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OGH vom 22.11.2000, 9Ob189/00k

OGH vom 22.11.2000, 9Ob189/00k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****bank ***** vertreten durch Dr. Reinhard Zimmermann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** P*****, vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Dr. Peter P*****, Rechtsanwalt, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Bernard B*****, wegen Anfechtung eines Mietvertrages gemäß § 458 ZPO (Streitwert S 300.000) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 149/99w-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 8 Cg 23/99g-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit ihrer Klage vom begehrt die Klägerin, die beklagten Parteien für schuldig zu erklären, die zwischen der erstbeklagten Partei als Bestandnehmer und der zweitbeklagten Partei als Bestandgeber bezüglich der Liegenschaft EZ *****, Grundbuch ***** mit Mietvertrag vom begründeten Bestandverhältnisse hinsichtlich der top Nr. 11, 12 und 13 sowie der Hoffläche binnen 14 Tagen zu beenden und den Erstbeklagten gegenüber der klagenden Partei für schuldig zu erkennen, die Bestandräumlichkeiten zu räumen. Die Klägerin brachte vor, dass ob den 183/808-Anteilen des nunmehrigen Gemeinschuldners an der EZ ***** Grundbuch ***** ein Pfandrecht zu Gunsten der Klägerin im Höchstbetrag von S 2,340.000 einverleibt sei. Die Kreditforderung gegenüber dem Gemeinschuldner hafte mit S 2,053.989,05 aus, weiters hafte dieser auch für Forderungen gegenüber der B***** & Co GmbH in Höhe von S 14,873.754,72. Die einzige Chance, einen größeren Betrag vom Kreditnehmer zu erhalten, liege in der Verwertung des Pfandrechtes. Den Anteilen des Gemeinschuldners sei das ausschließliche Nutzungsrecht an den im Hofgebäude gelegenen Räumlichkeiten top 11, 12 und 13 zugeordnet. Nunmehr sei der Klägerin bekannt geworden, dass der Gemeinschuldner am mit dem Erstbeklagten einen Mietvertrag über diese Räumlichkeiten abgeschlossen habe. Die Nutzfläche der unter die Ausstattungskategorien A fallenden Mietobjekte betrage 222,83 m2. Hiefür sei ein Nettohauptmietzins von 70 S pro Quadratmeter erzielbar, woraus ein theoretischer Hauptmietzins von S 15.600 monatlich resultiere. Tatsächlich zahle der Erstbeklagte einschließlich Betriebskosten und Umsatzsteuer monatlich nur S 6.892. Dieser Betrag gliedere sich "wahrscheinlich" in einen Hauptmietzins von netto S 1.866, Betriebskosten von S 4.400 und Umsatzsteuer von S

626. Der Erstbeklagte zahle daher einen Hauptmietzinsbetrag von lediglich rund 12 % des Betrages, welcher einer ordentlichen Wirtschaftsführung entsprechen würde. Überdies sei dem Erstbeklagten ein Weitergabe- und Untervermietrecht eingeräumt und die Hoffläche im Umfang von 60 m2 sei unentgeltlich mitvermietet worden. Der verlangte Mietzins sei so unangemessen niedrig, dass der Wert des Pfandrechtes der Klägerin dadurch um geschätzte 88 % reduziert werde, was zu einer gravierenden Verschlechterung der Pfandsache führe. Die Parteien des Bestandvertrages hätten erkennen müssen, dass durch diesen unangemessen niedrigen Mietzins der Wert der Pfandsache verringert werde und somit die Klägerin geschädigt werde. Der Erstbeklagte sei verpflichtet gewesen, Einsicht ins Grundbuch zu nehmen; dabei hätte er erkennen können, dass das Pfandrecht der Klägerin bereits seit 1993 einverleibt sei. Die Fahrlässigkeit des Erstbeklagten bestehe darin, dass er den Mietvertrag zu erkennbar unrealistischen, weil ungewöhnlich günstigen Bedingungen abgeschlossen habe. Auch die vom Erstbeklagten behauptete Ablösezahlung in Höhe von S 500.000 deute darauf hin, dass dem Erstbeklagten bewusst gewesen sei, einen Mietvertrag zu Bedingungen abzuschließen, welche nicht den Regeln der ordentlichen Wirtschaftsführung entsprechen.

