OGH vom 12.12.2013, 12Os118/13i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sebastian S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Jugendschöffengericht vom , GZ 29 Hv 6/13a 20, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sebastian S***** der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (I./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (III./) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (IV./) sowie des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (V./) schuldig erkannt.
Danach hat er zusammengefasst und nur soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz wiedergegeben in B***** und andernorts
I./ zwischen 27. Jänner und fortgesetzt Gewalt gegenüber Jana D***** ausgeübt, indem er in zahlreichen im Spruch teils genauer bezeichneten Angriffen auf sie einschlug und -trat, sie stieß und würgte sowie sie bedrohte;
II./ ...
III./ im September 2012 Jana D***** gefährlich mit dem Tode bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er telefonisch mitteilte, dass er eine Waffe zu Hause und schon einen Probeschuss abgegeben habe, die nächste Kugel in ihren Kopf gehe und er Frauen bezahlt habe, die sie krankenhausreif schlagen würden;
IV./ ...
V./ am durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben und durch Entziehung der persönlichen Freiheit Jana D***** zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem „er die Zimmertür versperrte, nachdem er ihr zuvor das Mobiltelefon weggenommen hatte (Schuldspruchpunkt II./) und zu ihr äußerte, dass sie nun da bleiben müsse, während er zu seinem Vater gehe und diesem von ihrem skrupellosen Verhalten erzählen werde und sie dann nicht mehr lebend aus dem Haus komme, wenn sie nicht sofort mit ihm Sex habe; wenn sie das nicht mache, 'ficke er ihr Leben' und ruiniere ihren Ruf in K*****, ihr nächster Freund werde sowieso tot sein und könne sich schon sein eigenes Grab schaufeln, wodurch sie keine Möglichkeit mehr sah, das Zimmer zu verlassen und zuließ, dass er sich auf sie legte und mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang“.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Schuldspruchpunkte I./ und V./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie schlägt fehl.
Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (RIS Justiz RS0099810; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 581, 584).
Insoweit der Beschwerdeführer daher im Rahmen der zu Schuldspruch I./ ausgeführten Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach auch Z 10) unter Bezugnahme auf nur eine Urteilspassage die weiteren (wenn auch dislozierten) Feststellungen, dass der Angeklagte die Beeinträchtigung der Lebensführung des Opfers, die sich in einem erheblichen, mit seinem aggressiven Verhalten in Zusammenhang stehenden schulischen Leistungseinbruch manifestierte, voraussehen konnte und es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, Jana D***** längere Zeit hindurch zu beeinträchtigen (US 7, 10 und 14), übergeht, verfehlt er eine den gesamten Anfechtungskriterien entsprechende Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde. Überdies legt er nicht dar (RIS-Justiz RS0116565), aus welchem Grund das Vergehen nach § 107b Abs 1 StGB einen über die Eignung der Beeinträchtigung hinausgehenden Erfolg voraussetzen würde ( Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 8; Kienapfel/Schroll StudB BT I³ § 107b Rz 3; Winkler, SbgK § 107b Rz 21 und RZ 108 ff).
Auch die zu V./ erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) orientiert sich nicht an den oben genannten Voraussetzungen. Indem sie behauptet, Jana D***** hätte die versperrte Tür wieder öffnen und sich bei den im Haus anwesenden Eltern des Angeklagten durch Rufe bemerkbar machen können, ergänzt sie den festgestellten Sachverhalt und übergeht die Konstatierung, wonach sie nicht um Hilfe schreien wollte, weil sie fürchtete, es würde für sie noch schlimmer werden (US 8). Aus welchem Grund die Äußerung, Sex wäre die einzige Möglichkeit, das Haus lebend zu verlassen, keine Drohung mit konkreter Gefahr für Leib oder Leben darstelle, legt die Beschwerde nicht dar.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten die trotz Antrags auf gänzliche Aufhebung des Urteils kein Sachvorbringen zu den Schuldsprüchen II./ bis IV./ enthält (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Bleibt anzumerken, dass gemäß § 107b Abs 2 StGB Gewalt im Sinn des § 107b Abs 1 StGB ausübt, wer eine andere Person am Körper misshandelt (erster Fall) oder vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 und 110 StGB begeht (zweiter Fall). Mangels darüber hinausgehender Einschränkungen zählt somit auch § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB zu diesen Anknüpfungsdelikten (14 Os 88/13t).
Anknüpfungsdelikte, die nicht von der Subsidiaritätsklausel des § 107b Abs 5 StGB umfasst sind, werden ihrerseits grundsätzlich vom jeweiligen Tatbestand des § 107b StGB verdrängt (Spezialität), es sei denn, der Täter setzt neben den von § 107b StGB umfassten weitere Taten, die zwar einem der in § 107b Abs 2 zweiter Fall StGB bezeichneten Anknüpfungstatbestände zu unterstellen sind, handelt dabei aber nicht mit dem § 107b Abs 1 StGB entsprechenden Vorsatz, längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt auszuüben. Nur diesfalls konkurriert der jeweils verwirklichte Tatbestand echt mit § 107b StGB (vgl dazu ausführlich 13 Os 71/12h, 72/12f mit Hinweisen auf die Lehre; 14 Os 88/13t).
Vorliegend hat der Angeklagte nach den wesentlichen Urteilsannahmen im Tatzeitraum nicht nur durch wiederholt erfolgte körperliche Misshandlungen (§ 107b Abs 2 erster Fall StGB), sondern auch durch gefährliche Drohung fortgesetzt Gewalt gegen das Tatopfer ausgeübt, wobei die Feststellungen zur subjektiven Tatseite deutlich genug zum Ausdruck bringen, dass der Vorsatz auch bei Schuldspruch III./ insoweit auf fortgesetzte Tatbegehung über einen mehr als einjährigen Zeitraum gerichtet war.
Zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der demnach verfehlten rechtlichen Beurteilung der zum Schuldspruch III./ genannten Tag als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107b Abs 1 und Abs 2 StGB (statt einer Verurteilung nach § 107b StGB) bestand keine Veranlassung, weil unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 22 ff).
Zwar wurde rechtsirrig das Zusammentreffen eines Verbrechens mit vier Vergehen erschwerend gewertet (US 17), die Erfüllung mehrerer Alternativen (vgl § 107b Abs 2 erster und zweiter Fall StGB) des alternativen Mischtatbestands ( Winkler , SbgK § 107b Rz 14; Fabrizy , StGB 11 § 107b Rz 5) jedoch nicht aggravierend in Anschlag gebracht, weshalb fallbezogen auch unter dem Blickwinkel der Strafbemessung (Z 11 zweiter Fall) kein Nachteil vorliegt (14 Os 102/00; 13 Os 62/10g; Ratz , WK StPO § 281 Rz 711; vgl Ebner in WK² StGB § 33 Rz 2). Nach Maßgabe dieser Klarstellung entfällt eine Bindung des Oberlandesgerichts an die fehlerhafte Subsumtion des Erstgerichts im Berufungsverfahren (RIS Justiz RS0118870).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Fundstelle(n):
XAAAD-79335