonst.

Auch der Einrichtung der Präsidentenbeschwerde steht die Bundesverfassung nicht entgegen.

Den ins Treffen geführten rechtsstaatlichen Anforderungen tut, was die erforderliche Unabhängigkeit der entscheidenden Organe betrifft, gewiß erst die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts Genüge (so im Ergebnis auch Lang, aaO). Ihr ist aber die Tätigkeit der Berufungssenate ohnedies voll unterworfen.

2. Soweit die Beschwerde Mängel im Ablauf des konkreten Verfahrens (nur unzureichende Vorbereitungsfrist zwischen Ladung und Verhandlung, mangelnde Aktenkenntnis der Beisitzer und fehlender Anschlag der Zusammensetzung des Berufungssenates an einer Amtstafel) oder in der Begründung des angefochtenen Bescheides (insbesondere wegen Übernahme von Feststellungen aus der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung seines Falles durch ein nicht zur einkommensteuerlichen Beurteilung zuständiges Finanzamt sowie fehlende Erörterung der Zuordnung zur Vermietung und Verpachtung) rügt, verkennt sie den Inhalt des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter: Der zuständigen Behörde unterlaufene Verfahrensmängel berühren dieses Recht nicht.

Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß die gerügten Fehler ein anderes verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzen, insbesondere etwa der Übung von Willkür gleichkämen.

3. Was die Beschwerde zum Gleichheitsrecht, zum Eigentumsrecht und zur Erwerbsfreiheit vorbringt, geht an der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs vorbei, wo-nach eine erwerbswirtschaftliche Betätigung im Sinne des § 2 EStG ohne die Möglichkeit der Erwirtschaftung eines Ertrages nicht denkbar ist, die Ertragsfähigkeit der Betätigung daher im Begriff der Einkünfte als eines abgabenrechtlichen Tatbestandes auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit negativer Ergebnisse mitgedacht ist (VfSlg. 7107/1973, 12943/1991 und 14071/1995). Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die Abgrenzung der Einkunftsquellen von bloßen sogenannten "Liebhabereien" häufig nicht ohne Einschätzung und Beurteilung künftiger Entwicklungen und Bewertungen der sich daraus ergebenden Aussichten möglich ist und daß bei Fehlen ausreichender Erfahrungen die Vorhersagen eine längere Beobachtung des tatsächlichen Geschehens erfordern, wobei es dann aber absehbar sein muß, wann ein Gesamtüberschuß der Einnahmen über die Werbungskosten entstehen wird (VfSlg. 14071/1995). Vor diesem Hintergrund läßt die Entscheidung der belangten Behörde keinen in die Verfassungssphäre reichenden Mangel erkennen. Ob sie den Sachverhalt zutreffend ermittelt und richtig beurteilt hat, ist nicht vom Verfassungsgerichtshof zu prüfen.

Die Beschwerde ist daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 Z 2 VerfGG).