Während sich der zweitbeklagte Masseverwalter nicht am Verfahren beteiligte, beantragte die erstbeklagte Partei die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei unrichtig, dass auf Grund der Größe, Art, Beschaffenheit, Lage und Ausstattung sowie des Erhaltungszustandes des streitgegenständlichen Bestandobjektes ein Nettohauptmietzins von S 70 pro Quadratmeter erzielbar sei. Die vom Erstbeklagten erbrachte Gegenleistung sei auch deshalb nicht unangemessen niedrig, weil er anlässlich der Anmietung einen als "Investitionsablöse" deklarierten Betrag von S 450.000 an den Vermieter zahlen habe müssen. Dem sei aber keine gleichwertige Gegenleistung des Vermieters gegenübergestanden. Darüber hinaus habe der Erstbeklagte zur Brauchbarmachung des Objektes Investitionen von rund S 800.000 aufwenden müssen. Er sei vom späteren Gemeinschuldner über dessen Vermögenslage, insbesondere eine Verpfändung der Liegenschaft, weder aufgeklärt worden, noch hätte der Abschluss eines Mietvertrages mit angemessenem Mietzins eine besondere Nachforschungspflicht des Erstbeklagten begründet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass derjenige, welcher Rechte vom Eigentümer selbst ableite, im Allgemeinen keine Veranlassung zur Grundbuchseinsicht habe. Nehme daher ein Dritter ein gepfändetes Objekt in Bestand, habe er eine Pfandwertminderung nur bei Verschulden zu beseitigen. Der gutgläubige Mieter sei hingegen nicht verhalten, einen für den Pfandgläubiger nachteiligen Mietvertrag aufzulösen. Selbst bei Kenntnis der Verpfändung habe ein Bestandnehmer im Allgemeinen nicht die Verpflichtung, Überlegungen darüber anzustellen, ob die Liegenschaft durch den Bestandvertrag in ihrem Wert vermindert werde. Schon nach dem Vorbringen der Klägerin sei weder ersichtlich, dass der Erstbeklagte Kenntnis vom Pfandrecht der Klägerin gehabt habe, noch, dass er verpflichtet gewesen wäre, in das Grundbuch Einsicht zu nehmen. Hinweise auf ein arglistiges Verhalten des Erstbeklagten gingen aus dem Vorbringen der Klägerin noch weniger hervor.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass es wohl in Lehre und Rechtsprechung nicht strittig sei, dass dem Pfandgläubiger bei Pfandverschlechterung im Sinne des § 458 ABGB sowohl gegen den Pfandgeber als auch gegen Dritte ein Anspruch auf Unterlassung der schädigenden Handlung zustehe, dass dieser Anspruch jedoch dann, wenn er gegen einen Dritten gerichtet sei, nach ständiger Rechtsprechung dessen Verschulden voraussetze. Der Dritte habe die Pfandwertminderung für den Fall seines Verschuldens zu beseitigen. Derjenige, der Rechte vom Eigentümer selbst ableite, habe im Allgemeinen keine Veranlassung zur Grundbuchseinsicht (Petrasch in Rummel2 Rz 6 zu § 458 mwN). Der gegen den Pfandschuldner als unmittelbaren Störer bestehende absolute Beseitigungsanspruch des Pfandgläubigers sei aber nicht einfach auf einen gutgläubigen Dritten auszudehnen, wenn dieser pfandwertmindernde Rechte durch den Eigentümer eingeräumt erhalte. Selbst bei Kenntnis der Verpfändung habe ein Bestandnehmer im Allgemeinen nicht die Verpflichtung, Überlegungen darüber anzustellen, ob die Liegenschaft durch einen Bestandvertrag in ihrem Wert vermindert wäre (MietSlg 41.015). Selbst wenn der nach den Behauptungen der Klägerin für den Erstbeklagten günstige Mietvertrag einen "Verstoß gegen die Regeln der ordentlichen Wirtschaftsführung" darstelle, so könne dies für den Erstbeklagten nur dann zutreffen, wenn dieser von der Verpfändung des Mietgegenstandes gewusst habe. Dies sei aber nicht einmal vorgebracht worden. Desgleichen liege kein Vorbringen in Richtung eines gewollten Zusammenwirkens des Erstbeklagten mit dem Vermieter vor. Die Vereinbarung eines "unangemessen niedrigen" Mietzinses allein lasse es noch nicht offensichtlich erscheinen, dass der Gemeinschuldner und der Erstbeklagte zur Schädigung der Klägerin zusammengespielt hätten. Es sei der Klägerin auch nicht dahin zu folgen, dass ein Mieter überprüfen müsse, ob der Vermieter Eigentümer des Mietgegenstandes sei. Das Berufungsgericht sprach überdies aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die erstbeklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben; der zweitbeklagte Masseverwalter beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die neue Rechtsprechung (8 Ob 254/99g vom ) noch nicht kennen konnte; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Die unrichtige Wiedergabe der Parteienbehauptungen bildet nämlich keine Aktenwidrigkeit (RIS-Justiz RS0007388, insbesondere 2 Ob 197/97b).

Der Anspruch des Pfandgläubigers auf Erhaltung der vertragsmäßigen Sicherheit richtet sich gegen Verschlechterungen der Pfandsache. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Erschwerung von Liegenschaftsexekutionen durch Vermietung (Hinteregger in Schwimann ABGB2 II Rz 5 zu § 458; 8 Ob 254/99g). Nach der Rechtsprechung setzt der Beseitigungsanspruch gegen den Mieter als Dritten Verschulden voraus, welches dann vorliegt, wenn ihm die Pfandwertminderung erkennbar ist. Die früheren Entscheidungen betreffen, soweit überblickbar, nur Fälle, in denen dem Dritten die Pfandbelastung der Bestandsache bekannt war (8 Ob 254/99g unter Zitat der Vorjudikatur). Wenngleich im vorliegenden Fall auch Vorsatz des Erstbeklagten behauptet wurde, wurden ausreichende Tatsachenbehauptungen lediglich für fahrlässiges Verhalten des Erstbeklagten aufgestellt. Es ist daher im vorliegenden Fall zu prüfen, ob für den Erstbeklagten - obwohl der Mieter im Allgemeinen keine Veranlassung zur Grundbuchseinsicht hat (Petrasch in Rummel ABGB I2 § 458 Rz 6; 8 Ob 254/99g) - im Hinblick auf die - möglicherweise - ungewöhnlichen Konditionen des gegenständlichen Mietvertrages doch eine derartige Verpflichtung, welche zur Kenntnisnahme der Verpfändung geführt hätte, zu bejahen ist. Hiezu wurde in der Entscheidung 8 Ob 254/99g weiter ausgeführt:

"Leitet man den Beseitigungsanspruch des Pfandgläubigers gegenüber dem Bestandnehmer mit Rummel (ÖBA 1987, 418), Petrasch (aaO), Karollus (ÖBA 1991, 164 ff, insbesondere 166) und Reidinger (WoBl 1990, 122 ff) aus dem Verbot der Beeinträchtigung oder Gefährdung absoluter Rechte ab, dann ist zunächst nach der Reichweite des dinglichen Rechtes und danach zu fragen, welche Beeinträchtigungen der Pfandgläubiger durch Vermietung auch im Verhältnis zum Pfandschuldner hinnehmen muss. War etwa das Pfandobjekt zum Zeitpunkt der Verpfändung bereits vermietet, wird durch eine Neuvermietung zu den üblichen Konditionen keine Pfandverschlechterung bewirkt (siehe Karollus aaO 174 ff); andererseits hat der Pfandgläubiger bei einem zur Vermietung bestimmten Objekt, wie einem Zinshaus, "normale" Vermietung frei werdender Wohnungen und Geschäftsräume zu dulden (siehe Reidinger aaO 127). Eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Pfandrechtes durch einen Verstoß gegen die Regeln der ordentlichen Bewirtschaftung der Pfandsache durch den Eigentümer wird etwa erst durch die eine Verwertung erschwerende Vermietung eines bei Pfandbestellung nicht vermieteten und üblicherweise auch nicht zur Vermietung bestimmten Pfandobjektes und/oder durch eine Vermietung zu für den Mieter unüblich günstigen Konditionen bewirkt. Während der Unterlassungsanspruch zur Abwehr drohender Pfandverschlechterung auch gegen den Dritten im Hinblick auf den Schutz absoluter Rechte gegen Eingriffe verschuldensunabhängig zusteht, gilt dies - entgegen der von Rummel aaO vertretenen Auffassung - nicht für den Beseitigungsanspruch gegen den Dritten, der gutgläubig ein Bestandrecht an der Pfandsache erworben hat (siehe Petrasch aaO), wobei wegen der dinglichen Dimension des Mietrechtes, das Rechtsbesitz verschafft, eine analoge Heranziehung der Regeln über den Gutglaubenserwerb des Eigentums naheliegt (siehe Reidinger aaO 128 sowie Karollus aaO 175 f). Während nun für den Regelfall der Vermietung eines üblicherweise durch Vermietung genutzten Objektes zu üblichen Konditionen mit Petrasch (aaO) eine Grundbuchseinsicht des Mieters vor Vertragsabschluss nicht zu fordern ist, kommt ein schutzwürdiges Vertrauen des Mieters, mit dem Abschluss des Bestandvertrages nicht in absolut geschützte Rechte Dritter einzugreifen, bei gravierenden Abweichungen von den üblichen Konditionen und bei Vermietung eines üblicherweise nicht zur Vermietung bestimmten und auch bisher nicht vermieteten Objektes nicht in Betracht (siehe Reidinger aaO 130 f; Karollus aaO 176 f)."

Ein den Wert der Liegenschaft mindernder Bestandvertrag betrifft die Pfandgläubiger, wenn die Interessenten deshalb nur mehr geringere (oder gar keine) Gebote abgeben (SZ 62/76; 6 Ob 107/98y). Dass eine vermietete Liegenschaft grundsätzlich schlechter verwertbar ist als eine vom Eigentümer und seinen Angehörigen allein benutzte, ist offenkundig (RIS-Justiz RS0013507).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hätte daher bereits die behauptete, zu einem angeblich unverhältnismäßig niedrigen Zins (12 % des üblichen Mietzinses) erfolgte Vermietung eine Überprüfungspflicht des Erstbeklagten auslösen müssen, welche ihn wie jeden anderen durchschnittlichen Mieter veranlasst hätte, ins Grundbuch Einsicht zu nehmen und dabei die Verpfändung und den möglichen Eingriff in das Verwertungsrecht eines Dritten zu erkennen. Dies ist freilich im Hinblick auf das Fehlen von Feststellungen nicht überprüfbar. Im fortgesetzten Verfahren werden daher Feststellungen zur Angemessenheit des Mietzinses zu treffen sein, wobei auch die Einwendungen des Erstbeklagten zu berücksichtigen sein werden, wonach das Mietobjekt erst durch seine Investitionen brauchbar gemacht worden und der Mietzins daher nicht auffallend niedrig gewesen sei. In diesem Zusammenhang wird auch der Zweck der vom Erstbeklagten behaupteten "Ablöse" zu klären sein.

Erst dann wird abschließend beurteilt werden können, ob die Devastationsklage berechtigt ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.